Jasmin Schreiber
Zurück ins Leben schwimmen
Paula benötigt zum Leben nur ihre Wohnung, ein wenig Geld und ihren geliebten Bruder Tim. Als der bei einem Unfall stirbt, versinkt sie in eine tiefe Depression. Es braucht einen Roadtrip mit einem alten Herren, einem Hund und einem Huhn, um daraus wieder aufzutauchen.
Von Jana Schrader
In ihrem Debütroman Marianengraben setzt sich Jasmin Schreiber mit den Themen Leben, Tod und Trauer auseinander. Sowohl Paula als auch Helmut leiden unter dem Verlust des Menschen, der ihnen der wichtigste auf der Welt war, und beide schaffen es nicht, allein aus ihrer Trauer zu finden. Ihnen fehlt ein stützendes Netzwerk: Paula lässt nicht einmal ihre Eltern an sich heran, Helmut hat bereits derart viele Verluste erlitten, dass er keinen weiteren Schultern will.
Zu zweit zurück ins Leben finden
Doch gerade dieses geteilte Leid sorgt dafür, dass das ungleiche Duo einander Halt geben kann. Sie verstehen, warum der Gedanke unerträglich ist, dass der geliebte Mensch im letzten Moment an sie gedacht hat, man an dem alles verändernden Tag ein Glas Mayonnaise vertilgt oder die Wand grün streicht, obwohl man diese Farbe nicht mag. Nur darum können sie einander bei der gemeinsamen Fahrt mit Helmuts Hund Judy und dem Huhn Lutz aus dem Unglück so tief wie der Marianengraben ziehen.Paula erzählt diese Reise ihrem Bruder, den sie immer wieder direkt adressiert. Die Du-Anrede verleiht dem Text etwas Persönliches und Unmittelbares. In den Momenten der Trauer ist Schreiber am stärksten. Wenn sie das Foto beschreibt, das Paulas Pulsschlag an jenem Tag zeigt, an dem sie die Nachricht von Tims Tod bekam und dies als Graphen bezeichnet, der abbildet wie ein Herz bricht oder wenn sie und Helmut sich über ihre geliebten Menschen austauschen, dann kann das berührend sein. Schreiber kennt sich aus mit der Thematik, sie fotografiert Kinder, die vor, während oder bald nach der Geburt versterben und ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Diese Tätigkeiten geben ihr einen feinfühligen und sanften Zugriff auf das schwere Thema Tod.
Traurig und lustig zugleich
Doch Marianengraben ist nicht nur ein trauriger Roman, sondern auch einer voller skurriler und lustiger Momente und an diesen hapert die Geschichte. Zu oft versucht die Autorin, noch ein ungewöhnliches Event einzufügen oder eine verrückte Komponente einzuflechten und vernachlässigt darüber die Charaktermotivation. Warum etwa sammelt Paula plötzlich ein verletztes Huhn von der Straße und nennt es Lutz? An diesen Stellen hätte etwas Zurückhaltung gut getan.Gelungen ist der studierten Biologin hingegen die Verbindung zwischen der Leidenschaft für das Meer der Geschwister Paula und Tim und deren Auswirkung auf ihre enge Beziehung sowie das Einflechten von naturwissenschaftlichen Beobachtungen und Phänomenen in Paulas Betrachtungen. Jedes Kapitel ist mit einer Tiefenmeterangabe überschrieben, die Stück für Stück niedriger werden, um schließlich bei null zu enden.
Es ist nicht leicht, über Sterben und Verlust zu schreiben. Beides sind sehr individuelle Vorgänge, mit denen jede*r anders umgeht. Und ebenso ist der Weg zurück ins Leben sehr individuell. Marianengraben zeigt zwei mögliche von unendlich vielen. Jasmin Schreibers Ansatz ist nicht vollkommen neu, aber die Umsetzung ist sympathisch. Der lockere, schnörkellose Schreibstil sorgt für einen schnellen Lesefluss und ein kurzweiliges Vergnügen. Ein angenehmes Debüt.
Jasmin Schreiber: Marianengraben
Köln: Eichborn, 2020. 254 S.
ISBN: 978-3-8479-0042-9
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe (auch als Hörbuch).
Köln: Eichborn, 2020. 254 S.
ISBN: 978-3-8479-0042-9
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe (auch als Hörbuch).