Berlinale-Blogger 2019
Die anderen Bildschirme der Berlinale
Bloggerin Sarah Ward würde die Berlinale-Filme gerne ohne Ablenkung genießen. Ihre Frage an Dauer-Handynutzer: Wo bleibt die Wertschätzung des Kinoerlebnisses?
Von Sarah Ward
Im fast vollständig gefüllten Saal sollte gleich der Film Elisa y Marcela beginnen. Als das Logo von Netflix, dem Streamingdienst, der diesen Film produziert hat, über die Leinwand des Berlinale Palastes flackerte, ertönten Buhrufe, die bald wie ein Echo über beide Etagen des höhlenartigen Raums schallten.
Keine fünf Minuten später gab es die nächste Ablenkung von der eigentlichen Filmvorführung in Gestalt eines Meeres leuchtender Rechtecke. Menschen, die gerade eben noch ihre Verachtung für die Home-Entertainment-Plattform zum Ausdruck gebracht hatten, saßen nun in der Pressevorführung für diesen Film, als wären sie in ihrem eigenen Zuhause: ein Auge auf das Smartphone gerichtet und das andere Auge kaum auf die Leinwand.
Auch ein männlicher Zuschauer in meiner Nähe verhielt sich so zwiespältig: Er buhte beim Anblick des Netflix-Schriftzugs und auch sonst, checkte aber dennoch in aller Gemütsruhe seine E-Mails während Elisa y Marcela lief. Er zückte alle paar Minuten sein Handy und ließ es aufleuchten, als käme er nicht gegen diese Gewohnheit an. Leider saß er zu weit weg von mir, so konnte ich ihn nicht höflich auffordern, damit aufzuhören. Wie jede andere Person, die dem Second-Screen-Trend folgt, war er trotzdem noch zu nah und wäre es auch, selbst wenn er 100 Reihen weiter hinten gesessen hätte. So leuchtete sein Handybildschirms weithin im abgedunkelten Raum und störte das Zuschauererlebnis.
Irritierendes Verhalten
Seit drei Jahren besuche ich nun schon die Berlinale, und so lange kenne ich dieses irritierende Verhalten, denn das Geschilderte ist kein Einzelfall. Auf einem der größten Filmfestivals der Welt, wo Filmexperten und Presseleute vor Kinoleinwänden sitzen und Räume mit über 1.600 Plätzen füllen, leuchten immer wieder Handys auf. Wie können in der Filmbranche beschäftigte Menschen, deren Lebensunterhalt von eben dieser abhängt, und die doch eigentlich am andauernden Erfolg des Filmerlebnisses interessiert sind, sich selbst im Kino so respektlos verhalten? Diese Generation wehrt sich gegen die durch Netflix bewirkten Veränderungen und dadurch verursachte mögliche Auswirkungen auf den traditionellen Filmvertrieb. Warum missachtet sie dann das, was den Filmbesuch so besonders macht?Und wenn dieses Verhalten mittlerweile selbst bei den Profis im Filmbereich so üblich ist, dass es bei jeder Pressevorführung der Berlinale vorkommt, warum sollte sich das allgemeine Publikum anders benehmen? Warum sollten sie steigende Kinokartenpreise bezahlen, wenn sie damit rechnen müssen, während des Films dauernd abgelenkt zu werden? Normale Kinovorführungen sind mittlerweile oft eine Konkurrenzveranstaltung zwischen der großen Leinwand und den kleinen Rechtecken. Es gibt viele Kinobesucher, die nichts Besseres zu tun haben, als durch ihre Social-Media-Kanäle zu scrollen, SMS loszuschicken und sogar zu telefonieren. Bei anderen Veranstaltungen kennt man das schon – und nun ist dieses Verhalten auch bei denjenigen zu beobachten, die sich normalerweise für ein ungestörtes Kinoerlebnis einsetzten.
Fehlende Wertschätzung?
Alle, die von Berufs wegen auf der Berlinale gehen, sind dort voll ausgelastet, hetzen von einer Filmvorführung zur nächsten, eilen zu Meetings, überarbeiten ihre Zeitpläne, nehmen an Events teil und versuchen gleichzeitig, zwischen den Filmen zu schreiben, zu arbeiten und sich zu vernetzen – und hin und wieder auch zu schlafen und zu essen. Die Berlinale ist kein Fest der Filme mehr, wenn die Besucher zu beschäftigt sind, um das Medium wirklich zu schätzen, oder die Arbeit, die in jedem einzelnen Film steckt. Stattdessen passiert genau das, worüber Netflix-Gegner sich so oft beschweren: die Diskreditierung einer Kunstform.