Nachhaltigkeit
Klimaverantwortung im Musikbereich
Die Klimaziele der UN und das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung haben das Verantwortungsbewusstsein für Klimafragen im Musikleben verändert, obwohl sie keine Zielvorgaben für die Kultur formulieren. Das übernehmen Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene.
Die Frage der Klimaverantwortung von Konzert- und Opernhäusern, von Klassik, Pop und Jazz, von Festivals, Musikschaffenden, Besucher*innen und Musikverbänden ist Teil einer breiten Auseinandersetzung des gesamten Kulturbereichs und der Kulturpolitik mit ihrer gesellschaftlichen Rolle in einer Zeit pandemischer, ökologischer und weltpolitischer Krisen sowie Umbrüche. Die als Klimakrise begriffene Erderwärmung ist weit mehr als eine ökologische, auch eine soziale, wirtschaftliche und kulturelle Frage, wofür das international geprägte Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung und die globalen Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 stehen.
Kultur kein Adressat von Klimapolitik
Die heutigen Rahmenbedingungen der nationalen und internationalen Klimapolitik wie auch der Nachhaltigkeitspolitik gehen auf zwei maßgebliche Übereinkommen des Jahres 2015 zurück. Im Pariser Klimaabkommen verpflichteten sich alle 197 nationalen Vertragsparteien, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen und hierfür verbindliche, nationale Reduktionsbeiträge zu erbringen. Nach der ebenfalls 2015 verabschiedeten Agenda 2030 der Vereinten Nationen (UN) haben sich 193 Unterzeichnerstaaten dazu bekannt, insgesamt 17 globale Nachhaltigkeitsziele auf nationaler Ebene umzusetzen, was den Klimaschutz beinhaltet. Für Deutschland hat die Bundesregierung im geänderten Klimaschutzgesetz von 2021 das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 bestimmt, mit einer Emissionsminderung um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 bis 2030 und 88 Prozent bis 2040. Deutschland geht damit über das Ziel des europäischen Green Deal hinaus, das für Europa eine Klimaneutralität bis 2050 vorsieht. Das Klimaschutzgesetz leitet für die sechs Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft spezifische Sektorziele mit festgelegten Emissionsmengen ab.
Weder der Kultursektor noch der Musikbereich sind Adressaten der nationalen Klimapolitik, weder im Klimaschutzgesetz noch bei der Erhebung und dem Monitoring von Daten oder bei der Festlegung und Förderung von Klimaschutzmaßnahmen. Für die staatliche Klimapolitik spielt der Kulturbereich im Hinblick auf sektorbezogene Treibhausgasemissionen und Reduktionsziele keine Rolle. Damit gibt es für den Kulturbereich keinerlei Zielvorgaben von der Klimapolitik. Dies bedeutet auch, dass Finanzierungs- und Förderinstrumente zum Klimaschutz, wie der Klima- und Transformationsfonds oder die Nationale Klimaschutzinitiative, Kultureinrichtungen nicht gezielt und explizit ansprechen. Weder im Emissionshandel noch in der zweijährigen Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes ist der Kulturbereich ein relevantes klima- und umweltpolitisches Politikfeld. Auch wenn es zum Kulturbereich bisher keine Studien zu den Klimawirkungen und -potenzialen des Sektors gibt, ist davon auszugehen, dass die Vernachlässigung des Kulturbereichs in der Klimapolitik vor allem daran liegt, dass der Kulturbereich ein Klein- oder Kleinstemittent ist. [1] Das bedeutet auch, dass im Hinblick auf die Erreichung der nationalen Klimaschutzziele eine Klimaneutralität des Kulturbereichs vermutlich eine kaum spürbare Wirkung hätte. Wenn Musiker*innen an globalen Klimakonferenzen teilnehmen, haben sie insofern eine ganz andere Rolle.[2] Im Unterschied zur empirisch-rationalistischen Prägung von Wissenschaft und Politik hat Kultur die Kraft, Menschen über Bilder, Geschichten und Musik auf ästhetische und innerlich-reflexive Weise zu erreichen. Effektive Beiträge der Kultur zu Treibhausgasemissionen sind vor diesem Hintergrund in engem Zusammenhang mit der Authentizität und Glaubwürdigkeit kultureller Ausdrucksformen zu betrachten.
