Auf geht’s nach Berlin!

Berlin als Schauplatz in Romanen ist so beliebt, dass man den Berlin-Roman inzwischen getrost als eigenes Genre bezeichnen kann. Oft geht es in ihnen um junge Menschen, die nach Berlin ziehen und das Nachtleben erkunden. Dass Romane, die in der deutschen Hauptstadt spielen, aber mehr sein können als von Studis und ihren Drogenexzessen zu erzählen, beweisen diese drei Titel, die komplett unterschiedlich und allesamt sehr lesenswert sind.

Von Isabella Caldart

Cover Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen © © Ullstein Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen © Ullstein
Irmgard Keun – Das kunstseidene Mädchen


Mit Gabriele Tergit und Vicki Baum werden seit einigen Jahren endlich Autorinnen der zwanziger und dreißiger Jahre wiederentdeckt. Eine Zeitgenossin und eine der wenigen weiblichen Schriftstellerinnen, die schon seit Jahrzehnten wieder auf Lehr- und Leselisten steht, ist Irmgard Keun (1905-1982). Zu ihren
bekanntesten Werken gehört „Das kunstseidene Mädchen“ von 1932.

Keuns Protagonistin ist die 18-jährige Doris, die durch das Berlin der späten Weimarer Republik stolpert. Sie, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt, hofft darauf, es in der Metropole zu etwas zu bringen, berühmt zu werden. „Ich will so ein Glanz werden, der oben ist“, lautet ein bekanntes Zitat aus dem Buch. Einen Glanz stellt das kunstseidene Mädchen zumindest nach außen dar, mit dem edlen Pelzmantel, den sie gestohlen hat – während sie sich immer am Rand der Armut befindet, sich in einschlägigen Etablissements und Kabaretts verliert. Auch wenn weder Doris noch Irmgard Keun zu Zeiten der Publikation ahnen konnten, wie sehr sich das Leben in Berlin schon sehr bald ändern würden, hängt über der Szenerie dennoch ein Gefühl der Dringlichkeit, die letzten Feste zu feiern, des Umschwungs, einer Drohung; sprich die Vorkriegsatmosphäre. Bei der unabhängigen, sexuell unerschrockenen Ich-Erzählerin und der Halbwelt, von der Keun erzählt, ist es nicht überraschend, dass die Nazis ihren Roman später verbieten sollten. Aber noch zu Lebzeiten der Autorin wurde sie mehrere Jahrzehnte später – zum Glück! – wiederentdeckt. Und wem Irmgard Keuns Werk gefällt, der sollte danach direkt mit der Lektüre von Tergits und Baums Romanen weitermachen.

Bücher von Irmgard Keun in der Bibliothek und in der Onleihe

Cover Leif Randt: Allegro Pastell © © Kiepenheuer&Witsch Leif Randt: Allegro Pastell © Kiepenheuer&Witsch
Leif Randt – Allegro Pastell

Dem stereotypen Berlin-Roman kommt Leif Randts „Allegro Pastell“ zwar am nächsten, denn er erzählt von privilegierten Millennials, die um sich selbst kreisen. Und trotzdem hebt sich dieses Buch von anderen Hipster-Romanen der deutschen Gegenwartsliteratur ab. Das liegt vor allem daran, wie ironisch Randt mit diesem homogenen Milieu umgeht, ohne dabei in die Falle zu tappen, es aus einer fingierten Distanz überheblich zu belächeln. Nein, er mag seine Figuren, das merkt man, aber zugleich weiß er, dass ihre Probleme nicht weltbewegend sind.

Im Prinzip ist „Allegro Pastell“ eine Liebesgeschichte zwischen Autorin Tanja, die in Berlin lebt, und Webdesigner Jerome, der zurück in sein Elternhaus in Maintal bei Frankfurt gezogen ist. Vielleicht ist der Roman auch eher die Geschichte vom Ende einer Liebe. Denn obwohl Jerome und Tanja eigentlich perfekt zusammenpassen, beendet Tanja kurz nach ihrem 30. Geburtstag Knall auf Fall die Beziehung. Was „Allegro Pastell“ ausmacht, ist aber weniger die Story, sondern die Weise, wie Randt seine Figuren erzählt. Sie sind sich bei jeder kleinsten Handlung ihrer selbst bewusst, analysieren alles und betrachten sich aus der Außenperspektive – so weiß Jerome etwa, dass seine Haare zehn Stunden nach dem Duschen am besten aussehen, während Tanja beruhigt ist, dass sie Kunstwerke nicht wirklich mag. Das mag anstrengend klingen, aber das Buch ist so witzig und gut geschrieben, dass die Lektüre wirklich Spaß macht.

Bücher von Leif Randt in der Bibliothek und in der Onleihe

Cover Katja Oskamp: Marzahn, mon Amour © © Hanser Berlin Katja Oskamp: Marzahn, mon Amour © Hanser Berlin
Katja Oskamp – Marzahn, mon Amour: Geschichten einer Fußpflegerin

Ein ungewöhnliches Buch mit ungewöhnlichem Setting ist dagegen Katja Oskamps „Marzahn, mon Amour“. Die ostdeutsche Schriftstellerin beschreibt in ihrem autofiktionalen Buch viele kurzweilige Geschichten von ihrer Arbeit als Fußpflegerin, zu der sie umgesattelt hat, in Berlins Peripherie: Es spielt, wie der Titel schon verrät, in Marzahn im Osten der Stadt. Jeden Tag kommen sie zu ihr, die Nachbar*innen, viele von ihnen schon sehr alt, um sich durch Fußbad, Pediküre und die pflegenden Hände von Oskamps Alter Ego ein wenig Erleichterung im Alltag zu verschaffen. Und sie erzählen, erzählen von ihrem Leben in Marzahn, von der Vergangenheit in der DDR, ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft, der Einsamkeit, dem Tod.

In kleinen Porträts beschreibt Katja Oskamp ihre Nachbar*innen, Geschichten, die zwar nicht außergewöhnlich oder spektakulär sind und dennoch interessant und die in ihren vielen Splittern ein großes Mosaik ergeben. Dabei ist die Autorin immer einfühlsam, respektvoll und zugewandt, stellt sich nicht über ihre Kund*innen, sondern begibt sich in der Literatur auf Augenhöhe, in der Arbeit sogar zu ihren Füßen, idealisiert nicht und verteufelt noch viel weniger das Leben in der Plattenbausiedlung. Besonders empfehlenswert ist übrigens das Hörbuch, von der Autorin selbst eingelesen, die den typischen Dialekt der Marzahner*innen gekonnt imitiert.

Bücher von Katja Oskamp in der Bibliothek und in der Onleihe

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