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Vladimir Arsenijevic, Serbien
Roxy Music: A song for Europe

„A Song for Europe" schafft bereits mit seinem Titel eine sehr majestätische Atmosphäre. Viele deuten in dem Song aber eine schwere Melancholie. Für Vladimir Arsenijevic alles eine Frage der Perspektive. 

Im zarten Alter von 13 Jahren bekam ich die lizenzierte jugoslawische Platten-Ausgabe der Greatest Hits der Gruppe Roxy Music. Ich war ein vielversprechender böser Punk-Rocker, der im hoffnungslosen provinziellen Belgrad steckte und bereits von den Sex Pistols umgewandelt, von The Stranglers hypnotisiert und in The Clash verliebt war. Ich denke, es ist leicht zu verstehen, warum Roxy Music mit ihren geschlechtsneutralen High-Camp-Looks und ihrer intellektuell aufgeladenen Avantgarde-Marke des Glam-Rock nicht genau den Erwartungen dieses wilden Teenager-Rebellen entsprach. Aber die Auswahl der erhältlichen Platten im damals sozialistischen Jugoslawien war ziemlich begrenzt. Man musste sich mit dem begnügen, was angeboten wurde, und so war es in gewisser Weise ein Muss, die eigene Musikwahl flexibel zu halten.

Also kam sie hier – die Roxy Music-LP „Greatest Hits” dröhnte vom Plattenteller meines Traviata Schallplattenspielers. Alle Ironie und Experimente, seltsam schräge Gitarren, ein quietschendes Saxophon, diese frühen blubbernden und rülpsenden Synthiesounds, die aus dem Nichts fliegen, und über all dem die Stimme des Sängers, die über diesem ungewöhnlichen musikalischen Mischmasch auf eine Art nachklingt, als würde ein Chansonsänger im Vollrausch des Absinths schmachtend singen, aber mit weit weniger Pathos und viel mehr Ironie.


Es gab etwas deutlich Europäisches bei Roxy Music und in ihrer, nun ja, Musik. Besonders, wenn wir unter „europäisch“ „selbstbewusst künstlerisch“ verstehen können. Und nirgendwo kam diese ausgeprägte kontinentale Intensität besser zum Vorschein als beim dritten Song auf der Seite B dieser wunderbaren Sammlung. Nicht zuletzt wegen der schieren Großartigkeit des Titels – A Song for Europe. Songs mit dieser majestätischen Atmosphäre sind in der Tat selten. So stark und zugleich so verletzlich war A Song for Europe, dass er auf einem Höhepunkt gipfelte, wie ich ihn noch nie zuvor gehört hatte. Unverwechselbar bekam ich jedes Mal Gänsehaut, wenn ich es hörte und ich hörte es täglich.
 



Es fängt mit einem schönen Klaviersolo an und ein Sänger singt unaufdringlich davon, wie er allein in einem leeren Café an der Seine sitzt und an eine verlorene Liebe denkt. Die Geschichte und der Song entwickeln sich schnell zu einem dramatischen Saxophon-Solo, das Schönste, das meine Ohren je gehört haben, und die Sängerstimme, die ihm folgt, klingt so authentisch und ernst wie möglich, jetzt ganz ohne ironischen Beiklang. Und wenn er seine Stimme eine Oktave höher schwingt mit dem Statement „Now only sorrow, no tomorrow, there's no today for us, nothing is there, for us to share, but yesterday” (jetzt gibt es nur Kummer, kein Morgen, es gibt kein Heute für uns, nichts können wir mehr teilen, nur das Gestern), dann ist klar, dass besonders dieses „no tomorrow“ ebenso dramatisch wie deutlich gegensätzlich zu dem nihilistischen „no future“ der Sex Pistols ist, das mich so mitgerissen hatte.

Natürlich kann A Song for Europe als Hymne über den Verlust des geliebten Menschen interpretiert werden. Aber wie viele andere große Gedichte kann es auch auf verschiedene andere Arten interpretiert werden. Mein Gefühl und mein Verständnis, worum es dabei geht, haben sich im Laufe der Jahre verändert. Aber es war immer unbestreitbar, dass dieser göttlichen Melancholie etwas zugrunde liegt, das hätte sein können, aber leider nie wieder zurückkehren wird.

1978, vierzig Jahre zurück, war Europa ein bipolarer Kontinent mit einer unbedeutenden Störung irgendwo an seiner südöstlichen Seite – der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, die weder Osten noch Westen war, oder es war entweder Ost oder West oder vielleicht waren es zwei verdammte Dinge gleichzeitig, je nachdem, wie und aus welcher Perspektive man es betrachtete. Der Punkt ist, dass diese Gegensätzlichkeit sich als nicht nachhaltig erwies, dass sie nicht ihren eigenen Erwartungen entsprach und der Prozess ihres Zerfalls (wenn nur dieses Wort nicht so kalt und gefühllos wäre!) mehr weh tat, als man es sich jemals vorstellen konnte.

Heutzutage befürchten wir leider, dass dasselbe für die europäische Idee und Realität gilt. Wenn ich also heute A Song for Europe abspiele, wenn wir keine Ahnung haben, wo wir sind und noch weniger, wohin wir gehen, höre ich eigentlich eine völlig andere Botschaft. Aber ich drehe die Lautstärke auf, schließe die Augen und lasse mich randvoll von dem Song erfüllen.

Tous ces moments, schmachtet der Sänger in seinem irgendwie seltsamen, aber großartigen französischen Akzent, perdus dans l`enchantement qui ne reviendront jamais...

Jamais jamais jamais jamais jamais! macht er weiter und weiter.
 

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