Seit 2010 wird an fünf deutschen Hochschulen Islamische Theologie angeboten. Wie erfolgreich arbeiten die Studiengänge und welchen Einfluss nehmen die Hochschulen? Eine Bilanz.
In Deutschland leben mehr als vier Millionen Muslime, 750.000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens besuchen deutsche Schulen. Der Islam gehört zu Deutschland. Das ist kein provokanter Satz mehr, sondern eine Tatsache. Trotzdem war Islamische Theologie an deutschen Universitäten lange nicht vertreten und lange mussten Schüler auf islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache warten.
2010 hatte der Wissenschaftsrat, das wichtigste Beratungsgremium der deutschen Bildungspolitik, deshalb empfohlen, an deutschen Universitäten Islamische Studien einzurichten. Religionsgelehrte sollten dort ausgebildet werden, Imame und vor allem auch Lehrer für den islamischen Religionsunterricht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte Islamzentren an den Universitäten in Münster, Osnabrück, Frankfurt am Main, Tübingen und Erlangen-Nürnberg mit insgesamt 20 Millionen Euro für fünf Jahre. Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan war die treibende Kraft des Projekts. Sie erhoffte sich eine Theologie, die es schafft, Religion in die Gegenwart zu übersetzen. Das neue Fach sollte auch ein Meilenstein für die Integration sein.
Gute Noten für ein neues Fach
Im Jahr 2016 wurde eine Zwischenbilanz gezogen, das Fach evaluiert. Die Bewertung von Islamwissenschaftlern und Theologen fiel positiv aus. Der muslimische Glaube habe mit den Zentren eine Heimat in der wissenschaftlich-theologischen Diskussion gefunden, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka. Rund 1.800 Männer und Frauen sind an den Universitäten in die Bachelor- und Masterstudiengänge eingeschrieben. Für weitere fünf Jahre sollen die Fördergelder fließen. Auch in Paderborn und Freiburg sind Fakultäten für Religionspädagogik und Theologie entstanden. Berlin diskutiert noch darüber.
Der Weg war nicht einfach. Eine Hürde stellte die Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden dar. Zu ihnen zählen etwa die Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion), der Islamrat und der Zentralrat der Muslime. Auch wenn sie nur gut ein Drittel der Muslime in Deutschland vertreten, gehören ihnen doch über 80 Prozent der Moscheegemeinden an. Sie sind über sogenannte Beiräte in die Islamstudien an den Hochschulen eingebunden. Bei Personalentscheidungen und auch Lehrinhalten sollen sie – ähnlich wie die Kirchen an christlich-theologischen Fakultäten – ein Mitspracherecht haben. Diese Verbände sind sehr konservativ-orthodox ausgerichtet. Theologie ist für sie die Verwaltung von Religionsgelehrsamkeit. Viele Wissenschaftler warnten deshalb vor einem übergriffigen Verhalten der Verbandsfunktionäre – das die Freiheit von Forschung und Lehre an einer staatlichen Universität torpedieren würde.
Sorge um die Deutungshoheit
Wie schwierig diese Zusammenarbeit sein kann, zeigte sich besonders deutlich in Münster. Dort leitet Mouhanad Khorchide das Zentrum für Islamische Theologie. Khorchide will den Islam von innen heraus erneuern. Vernunft und Mündigkeit des Gläubigen stellt er dabei in den Mittelpunkt. Die Verbandsfunktionäre fürchteten um ihre Deutungshoheit des Islams in Deutschland. Der in ihren Augen viel zu liberale Professor würde sich außerhalb des Islams bewegen und nicht bekenntnisgebunden lehren. Sie forderten seinen Rücktritt und ließen ein entsprechendes Gutachten erstellen, das seine angeblichen Verfehlungen aufzeigen sollte. Die Universitätsleitung hielt zu Khorchide. Seitdem herrscht eine Art Burgfrieden.
Eine weitere Hürde stellte die Besetzung der Stellen dar. Woher soll das wissenschaftliche Personal so schnell kommen? Die Professoren sollten nicht nur eine qualifizierte theologische Ausbildung besitzen, sondern auch in der Lage sein, auf Deutsch zu lehren. Nicht alle Stellen konnten optimal besetzt werden. Aber die Startschwierigkeiten sind größtenteils überwunden.
In der Zwischenzeit sind viele Lehrstühle besetzt, es hat sich eine Vielfalt entwickelt, die Zentren haben unterschiedliche Schwerpunkte, die einen konzentrieren sich mehr auf die Koranexegese, die anderen mehr auf Islamisches Recht. In Münster etwa ist einer der Forschungsschwerpunkte Islamische Normenlehre und ihre Methodologie, in Frankfurt/Gießen ist ein Schwerpunkt etwa Islamische Religionspädagogik. Allen gemeinsam ist: Sie wollen eine historisch-kritische Lesart des Korans ermöglichen und eine Brücke zur Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland schlagen.
Trennung von Glauben und Wissenschaft
Und wie ist es um die Studierenden bestellt? „Viele von ihnen streben nach Glaubensvertiefung, nicht nach wissenschaftlichem Arbeiten“, sagt etwa Harry Harun Behr, Professor für Religionspädagogik in Frankfurt am Main. Auch Mouhanad Khorchide kennt die Herausforderung, den Studierenden klarzumachen, was Theologie an einer säkularen Universität bedeutet. Vielen falle es noch schwer, zwischen Glauben und Wissenschaft zu trennen. „Sie wollen ihren Glauben bestätigt sehen, die Universität ist aber ein Ort, um über den Glauben zu reflektieren.“ Es werde wohl noch ein bis zwei Studentengenerationen dauern, bis das wirklich bei allen angekommen sei.
Das Fach Islamische Theologie steht in Deutschland noch am Anfang. Trotzdem kann sich die Entwicklung sehen lassen. In Deutschland ist eine größere Freiheit des Denkens möglich als in den meisten islamischen Herkunftsländern. Eine Chance, die es zu nutzen gilt.
Das Graduierten-Kolleg, das die Universitäten gemeinsam mit der Mercator-Stiftung ins Leben gerufen haben, ist ein Schritt in diese Richtung. Ziel des Kollegs ist es, den Mangel an in Deutschland ausgebildeten Wissenschaftlern zu beheben. Es hat bereits fast 20 hervorragend qualifizierte Nachwuchswissenschaftler hervorgebracht. Sie werden die Theologie in Deutschland in Zukunft prägen, Muslime in Wissenschaft, Schule und Öffentlichkeit repräsentieren – Islam made in Germany.