Berlinale-Blogger*innen 2024
Et in "Arcadia" ego
Im nördlichen Prenzlauer Berg verbirgt sich das gemütliche Restaurant Omoni. An kleinen Holztischen sitzend, kann man hier Bibimbap, Salate und warme Gerichte genießen, wobei das Sushi als das Beste in Berlin gilt. Nach unserem ersten Online-Treffen treffe ich hier den Regisseur Yorgos Zois, um über Arcadia, Geister und Liebe zu sprechen.
Von Sofia Kleftaki
"Ich habe geträumt, dass ich meine Stiefel nicht ausziehen kann und dass mich Angeliki Papoulia angelächelt hat!",erzähle ich Yorgos Zois aufgeregt, sobald ich ihn begrüßt habe. Dann schaue ich auf seine Schuhe, er trägt Converse Allstars in dunkelblau. Er lacht gelassen und amüsiert, "das sage ich ihr, sie wird sich freuen!". Wir bestellen und beginnen unsere Unterhaltung.
Die Geister, die durch die Handlung wandeln, sind keine bloßen Schatten vergangener Existenz. In Arcadia wird ihnen eine kraftvolle Präsenz verliehen, die die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits verschwimmen lässt. Gibt es Geister?
Meine Mutter sagte mir, dass Liebe wie ein Geist sei - unsichtbar, aber fühlbar. Der Film behandelt das Thema des Verfolgtwerdens von lebenden oder toten Menschen, von Liebe oder Hass, starken Gefühlen, die einen beherrschen können. Das Unsichtbare ist präsent. Wir leugnen nicht, dass es existiert, sondern akzeptieren es als integralen Bestandteil unserer Erfahrung. Die Idee, dass Liebe wie ein unsichtbarer Geist ist, der uns begleitet, ist subtil, aber durchdringend. Hier liegt eine Verbindung zur griechischen Vorstellungswelt, in der Geister die Brücke zwischen zwei Realitäten bilden. Das zentrale Thema des Loslassens manifestiert sich durch die Hauptfiguren. Die Tiefe ihrer Trauer und ihre komplexen Beziehungen zu den anderen Charakteren verleihen dem Unsichtbaren Substanz. Solange wir Geister mit uns tragen, aufgrund unerledigter Angelegenheiten, können sie nirgendwohin gehen, sie sind sozusagen Sklaven unserer Erinnerung.
Ja, als würde man sich buchstäblich in die Lage einer anderen Person versetzen. Es gibt so viele Redewendungen mit Schuhen, die genau das sugerieren. Die Perspektive eines anderen Menschen anzunehmen. Die Schuhe repräsentieren die tiefe Verbindung zwischen den Verstorbenen und den Lebenden. Der Geist, der durch die Schuhe symbolisiert wird, entkommt nicht. Er kann nicht entkommen, es ist wie die Schwerkraft. Er ist durch die Erinnerung des Lebenden an den Toten in der Dimension der Erinnerung wie gefangen. Die Schuhe sind eine Last, die die Geister permanent mit sich herumtragen müssen, da die Lebenden nicht loslassen können oder wollen. Die visuelle Darstellung von Schuhen wird zu einem kraftvollen Ausdruck von Verlust und Abwesenheit, der uns alle auf unterschiedliche Weise berühren kann. Denken wir nur mal an Schuhe auf der Straße: Es schafft eine eindringliche Metapher. Es ist, als ob ein Körper fehlt, jemand fehlt, jemand ist weggegangen. Es geht um den Verlust und erinnert uns daran, dass dahinter eine Geschichte, eine Reise und eine kulturelle Identität stehen, die oft über die sichtbare Realität hinausgeht.
Arcadia ist wie ein utopischer Ort zwischen Diesseits und Jenseits. Dieses Konzept stammt aus der griechischen Mythologie, in der Arkadien als idealisierte Landschaft galt, die Harmonie und Frieden symbolisierte. Wie auch im bekannten Gemälde von Nicolas Poussin "Et in Arcadia ego" macht der Tod auch um Arkadien keinen Bogen.Die Darstellung von Sex im Film hat eine besondere Dimension - die Geister haben Sex, um Erinnerungen aus dem Leben zu erfassen, nicht um Lust zu empfinden. Der sexuelle Höhepunkt wird als eine Art winziger Tod betrachtet, während für die Geister das Gegenteil zutrifft - es ist ein winziger Funke des Lebens, der es ihnen ermöglicht, Erinnerungen einzufangen.
Lügen ist menschlich. Wir alle lügen in bestimmten Situationen. Es steckt eine menschliche Komplexität hinter dieser Handlung. Wir lügen nicht nur, um anderen Schaden zuzufügen, sondern oft, um uns selbst zu schützen und unsere innersten Wünsche zu bewahren. In den verwobenen Beziehungen der Protagonisten spiegelt sich die Komplexität menschlicher Emotionen wider. Die Liebe, die Verehrung, aber auch das Gefühl, wie in einem Käfig gefangen zu sein, lassen uns nachdenklich werden über die Facetten von Ehe und Beziehungen in unserer Gesellschaft. Selbst in einer liebevollen Ehe kann man sich manchmal wie in einem Käfig fühlen, eine Last tragen. Es ist wie eine Geiselsituation, selbst in einer Beziehung, sogar wenn man verheiratet ist und man seine Gefühle nicht wirklich ausdrücken kann oder nicht aufrichtig gegenüber dem anderen ist. Für mich ist dieser Film wie eine Geschichte der Trennung, die im Leben nicht stattfinden konnte. Und sie ist so stark, dass sie im Jenseits stattfinden muss. Loslassen ist für uns Menschen oft sehr schwierig.
Die musikalische Untermalung, insbesondere das polyphone Lied, erweist sich als künstlerisches Meisterstück.
Die Melodie durchdringt den Film, verbindet die verschiedenen Erzählstränge und gibt dem Werk eine kohärente emotionale Dimension. Wir haben Menschen aus einem Dorf in Albanien geholt, um es zu schreiben. Ich habe auch einige Texte geschrieben, und sie haben es hier für uns aufgenommen, es war sehr emotional. Stellt euch vor, dass ihr es für jemanden singt, den ihr verloren habt, aber diese Person steht hier vor euch. Das war meine Instruktion. Und dann sangen sie diese Version des Liedes, und es war großartig, und das ist die Version, die im Film zu sehen und zu hören ist.
Während ich nach Hause laufe, schaue ich auf meine Schuhe. Ich trage die Stiefel meiner Schwester und denke darüber nach, ob sie sich wohl ähnlich wie ich fühlt, wenn sie sie trägt: leicht und unbeschwert. Ich summe leise vor mich hin "Ase me na figo, se parakalo". Es nieselt schon wieder. Katharsis.