Filmvorführung Kafka + Film: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub: Klassenverhältnisse + Intro

Schwarzweißbild, das den Kopf eines jungen Mannes zeigt, dem der Mund mit einer Hand zugehalten wird. © Straub-Huillet

Di, 19.11.2024

19:00 Uhr

Goethe-Institut London

Facets of Kafka

Danièle Huillet und Jean-Marie Straubs konzentriete und durchkomponierte Version von Kafkas Der Verschollene (Amerika) erzählt von den Missgeschicken eines unerfahrenen jungen Einwanderers in einem rauen und ungleichen Amerika. Mit einer  Einführung von Martin Brady.

Klassenverhältnisse ist der einzige Film in dieser Reihe, der auf einem Werk Kafkas basiert, dem unvollendeten Roman Der Verschollene (1911 – 1914), auch bekannt unter dem Amerika, den Kafkas Freund Max Brod gewählt hatte und unter dem das Fragment 1927 posthum veröffentlicht wurde. Erzählt wird die Geschichte des jungen, unerfahrenen Karl Roßmann, der, nachdem er ein Dienstmädchen geschwängert hat, von seinen Eltern in die USA geschickt wird. Hier nun muss er sich durchschlagen, erfährt Ungerechtigkeiten und Demütigungen, lernt die gesellschaftlichen Hierarchien, Reichtum und Armut kennen. Kafka, der selbst nie in den USA gewesen war, ließ sich u.a. von erfolgreichen Reisebeschreibungen von Arthur Holitscher inspirieren, die 1912 unter dem Titel Amerika Heute und Morgen erschienen.

Huillet und Straub drehten in strengen Schwarz-Weißbildern und vermieden eine historische Ausstattung, verwendeten nur einzelne historische Versatzstücke, um eine Verbindung zwischen Kafkas Epoche und der Entstehungszeit des Filmes (erste Hälfte der 1980er) herzustellen und einen Vergleich der „Klassenverhältnisse“ beider Perioden zu liefern, die sie als verstanden. „Kafka ist für uns der einzige große Dichter der industriellen Zivilisation, ich meine, einer Zivilisation, in der die Menschen von ihrer Arbeit abhängen, um zu überleben. Deshalb gibt es diese ständige Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, die Tatsache, Angst gehabt zu haben, hinterlässt Spuren, und es gibt ständig Elend, das auftaucht und bedrohlich ist”. (J.-M. Straub, Cahiers du Cinema, Oktober 1984, für diesen Eintrag übersetzt.)

Wie bei allen ihren Filmen, spielte auch hier die intensive Auseinandersetzung mit der textlichen Vorlage für Huillet und Straub eine zentrale Rolle. Dies zeigt sie u.a. in dem Bemühen, den Text „… über bestimmte Körper, Körperdarsteller“ zu vermitteln, d.h. mit den Schauspieler*innen in langen Proben mit unzähligen Wiederholungen einen eigenen Sprachrhythmus und eine eigene Intonation zu erarbeiten, die allen Naturalismus vermeidet. Huillet und Straub verstanden dies nicht als künstlerische Interpretation ihrerseits, sondern als die Transposition des Kafka’schen Text in das Medium Film mit seinen spezifischen materiellen Eigenschaften. „Es geht hier einfach um Raum und Zeit. Raum ist die Arbeit des Filmemachers, (…). Dann geht es um Zeit. Aus dem Raum muß Zeit geschaffen werden. Zeit ist auch Text, und wie der gesprochen wird.“ (J.-M. Straub, Pressekonferenz,  Internationale Filmfestspiele Berlin, Februar1984)
 

Klassenverhältnisse. Danièle Huillet and Jean-Marie Straub, West Germany, 1984, 35mm on DCP, b&w, 130 min. In German with English subtitles.

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Martin Brady is Emeritus Reader in German and Film Studies at King’s College London. He has published on Brechtian cinema, documentary and experimental film, music, literature, the visual arts, Jewish exile architects, disability, foraging, and ordinariness. He also works as a translator and interpreter.

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