In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie führte die Agenda 2030 zu einer kompletten Umstrukturierung, die sich an den globalen Nachhaltigkeitszielen orientierte. Wie in der Agenda 2030 spielten auch in der vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) begleiteten Nachhaltigkeitsstrategie Kultur und Musik keine eigenständige Rolle.[3] Aspekte einer „Kultur der Nachhaltigkeit“ oder eines „kulturellen Wandels“ hatten aber zumindest einen kleinen Stellenwert und trugen letztlich dazu bei, dass getragen vom RNE mit dem „Fonds Nachhaltigkeitskultur“ ein erstes Förderprogramm entstand, das auch einzelne Projekte zu Musik und Nachhaltigkeit ermöglichte.
Unabhängig von der Klima- und Umweltpolitik kann in den Jahren vor 2015 bereits von einer Initiativphase für Aktivitäten zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Kultur- und Musikbereich gesprochen werden. In Deutschland zählen hierzu die zwischen 2009 und 2010 entstandene Green Music Initiative und die Stiftung NaturTon, aus der die Initiative Orchester des Wandels hervorgegangen ist. In Großbritannien gehört Julie's Bicyle zu den Einrichtungen, die ab 2007 Projekte zur Klimabilanzierung für den Musiksektor begannen. Während die Green Music Initiative als freie Plattform in Deutschland zunächst Projekte mit Festivals und Clubs durchführte, förderte der gemeinnützige Verein Orchester des Wandels mit seinen klassischen Konzerten von Anfang an Klima- und Naturschutzprojekte. Auch die Organisation Julie's Bicycle agiert seit 2013 als gemeinnützige Einrichtung und weitete ihre auf einem Klimarechner basierenden Projekte vom Musiksektor nach und nach auf andere Kultursparten wie Theater und Museen aus. Seit 2012 betreut Julie's Bicycle als Partner des Arts Council England ein wegweisendes Umweltprogramm, das Kultureinrichtungen mit Qualifizierungsangeboten und Beratung beim Klimaschutz unterstützt.
Das ab 2015 zunächst in der Schweiz und dann in Deutschland tätige Netzwerk Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur (2N2K) führt aktuell eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Initiative zur Umsetzung von Klima- und Nachhaltigkeitszielen im Kulturbereich (Culture4Climate) durch, bei der auch Verbände und Einrichtungen im Musik- und Veranstaltungsbereich sich in einer Nachhaltigkeitsdeklaration in Form einer Selbstverpflichtung zu Klima- und Nachhaltigkeitszielen bekennen. Das seit 2020 ebenfalls für drei Jahre von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderte Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien qualifiziert Transformations- und Nachhaltigkeitsmanager*innen für den Kulturbereich und ermöglicht Kultureinrichtungen aller Sparten die Erstellung von Klimabilanzierungen. Die von mehr als 6.000 Organisationen, Künstler*innen und Einzelpersonen vermutlich größte Initiative aus dem Musikbereich ist Music Declares Emergency. [4] Mit ihrer 2021 veröffentlichten Deklaration und ihren Forderungen an Regierungen ist Music Declares Emergency vor allem eine kampagnenartige Bewegung mit umweltpolitischer Ausrichtung.
Zusammen mit weiteren spartenspezifischen Netzwerken und Pilotprojekten haben die nationalen und internationalen Initiativen nicht nur Angebote für verschiedene Kultur- und Musikbereiche erarbeitet, sondern es gehen von ihnen auch wichtige Impulse für Kulturakteure, Kulturverbände und die Kulturpolitik aus. Dies gilt auch für die Aktivitäten von Kultur- und Musikverbänden.
Positionierung und Projekte von Musikverbänden
Parallel zu den Klimademonstrationen der Fridays-For-Future-Bewegung kommen im Jahr 2019 Klimaschutz und Nachhaltigkeit zunehmend auch bei Kultur- und Musikverbänden auf die Agenda. Nach ersten Positionspapieren des Deutschen Kulturrates und der Kulturpolitischen Gesellschaft, die sich für eine Nachhaltigkeitsorientierung der Kulturpolitik aussprechen, setzt in Deutschland vor allem unisono, die Deutsche Musik- und Orchestervereinigung ein wichtiges Signal für den Musikbereich. Das Positionspapier „Nachhaltigkeit im Orchester- und Konzertbetrieb“ ist im Jahr 2021 für Orchester, Theater, Konzert- und Opernhäuser sowohl eine Orientierung als auch ein Aufruf, sich mit Umwelt- und Klimaschutz auseinanderzusetzen sowie in ein konsequentes Handeln zu kommen. Beim Deutschen Musikrat befasst sich ein seit rund zwei Jahren eingerichteter Bundesfachausschuss Zukunftswerkstatt u. a. mit dem Thema Nachhaltigkeit.
