Künstliche Intelligenz
Künstlich und doch kreativ
Portrait von Edmond de Belamy | Bild: Gemeinfrei
Wir begegnen ihr Tag für Tag – sei es beim Lesen von Nachrichten im Handy, bei der Suche nach der schnellsten Verkehrsverbindung, beim Online-Banking oder beim Autofahren. Sie macht uns das Leben leichter und ist inzwischen für uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Während künstliche Intelligenz in der Welt der Technik heute schon völlig normal ist, kann sie in der Welt der Kunst, die bis in allerjüngster Vergangenheit nur in Verbindung mit Emotionen und menschlicher Kreativität betrachtet wurde, auf Zweifel und Misstrauen stoßen.
Von Lucie Drahoňovská
GAN porträtiert Belamy
Immer häufiger dringen Algorithmen in die Welt der Kunst vor. Bereits im Oktober 2018 machte das Auktionsnetz Christie‘s von sich reden, als es für den ungewöhnlich hohen Preis von 432.500Dollar (rund 380.500 Euro) ein fiktives Porträt von Edmond de Belamy versteigerte. Auf dem maschinell generierten und auf traditioneller Leinwand gedruckten Bild befindet sich als Signatur die algebraische Formel „min G max D x [log (D(x))] + z [log(1 – D (G(z)))]“. Die Idee, ein Kunstwerk von einem Computer schaffen zu lassen, hatten die Mitglieder des Pariser Kunstkollektivs Obvious, das sich für die Demokratisierung der Kunst mittels künstlicher Intelligenz einsetzt. Die Künstler luden einen Datensatz mit 15.000 klassischen Porträts in ein neuronales Netz, und aus diesen generierte der Computer mit Hilfe eines speziellen Algorithmus, der unter der Bezeichnung Generative Adversarial Network (GAN) bekannt ist, eine Reihe neuer Bilder der fiktiven „La Famille de Belamy“, unter ihnen auch das erwähnte Porträt aus der Auktion.Die Autoren des Projekts erbrachten damit den Nachweis, dass künstliche Intelligenz in der Lage ist, menschliche Intelligenz nachzuahmen. Nach den sogenannten „Diskriminatoren“ im Computer, von denen die einzelnen Bilder beurteilt und ausgewählt wurden, wurde auch eine Jury „aus Fleisch und Blut“ in das Projekt mit einbezogen, die einschätzen sollte, ob es sich bei den Bildern um das Werk eines Menschen oder eines Algorithmus handelt. Darüber hinaus fanden die Pariser Künstler heraus dass Menschen auf Kunstwerke, die von Computern generiert wurden, ähnlich reagieren wie auf Kunstwerke, die von Menschen erschaffen wurden. Dies bedeute aber nicht, dass superintelligente Technologien in der Lage wären, Kunstwerke auf dem gleichen Niveau wie Menschen zu erschaffen – sofern man die Kunst als rein ästhetische Angelegenheit betrachtet.
Ein Algorithmus vollendet Beethovens Zehnte
Eine Symbiose von Algorithmus und Musik hat im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 die Deutsche Telekom initiiert. Ein internationales Team von Musikern und Computer-Experten arbeitete an der Vollendung der 10. Sinfonie, die der Komponist vor 250 Jahren begonnen hatte und zu der er zahlreiche Notenskizzen und Notizen hinterlassen hat – und testete damit die Möglichkeiten und Grenzen der Technik bei der Schaffung von Musik aus. „Schließlich haben wir einige Module genutzt, die sich auf die natürliche Sprachverarbeitung stützen. Es handelt sich um das sogenannte Natural Language Processing. Dabei haben wir versucht, diese Module so weit wie möglich der Generierung von Musik anzupassen“, erläuterte Professor Ahmed Elgammal, Mitglied des internationalen Teams. Überraschend war, dass der Algorithmus nicht nur nahtlos an Beethovens Ideen anzuknüpfen vermochte, sondern sogar stellenweise seine eigenen Ideen „hinzukomponierte“. Mit welchem Ergebnis? Die Komposition klingt wie eine monotone Sequenz und wirkt künstlich und roboterhaft. Dies ändert sich jedoch sofort, sobald das Werk von einem Menschen interpretiert wird.Der Teil der Komposition, der bisher fertiggestellt wurde, wurde der Fachöffentlichkeit bereits Ende 2019 vom Beethoven-Orchester vorgestellt und ist im Internet zu hören. Die Weltpremiere der vollendeten 10. Sinfonie von Beethoven wird im November 2020 aufgeführt.
