FC Bayern München, Borussia Dortmund oder FC St. Pauli? Für das fußballverrückte Deutschland ist die Frage nach dem Lieblingsverein auch eine Frage von Identität und Ideologie.
Von Berni Mayer
„Die größte Waffe der Bundesliga bleibt das Modell der Fanvereine“ – mit diesen Worten lobte ein englischer Fußballaktivist im März 2018 im Magazin 11 Freunde die Tatsache, dass der deutsche Fußball vergleichsweise resistent gegenüber einer totalen Kommerzialisierung geblieben ist. Rund 25.000 Vereine gibt es in Deutschland. Wie besonders das Verhältnis deutscher Fans zu ihren Klubs tatsächlich ist und welche Rolle etwa die politische Ausrichtung und die Milieuzugehörigkeit spielen, zeigt unsere Auswahl.
FC Bayern München: Ans Siegen gewöhnt
Der mit sechs Meisterschaften in Folge unangefochtene Bundesliga-Primus FC Bayern gilt als Verein mit nörgeligem Operettenpublikum und Mainstream-Zuschauern. Dabei wird vergessen, dass es in München gut vernetzte Gruppierungen besonders fanatischer Fans gibt. Diese sogenannten Ultras engagieren sich zum Beispiel gegen Rassismus. Saisontickets zwischen 140 Euro für Stehplätze und 750 Euro in der ersten Sitzklasse sorgen für eine automatische Milieuzuordnung in Richtung Besserverdienender.
Borussia Dortmund: Fan-sein ist Arbeit
Fans des ewigen Bayern-Jägers Borussia Dortmund stehen im Ruf, besonders loyal und krisensicher zu sein. Dies suggeriert zumindest der von Fans und Verein ausgegebene Claim der „Echten Liebe“ – in Verleugnung kapitalistischer Höhenflüge und des Transfergrößenwahns der 1990er-Jahre. BVB-Fans definieren sich gerne in Abgrenzung zum Rivalen Bayern München als kerniger und aufrichtiger. Tatsächlich bildet die „gelbe Wand“, die Südtribüne des über 80.000 Zuschauer fassenden Heimatstadions, eine eindrucksvolle Kulisse der Identifikation. Dabei wird manchmal vergessen, dass auch ein Verein wie Dortmund hauptsächlich von wirtschaftlichen Interessen geleitet wird. Das unterstützen die Fans eben nicht nur mit Ideologie, sondern mit Rekorden von bis zu 1,4 Millionen Zuschauern pro Saison.
FC Schalke 04: Kohlenpott-Klub und Erzrivale
Schalke-04-Fans | Foto (Ausschnitt): © FC Schalke 04
Der im 50 Kilometer entfernten Gelsenkirchen beheimatete FC Schalke 04 und Borussia Dortmund gelten als größte Rivalen der deutschen Fußballgeschichte. Ihre Duelle – „Revierderbys“ genannt – haben für die Fans beinahe die Bedeutung eines Champions-League-Endspiels. Und doch weisen Fans und Vereine mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. Zwar hat Schalke 04 nach dem FC Bayern die meisten Vereinsmitglieder und zahlt über 90 Millionen Euro für seinen Spieler-Kader. Dennoch sehen sich die Schalker wie der BVB als Arbeiter-Verein, basierend auf einer langen Tradition als Kohlenpott-Klub, die beinahe ins Mythische geht.
RB Leipzig: Der Anti-Traditionsverein
Ein relativ neuer Mitstreiter im Spiel um die oberen Tabellenplätze ist RB (Rasenballsport) Leipzig. Der Verein wurde 2009 mit einer 99-prozentigen Inhaberschaft des Red-Bull-Konzerns gegründet. Dem von Fans und Fachpresse oft gleichermaßen geschmähten „Plastik-Club“ gelang der Aufstieg von der fünften in die erste Liga spielerisch. Sogar in der Champions-League trat der Verein bereits auf. Spötter behaupten, den originären Leipzigfan gebe es gar nicht – doch pro Spiel kommen 30 000 Zuschauer ins Stadion. Ausverkauft war die Red-Bull-Arena, das Heimatstadion von RB Leipzig, allerdings seit Längerem nicht mehr.
Energie Cottbus: Beast from the East?
Energie Cottbus, einer der wenigen verbleibenden DDR-Vereine und aktueller Bundesligadrittligist, macht mit Negativschlagzeilen von sich reden. Die rassistischen Pöbeleien mehrerer hunderter rechtsextremer Cottbus-Fans bei einem Spiel im April 2017 führten schließlich zur bundesweiten Kampagne „Nazis raus aus den Stadien“. Im Mai 2018 posierten Cottbus-Fans mit weißen Glockenkapuzen im Stil des Ku-Klux-Klan. Inzwischen wehrt sich die Vereinsführung gegen das Image ihrer Anhänger als Pyromanen und Rechte – und ruft den großen, aber stilleren Teil des Publikums zu Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit auf, um „ein echtes Bild von Fußballfans unseres Vereins zu transportieren“.
FC St. Pauli: Good Guy-Piraten
Fußballer und Fans: Jubel und Abklatschen | Foto (Ausschnitt): © Picture Alliance/firo Sportphoto/Jürgen Fromme
Der Hamburger Zweitliga-Verein ist tief verwurzelt in der linken Hausbesetzerszene und gilt gleichermaßen als soziales Gewissen des deutschen Fußballs wie Schutzpatron des authentischen deutschen Fußballfans. In der Saison 2018/19 werden die Spieler in den Regenbogenfarben der LGBT-Gemeinde (lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen) auflaufen. Außerdem organisiert der Verein einen „Lauf gegen Rassismus“, betreut das globale Trinkwasser-Projekt Viva con agua und setzt sich gegen sexistische Werbung ein. Beim FC St. Pauli laufen übrigens 30 Prozent aller Dauerkarten auf weibliche Namen, und in einer Erhebung von 2017 wurde der Anteil weiblicher Fußballfans auf 41,4 Prozent beziffert.