Auch auf europäischer Ebene starteten in den letzten beiden Jahren Verbände wie der Europäische Musikrat (EMC) und der europäische Verband unabhängiger Musikunternehmen IMPALA Nachhaltigkeitsaktivitäten für den Musikbereich. In Verbindung mit dem Europäischen Musikforum führte der EMC gemeinsam mit weiteren europäischen Netzwerken das zweijährige „SHIFT-Projekt“ durch, in dem für Kulturschaffende auch Schulungsangebote und Leitfäden zu ökologischer Nachhaltigkeit entwickelt wurden. Das von IMPALA für seine Mitgliedsunternehmen entwickelte Nachhaltigkeitsprogramm umfasst eine Klimacharta, einen CO2-Rechner und weitere Angebote an seine Mitglieder.
Kulturpolitische Signale für Klimaschutz im Musikbereich
Während der Kulturbereich bisher kein ausdrücklicher Adressat der Klimapolitik ist, sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit seit kurzer Zeit in der Kulturpolitik als substantielles Handlungsfeld institutionalisiert. Dies gilt sowohl für die Kulturpolitik des Bundes als auch für einzelne Länder und Kommunen. Auch auf internationaler Ebene können aktuelle Konferenzen, Deklarationen und Berichte als Belege dafür gelten, dass Nachhaltigkeit als kulturelle Aufgabe in der Kulturpolitik angekommen ist. So hat die Europäische Union im Jahr 2022 gleich zwei Arbeitsberichte zu Auswirkungen des Klimawandels auf das Kulturerbe und zu Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Kulturpolitik veröffentlicht; zudem stand die Frage einer Kulturpolitik für Nachhaltigkeit im Mittelpunkt der UNESCO-Weltkulturkonferenz MONDIACULT. Sichtbarster Ausdruck einer Institutionalisierung und damit einer mit Ressourcen versehenen Gestaltung von kultureller Nachhaltigkeit ist ein neues Referat „Kultur und Nachhaltigkeit“ bei der BKM. Hier soll gemäß Koalitionsvertrag auch ein Green Culture Desk als Anlaufstelle für den Kulturbereich auf den Weg gebracht werden. Auf Länderebene wurden bereits ähnliche Referate eingerichtet oder Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Kulturgesetzgebung verankert. 5 So sind nach dem Kulturgesetzbuch Nordrhein-Westfalen Klimaneutralität und Kompensationen Bestandteil der Kulturförderung. Sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene gibt es entsprechende Pilotvorhaben zu Klimaschutz im Kulturbereich und es gehören auch weitere ökologische Mindestanforderungen zu den Kriterien von Förderprogrammen.[6]
Diese neuen kulturpolitischen Signale sind auch als Eckpunkte und Rahmenbedingungen für den Musikbereich zu verstehen. Dabei liegen Schwerpunkte der Kulturpolitik bisher vielfach auf anderen Kultursparten wie dem Filmbereich und der Museumslandschaft, während der Musikbereich nur selten in Berichten wie dem BKM-Nachhaltigkeitsbericht oder Leitfäden wie dem baden-württembergischen „Green Culture-Leitfaden“ Berücksichtigung finden. Gezielte Programme und Pilotprojekte wie die Förderung des Goethe Instituts „Grün unterwegs“ für Nachhaltigkeitskonzepte bei Konzertreisen, der „Hamburger Musikdialog zu Musikwirtschaft und Klimaschutz“ oder die jüngste Konferenz „Nachhaltigkeit in der zeitgenössischen Musik“ an der Berliner Akademie der Künste (AdK) sind künftig sicher ausbaufähig. Klimaverantwortung im Musikbereich jenseits von Klimakompensation
Im Jahr 2012 war eine Gletscherexpedition nahe dem kasachischen Almaty Ausgangspunkt für ein Musikprojekt, bei dem neben der entstandenen „Gletschermusik“ auch der Austausch zwischen Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und den Traditionen unterschiedlicher Kulturen im Mittelpunkt standen. Zehn Jahre später hat das Orchester des Wandels der Staatskapelle Berlin ein durch die Umweltenzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus inspiriertes Oratorium als Benefizkonzert zugunsten von Klima- und Umweltprojekten zur Uraufführung gebracht.
