Osteuropäisches Triptychon
I.
Unser Name ertönt im Lautsprecher
und wir springen auf. Unser Name
wird falsch geschrieben, falsch ausgesprochen,
doch wir lächeln ergeben.
Aus dem Hotel nehmen wir die Seife mit,
zur Bahnstation gehen wir zu früh.
Mit schwerem Koffer, in weiten Hosen
lungert überall ein Landsmann herum.
Die Züge fahren mit uns in die falsche Richtung,
und wenn wir zahlen, rollt uns das Kleingeld aus der Hand.
An unseren Grenzen haben wir Angst, über sie hinaus
verirren wir uns, aber wir erkennen einander.
Wir erkennen auch am anderen Ende der Welt
das vom Lampenfieber durchschwitzte Kleid.
Unter uns bleibt die Rolltreppe stehen, uns reißen
die Henkel aus den prallen Tragetaschen, und gehen
wir hinaus, heult der Alarm los.
Unter unserer Haut steckt ein strahlendes Schmuckstück,
der Mikrochip des schlechten Gewissens.
II.
Ich weiß, wo du wohnst, ich kenne diese Stadt.
Ich kenne diesen schwarzen Wasserfall.
Deine Mutter hat sich am Dach gesonnt,
im Sommer habt ihr im Bergbausee gebadet.
Ich kenne den Beinamputierten,
der im Toreingang wohnt.
Ich kenne dieses Land, seine
Züge, sein Weinen, seinen Chlorhimmel,
seinen sauren Regen, seinen trägen Schneefall,
seine zu warm gekleideten, blassen Säuglinge.
Ich weiß, wo du wohnst. Wo auch immer du lebst,
im Traum verfolgen dich verstümmelte Robinien
entlang der Straße, denkst du an die Heimat.
Nach dem Fest, wenn man den Baum, wie einen allzu schweren
Leichnam, an den Füßen zerrt, bleibst du stehen
und siehst zu, wie man ihn zu den anderen wirft.
Ich weiß, was du siehst. Den wirren Haufen menschlicher Körper,
auf ihren ausgestreckten, gelben Armen manch
vergessener Schmuck: eine blau-goldene,
geplünderte Weihnachtspraline.
III.
Ich heiße Alina Moldowa.
Komme aus Osteuropa,
meine Körpergröße beträgt 170 Zentimeter,
meine Lebenserwartung 56 Jahre.
In meinen Zähnen trage ich Amalgamplomben,
in meinem Herzen die ewige Beklemmung.
Mein Englisch versteht niemand,
mein Französisch versteht niemand,
akzentfrei spreche ich
nur die Sprache der Angst.
Ich heiße Alina Moldowa.
Meine Herzklappe ist eine unbewachte Schranke,
in meinen Adern fließen Gifte,
meine Lebenserwartung beträgt 56 Jahre.
Ich kann meinen zehnjährigen Sohn tragen,
besorge Mehl, steige in einen fahrenden Zug.
Du kannst mich schlagen, schütteln,
nur mein Ohrring klappert,
ein losgelöster Teil
in einem Motor, der noch läuft.
Übersetzt von György Buda
In:
Élet és Irodalom, 22. Dez. 2006, S. 22. (Originaltitel:
Kelet-európai triptichon).