Deutsche Telekom: Beethoven-Jahr 2020 | © Deutsche Telekom
Čapek aus der „Tastatur“
Auch auf den Brettern des Prager Švanda-Theaters wird ein einzigartiges Experiment umgesetzt: Hier soll das überhaupt erste Theaterstück entstehen, das aus der Tastatur künstlicher Intelligenz stammt. Das von der Technologie-Agentur der Tschechischen Republik geförderte und von Wissenschaftler*innen der Mathematisch-Physikalischen Fakultät der Karlsuniversität Prag initiierte Projekt „THEaiTRE“ soll zeigen, inwieweit künstliche Intelligenz in der Lage ist, ein gutes Theaterstück zu kreieren.Grundlage für die Entwicklung des Theaterstücks war, dass so viele englische Texte aus dem Internet wie möglich in die neuronalen Netze des KI-Systems eingelesen wurden, damit dieses lernt, wie ein Theaterstück aussehen soll. Auf dieser Basis wurde ein allgemeines Sprachmodell generiert, das von den Forscher*innen hinsichtlich des Genres und des Themas weiter ausgefeilt wird. Thematisch knüpfen sie an Karel Čapeks utopisches Drama R.U.R. an – das erste Theaterstück, das von Robotern handelt. „Wenn es uns gelingen würde, dass das Stück aussieht wie ein neues Werk von Karel Čapek, dann wäre das der Idealzustand. Aber wir wissen, dass das nur sehr schwer erreichbar ist“, erklärt Projektleiter Rudolf Rosa vom Institut für formelle und angewandte Linguistik der Karlsuniversität in Prag. „Auf jeden Fall wollen wir uns an die Themen von Čapek, die in der heutigen Zeit wieder an Aktualität zunehmen, und an das, was das Stück reflektiert, nämlich das Verhältnis zwischen Mensch und Roboter, halten. Wir versuchen, in gewisser Weise Einfluss auf das Thema des Stückes zu nehmen, wollen aber zugleich auch, dass der menschliche Beitrag am Skript so wenig wie möglich sichtbar ist und der überwiegende Teil des Theatertextes tatsächlich von künstlicher Intelligenz generiert wird“, hebt Rudolf Rosa hervor. Zwar werden bestimmte Eingriffe notwendig sein, jedoch wird alles in symbiotischer Zusammenarbeit zwischen künstlicher Intelligenz und Menschen ablaufen. Das letzte Wort werden der Dramaturg und die Schauspieler des Švanda-Theaters haben, die mit dem Text weiterarbeiten. Die Inszenierung soll im Januar 2021, zum 100. Jahrestag der Premiere von R.U.R., uraufgeführt werden.
Am Beispiel der Verbindung von Theaterinszenierung, Science-Fiction und computergestützter Verarbeitung und Generierung der Sprache von Karel Čapek wollen die Autor*innen des Projekts zur Entdämonisierung künstlicher Intelligenz beitragen. „Unser Ziel ist nicht, zu zeigen, dass progressive Technologien Alleskönner sind. Denn das, was sie können, ist abhängig von den Daten, die der Mensch eingibt. Künstliche Intelligenz kann Berater sein, im Idealfall kann sie ihre Vorschläge auch begründen, doch in den meisten Fällen handelt es sich um einen undurchsichtigen Prozess, an dem uns vor allem interessiert, warum gerade dieses oder jenes Ergebnis generiert wurde. Künstliche Intelligenz lernt und ahmt nur das nach, was sie gesehen hat, worauf sie von den Entwicklern vorbereitet wurde. Sie ist weniger flexibel als ein Mensch. Und der Mensch ist letztendlich auch derjenige, der die gesamte Verantwortung trägt“, legt Rudolf Rosa abschließend dar.