Seit Julie's Bicycle vor 15 Jahren erstmals den CO2-Fußabdruck einer nationalen Musikindustrie erheben ließ, haben in den letzten Jahren sowohl freie Initiativen und Netzwerke als auch Verbände und Vereinigungen dazu beigetragen, dass die Kulturpolitik die strukturelle Notwendigkeit einer Verankerung des Handlungsfeldes „Kultur und Nachhaltigkeit“ erkannt hat. Sowohl durch künstlerisch-ästhetisches Wirken als auch durch Formen des Klimamanagements haben Kulturpioniere der Kulturpolitik gleichsam eine Vorlage wie auch eine Handlungsaufforderung geliefert. In gewisser Weise füllt die Kulturpolitik hier eine Lücke der Umwelt- und Klimapolitik aus und handelt ihrerseits als umwelt- und klimapolitischer Akteur. Hierbei gilt es zu erkennen, dass es die zentrale klimapolitische Aufgabe ist, Treibhausgasemissionen zu mindern und im Sinne einer Klimaneutralität ökologische Nebenfolgen von Wirtschaft und Gesellschaft abzustellen. Diese klimapolitische Aufgabe haben sich Kultur- und Musikschaffende ebenso wie die Kulturpolitik inzwischen zu eigen gemacht.
Weitgehend ohne gesetzliche oder politische Vorgaben übernehmen Pioniere des Musikbereichs seit vielen Jahren Klimaverantwortung. Als eigene Antwort auf die globale Herausforderung der Erderwärmung definieren sie ihre Rolle, ihre Ziele und ihre Projekte. Hierbei haben die Regierungen sich auf den Weg gemacht, sie mit den erforderlichen Rahmenbedingungen zu unterstützen. Kulturelles Wirken besteht im Kern allerdings nicht in einem Vermeiden von negativen Auswirkungen, sondern in der Ermöglichung, Reflexion und Erneuerung kultureller Erfahrungen und Fundierungen. Zu Klimaverantwortung im Musikbereich gehört unbedingt Klimaschutz, Klimaanpassung und Klimakompensation. Die kulturspezifische Aufgabe geht jedoch darüber hinaus. Sie liegt dort, wo Musiker*innen, Veranstalter*innen und Konzerthäuser jenseits dominierender Alltagsrationalitäten ein vertieftes inneres Erleben ermöglichen und auf diese Weise ein „Korrelat zu einer wachsenden Verdinglichung des dominanten Weltverhältnisses“ [7] bieten.
[1] Auf Basis der einzig bekannten Berechnung zur Klimawirkung des Musiksektors betrug 2007 in Großbritannien der Anteil des Musiksektors an den nationalen Gesamtemissionen 0,08 Prozent; vgl. Bernhard König: Musik kann mehr. Warum Schadensbegrenzung zu wenig ist, in: Franz Kröger [u. a.] (Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22. Kultur der Nachhaltigkeit, Bielefeld 2022, S.337.
[2] So wurden die Teilnehmer*innen der Klimakonferenz 2017 (COP23) zur Eröffnung u. a. mit dem Klimasong „I’m an island“ der Musikerin Bernadette La Hengst begrüßt.
[3] In der UN Agenda 2030 wird der Beitrag der Kultur lediglich kurz in der Einführung und im Unterziel 4.7 angesprochen, die Musik ist nicht explizit genannt.
[4] Die internationale Initiative ist als Music Delcares Emergency Germany auch in Deutschland aktiv.
[5] Vgl. baden-württembergisches Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) und Kulturgesetzbuch Nordrhein-Westfalen.
[6] Vgl. Pilotvorhaben Klimabilanzen in Kulturinstitutionen der Kulturstiftung des Bundes (KSB) und Förderkriterien der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM).
[7] Martin Pfleiderer, Hartmut Rosa: Musik als Resonanzsphäre, in: Musik & Ästhetik, Bd. 24, Stuttgart 2020, S. 27.