Freiraum
Was ist mit uns passiert?
Banska Bystrica ist eine Stadt im Herzen der Slowakei. Eine Stadt, die zum Symbol des Widerstands gegen den Faschismus in Europa wurde, als sie sich gegen die Kapitulation des Landes zur Wehr setzte und einen teuren Preis dafür bezahlte.
Von Vassiliki Grammatikogianni
Diese Stadt, von der man erwarten würde, dass sie die mordenden und marodierenden Nazi-Truppen nie vergessen wird – diese Stadt hat 2013 mit dem Wahlsieg der Rechtsextremen den Faschismus wiederbelebt.
Auf der anderen Seite Athen. Eine Stadt, die meilenweit von Banska Bystrica entfernt ist und auch sonst kaum Ähnlichkeiten mit der slowakischen Stadt hat. Aber auch Athen ist eine Stadt, die die Gräuel des Faschismus erlebt hat. Es ist die Stadt, die von den Nazis vielleicht sogar am meisten geplündert wurde. Es ist die Stadt, deren Friedhöfe so voll waren, dass sie niemanden mehr aufnehmen konnten.
Zugleich ist es die Stadt, in der die Demokratie geboren wurde. Als 2012 zum ersten Mal in der griechischen Geschichte die rechtsextreme „Goldene Morgenröte“ („Chrysi Avghi“) in den Tempel der Demokratie, ins Parlament einzog, herrschten Irritation, Überraschung, Wut und Trauer.
Was ist mit uns passiert? Was ist mit den beiden Städten passiert? Was ist in Europa passiert, dass es seine Geschichte vergisst? Wo sind die europäischen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Solidarität geblieben? Liegt es an der Krise? Liegt es an der Struktur der modernen Welt? Oder liegt es am Übergang in ein anderes globales System – in ein unbekanntes System, das möglicherweise Angst macht?
Mit dem Programm „Freiraum“ bringt das Goethe-Institut die beiden Städte Banska Bystrica und Athen zusammen, um die Gründe der Krise zu erforschen und den Begriff der Freiheit als Zielvorgabe neu zu formulieren. Freiheit meint dabei nicht nur unsere Freiheit, sondern auch die Freiheit der anderen. Genau das verweigert der rechte Populismus.
Die "Autopsie" und die Presse
Milan Zvada vom Kulturzentrum der slowakischen Stadt Banska Bystrica ist gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Suzana Szaboova, Robert Svarc und Hamzik Castro nach Athen gekommen, um sich ein Bild der Lage vor Ort zu machen und sich mit den Fragen der Temporären Kunstakademie (PAT) zu beschäftigen: „Welches sind die sichtbaren Anzeichen, welches die Grenzen der Redefreiheit? Gibt es sichtbare und implizite Einschränkungen?“„Die griechische Frage war die Initialzündung des Projekts ‚Freedom of Speech’“, wird Milan Zvada während des Seminars sagen, das in der Galerie „State of Concept“ unter der Akropolis stattfindet. Die Slowakei wurde in diesem Jahr von dem Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten erschüttert. Der 27-jährige Kuciak hatte für das Nachrichtenportal actuality.sk gearbeitet und Recherchen über Korruptionsfälle angestellt, die auf mögliche Verbindungen zwischen der Geschäftswelt, der italienischen Mafia und Mitarbeitern von Ministerpräsident Robert Fico hindeuteten. Parallel dazu erinnerte im gleichen Raum der Galerie die Videoinstallation der Künstlerin Yota Ioannidou an einen anderen ungeklärten Mordfall (aus dem Jahre 1848) – den an dem amerikanischen Journalisten George Polk in Thessaloniki. Beide deuten darauf hin, dass das Problem der Unfreiheit der Presse überzeitlich ist.
Wenn der Fall Polk den Beginn des Kalten Krieges bedeutete, was bedeuten dann die Morde an dem jungen Slowaken und an der Malteser Journalistin Daphne Caruana Galizia – auch sie untersuchte mögliche Verwicklungen der Familie des maltesischen Ministerpräsidenten in undurchsichtige Finanzgeschäfte – für unsere bewegte Zeit?
Die Vergangenheit ist auch ein Teil der Gegenwart. So sind schmerzliche Erfahrungen wie die des Faschismus, von denen wir überzeugt waren, sie überwunden zu haben, jetzt und hier zugegen und wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. In gewisser Weise könnten wir sagen, dass die Vergangenheit am Aufbau der Zukunft beteiligt ist.
Die Kommunikation
Die Videos der griechischen Künstler machten trotz der Ausschnitthaftigkeit der gezeigten Ereignisse und Zustände klar, dass ein Land des armen Südens, das in den Jahren der Schuldenkrise in der Eurozone seine große Ablehnung oder sogar Ausbeutung durch den reichen Norden gespürt hat, vielleicht zum ersten Mal mit einem Land Mitteleuropas kommuniziert. Mit der Slowakei. Dem einzigen Land der Eurozone, das eine Beteiligung am Hilfsmechanismus für Griechenland 2010 abgelehnt hat. Wenn Nachrichten in so vereinfachter Form verbreitet werden, fällt der Populismus auf fruchtbaren Boden.Das, so glaube ich, ist auch die Essenz des Projekts „Freiraum“ – die Empathie der europäischen Völker füreinander. „Durch diesen Prozess versuche ich, die soziale Wirklichkeit zu verstehen“, sagt Milan. „Wichtig an diesem Projekt ist, die Andersartigkeit der Standorte und der Gesellschaften zu verstehen und zu respektieren“, wird Elpida Karaba sagen. Das Gespräch geht hin und her und über die Suche nach Vergangenheit und Gegenwart, nach Differenzen und Konvergenzen versuchen beide Seiten, Antworten auf die Fragen nach Grenzen und Gemeinsamkeiten der sogenannten Redefreiheit zu geben.
Auf dem Rückweg schaue ich zur Akropolis hinauf und denke, dass die Demokratie das Leitmotiv unserer Gesellschaft bleibt. Doch ihr Kern scheint verblasst zu sein. Wie demokratisch ist eine Gesellschaft, die immer mehr Ungleichheit akzeptiert, um ihre Besitzstände zu wahren? Wie demokratisch ist eine Gesellschaft, in der Journalisten sich selbst zensieren, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren? Wie demokratisch ist eine Gesellschaft, in der multinationale Konzerne die Politik ersetzt haben? Ich denke, denke, denke. Der „Freiraum“ hat die Neuronen meines Gehirns aktiviert.