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Sinnlichkeit in neuen deutschen Filmen
Hautnah

Kokon
© Jost Hering Filme

Mit den Filmtagen Hautnah möchte das Goethe-Institut die Aufmerksamkeit auf die Frauen vor und hinter der Kamera lenken. Auf ihre spezielle Sichtweise, auf den „Female gaze”, auf den weiblichen Erzählrhythmus, und die Geschichten darüber, wie es sich anfühlt, Frau zu sein. Wie Frauen Körperlichkeit und Sinnlichkeit im 21. Jahrhundert erleben.

Von Bogáta Sárossi

2014 wurde in Deutschland der Verein Pro Quote Regie gegründet, der heute Pro Quote Film heißt. Ein Verein von Filmschaffenden in Deutschland, die in einer diversen, gleichberechtigten und innovativen Film- und Medienbranche arbeiten möchten und bereit sind, sich für Veränderung einzusetzen. Sie nehmen Sender, Förderer und Filmhochschulen in die Verantwortung und fordern eine 50/50 Quote in der Film- und Medienbranche, da diese das einzige wirksame Instrument ist, um eine gerechte Teilhabe von weiblichen* Filmschaffenden zu erreichen.

Zum Start der Berlinale 2022 überreichte die Initiative Pro Quote Film live im Kanzleramt die gesammelten, in der Filmwirtschaft vorherrschenden Gleichstellungs-Missstände an die neue Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Claudia Roth. Die Filmemacherin Rigoletti hat visuell einprägsam und satirisch sechs Gleichstellungsmissstände der Filmindustrie – z.B. zu den Themen Gender Pay Gap, Das Gewicht der Kamera und Vorteil der Jugend – auch filmisch umgesetzt. Die Clips sind betont für die interessierte Öffentlichkeit aufbereitet und gedacht.

Mehr Frauen vor und hinter der Kamera, damit Geschichten, Sichtweisen und der kulturelle Output von Frauen sichtbar werden!

Motto von Pro Quote Film

Toni Erdmann © Komplizen Film Das Jahr 2016 war ein Jahr, in dem plötzlich erstaunlich viele Filme von deutschen Regisseurinnen auf den besten internationalen Festivals gezeigt wurden, in die Kinos kamen, und eine breite Aufmerksamkeit auf sich lenken konnten.

Toni Erdmann von Maren Ade war Publikums- und Kritikerliebling in Cannes, Wild von Nicolette Krebitz erregte beim Sundance Filmfestival Aufsehen. Maria Schrader wagte mit ihrer ersten Regiearbeit, Vor der Morgenröte ein besonderes stilistisches Experiment, und Anne Zohra Berrached sprach mit ihrem Film 24 Wochen über das gesellschaftliche Tabu der Schwangerschaftsunterbrechung. Karoline Herfurth drehte auch erstmals als Regisseurin SMS für dich, junge Regisseurinnen kamen mit ihren ersten Filmen heraus, wie Leonie Krippendof mit Looping und Theresa von Eltz mit 4 Könige. Doris Dörrie schickte Grüße aus Fukushima und Valeska Grisebach war dabei als Frau einen Film zu drehen, der in einer Atmosphäre von toxischer Männlichkeit spielte: Western. [1]

Seitdem gewinnen zahlreiche deutsche Regisseurinnen, die ihre eigenen Filme produzieren, schreiben und inszenieren, immer mehr an Sichtbarkeit.

Mit den Filmtagen Hautnah haben wir das gleiche Ziel: die Aufmerksamkeit auf die Frauen vor und hinter der Kamera zu lenken. Auf ihre spezielle Sichtweise, auf den „Female gaze”, auf den weiblichen Erzählrhythmus, und die Geschichten darüber, wie es sich anfühlt, Frau zu sein. Wie sie Körperlichkeit und Sinnlichkeit im 21. Jahrhundert erleben.

Kokon erzählt über die 14jährige Nora, die mit der Pubertät kämpft und ihre Liebe für andere Mädchen entdeckt. Leonie Krippendorf sagte dazu, sie wollte „einen Film machen, der besonders körperlich ist und der das Thema, dass sie ihre Periode bekommt, realistischer darstellt als sonst üblich. Das war der Anfangsgedanke und eine der ersten Szenen war die Szene zwischen Nora und Romy auf der Toilette.” [2]

Nackte Tiere © déjà-vu film Nackte Tiere berichtet über einen wichtigen Wendepunkt im Leben von fünf jungen Menschen, die mehrfach miteinander verbunden sind. Zwischen Kampfsporttraining und Entjungferungsgerede leben sie in allen möglichen Beziehungskonstellationen ihre Gefühle aus, suchen sich, verstecken sich, küssen und schlagen sich. „… ein Film, der dort ist, wo es weh tut. Dort, wo das Herz schlägt. Dort, wo wir uns verwundbar machen und gleichzeitig versuchen es keinesfalls zu sein.” formuliert die Regisseurin Melanie Waelde.

Glück/Bliss © Flare Film In Glück/Bliss erzählt Henrika Kull von zwei Frauen, die sich in einer Welt begegnen, in der weibliche Körper Waren sind. In ihrem „directors statement” sagt sie: Sehnsucht und Körperlichkeit, aber auch Orte sozialer Grenzerfahrung und Stigmatisierung sind Themen, die mich schon immer faszinieren. Eine Recherche führte mich 2010 erstmals in ein Bordell. Ich wollte erfahren, wie dieser Ort funktioniert: Wie würden die Frauen dort mit ihrer Weiblichkeit, wie würden sie miteinander, aber auch mit ihren Kunden umgehen?” [3]

In Wild von Nicolette Krebitz begegnet die Protagonistin am Stadtrand einem Wolf, der sie fasziniert. Sie fängt ihn ein, und die Nähe des Tieres bringt ihre animalische Seite zum Vorschein. Die Regisseurin sagte in einem Interview: „Der Körper zum Beispiel wird einem als wichtig verkauft, wird die ganze Zeit verteidigt und in Sicherheit gebracht, er wird auf ein immer längeres Leben hin getrimmt. Nicht mehr rauchen, nicht mehr trinken, man soll auf sich achten. Gleichzeitig entfernen wir uns ja immer weiter von unserem Körper und der wirklichen Nähe. Das hat mich interessiert.” [4]

Alle vier Filme betrachten also die Körperlichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln. Doch in all diesen Filmen zeigt eine neue Generation von Filmemacherinnen, dass sie die von heterosexuellen weißen Männern des letzten Jahrhunderts geprägte Filmsprache durch eine neue ersetzen kann.

Anmerkungen
[1] Toni Erdmann, 24 Wochen, Vor der Morgenröte und SMS für dich liefen auch in den ungarischen Kinos. Fast alle weiteren erwähnten Filme waren in Veranstaltungen des Goethe-Institut Budapest zu sehen.
[2] http://salzgeber.de/glueckbliss
[3] https://www.kinofenster.de/filme/archiv-film-des-monats/kf2008/kf2008-kokon-interview-krippendorff-urzendowsky/
[4] https://www.sueddeutsche.de/kultur/interview-mit-nicolette-krebitz-wir-versuchen-staendig-gefahr-zu-kontrollieren-1.2945717-2

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