Sogenannte Coworking Spaces gelten als Wegbereiter neuer Formen des Wissenstransfers und kollaborativen Arbeitens. Inwieweit können Bibliotheken als klassische Orte der Wissensvermittlung von diesen neuen Ansätzen profitieren? Ein Gespräch mit Uwe Nüstedt von der Stadtbibliothek Wolfsburg und Christian Cordes, Mitarbeiter eines Coworking Space.
Herr Cordes, was versteht man unter einem Coworking Space?
Ein Coworking Space ist ein Ort, an dem Menschen Infrastruktur und Ressourcen teilen, vom Arbeitsplatz über den WLAN-Anschluss bis hin zum Drucker. Der wichtigere Aspekt ist aber, dass sie in eine Gemeinschaft eintreten, vom Wissen des Anderen profitieren, sich gegenseitig Unterstützung leisten und dadurch für ihre individuelle Tätigkeit profitieren. Für mich ist Coworking eine Bewegung, die auf fünf Grundwerten basiert: Gemeinschaft, Zusammenarbeit, Vielfalt, Offenheit und Nachhaltigkeit.
Herr Nüstedt, sind Bibliotheken bereits traditionell Coworking Spaces?
Nüstedt: Bibliotheken sind immer Orte gewesen, an denen man zusammenkommt, Treffpunkte, die zum kollaborativen Arbeiten genutzt wurden. Dennoch sehe ich große Unterschiede zu den aktuellen Ausprägungen von Coworking. Bibliotheken definieren sich im Augenblick noch relativ stark über die Bereitstellung von Medien, während der moderne Coworking-Gedanke ja ein ganz anderer ist: Hier geht es letztlich um den Austausch von Wissen.
Cordes: Ich sehe im Augenblick auch wesentlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Beim Coworking geht es, im Unterschied zu einer Bibliothek, letztlich um den Aufbau einer Gemeinschaft, also die Etablierung sogenannter Soft Skills. Bibliotheken sind auf dem Weg, ihre Angebote an die Erfordernisse der digitalen Gesellschaft anzupassen. Nur mit der Zuschreibung der Labels Coworking und kollaborativer Arbeitsplatz wäre ich vorsichtig.
Sinnvolle Kooperation
Trotz aller Unterschiede können Coworking Spaces und Bibliotheken voneinander profitieren. Auch Sie beide kooperieren miteinander.
Nüstedt: Ja, wir hatten in der Stadtbibliothek Wolfsburg vor einiger Zeit die Idee, einen sogenannten Smartphone-Treff anzubieten, in dessen Rahmen man sich über die Nutzung mobiler Geräte informieren kann. Es kam dann schnell zu einer Kooperation mit dem Medienzentrum und dem Coworking Space Schiller 40, den Christian Cordes leitet. Mittlerweile hat sich der Treff fest etabliert und ist eine große Bereicherung für die Mitarbeiter der Bibliothek. Ich selbst lerne auch jedes Mal etwas dazu.
Cordes: Ganz entscheidend war für mich an der Kooperation mit der Stadtbibliothek Wolfsburg, dass sie aus der Motivation aller Beteiligten heraus entstanden ist. Es gab keinen Auftrag, kein Programm. Ich halte das auch für den einzig gangbaren Weg, wie hier alle Akteure sinnvoll voneinander profitieren können. Auf dieser Grundlage haben wir ein Konzept aus der Praxis entwickelt.
Ich finde, man sollte vorsichtig sein, Bibliotheken aus Innovationsdruck etwas überzustülpen, was sie vielleicht nicht leisten können. Die Bereitstellung von Infrastruktur und Ressourcen machen Bibliotheken ja noch nicht automatisch zu modernen Stätten kollaborativen Arbeitens. Der Schwerpunkt einer Bibliothek liegt in der Bereitstellung von Medien und Informationen und unterscheidet sich vollkommen von der Arbeitsweise eines Coworking Space.
Sehen Sie das auch so, Herr Nüstedt?
Ich gebe Herrn Cordes natürlich Recht, dass wir hier noch viel Entwicklungsarbeit vor uns haben. Aber ich glaube schon, dass unser Schwerpunkt in Zukunft verstärkt in der Wissensvermittlung liegt. Wenn es beispielsweise um neue Informationstechnologien geht, sollte eine Bibliothek nicht nur relativ abstrakt über Chancen und Risiken diskutieren, wie das bereits geschieht, sondern sich darum kümmern, die Geräte, um die es geht, anzuschaffen und beispielsweise Bibliotheksmitarbeiterinnen und
-mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, zu experimentieren.
Kompetenzen erweitern
Inwiefern muss sich die Kompetenz der Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter weiterentwickeln, um den neuen Anforderungen genügen zu können?
Nüstedt: Wenn wir den Anspruch haben, im Sinne der neuen Rolle von Bibliotheken als Vermittler von Wissen die Menschen, die zu uns kommen, individuell beraten zu können, steigen natürlich auch die Anforderungen an die Bibliotheksmitarbeiterinnen und
-mitarbeiter. Das setzt voraus, dass sie kommunikativ, neugierig und grundsätzlich aufgeschlossen sind für neue Dinge. In Zukunft wird der medienpädagogische Aspekt immer wichtiger werden. Allerdings kann ich mir auch arbeitsteilige Modelle vorstellen. Wir sollten Bibliotheken als offene Orte denken, an denen etwa auch Medienpädagogen eine wichtige Rolle spielen.
Was halten Sie von Projekten, die eine Kooperation von Bibliotheken mit Start-up-Netzwerken anstreben?
Nüstedt: Grundsätzlich finde ich das interessant, wenngleich ich glaube, dass hier noch viel Entwicklungsarbeit seitens der Bibliothek zu leisten wäre. Unter den momentanen Rahmenbedingungen kann ich mir das für Bibliotheken nicht vorstellen.
Cordes: Ich bin eher skeptisch. Im Grunde tritt man hier in Konkurrenz zu den klassischen Wirtschaftsförderungen. Selbst in Coworking Spaces, die gewissermaßen von der Struktur schon darauf anlegt sind, als frühe Inkubatoren von Geschäftsmodellen zu fungieren, stößt man bei konkreten Fragen zu Existenzgründungen schnell an seine Grenzen.
Uwe Nüstedt (links) und Christian Cordes
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Uwe Nüstedt (links) ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Stadtbibliothek Wolfsburg und Zukunftsentwickler beim Netzwerk Zukunftswerkstatt.
Christian Cordes ist Mitarbeiter des Schiller40 Coworking Space im Kulturwerk der Stadt Wolfsburg. Er ist Sprecher der Coworking Initiative Deutschland, der Dachorganisation der Coworking Spaces in Deutschland.