KI & IP: Wem gehört von einer Maschine gemachte Musik?
Erinnern Sie sich noch an Napster? Ein paar Kids mit einem unausgereiften Prototyp für den Vertrieb von Musik auf diesem neuen Ding namens Internet wurden in den Vorstandsetagen der Musikindustrie ausgelacht. Sie gingen in Eigenregie an den Start und fünf Jahre später war der Gesamtumsatz der Musikindustrie auf ein Drittel ihres Höchstwertes eingebrochen. Sie sollte sich nie mehr erholen. Wir stehen vor einer neuen bedeutenden technologischen Umwälzung in der Musik – dem Aufkommen kreativer künstlicher Intelligenz – und es liegt derselbe berauschende Duft von Chancen gemischt mit einer möglichen Katastrophe in der Luft.
Diesmal geht es um geistiges Eigentum. Und diesmal müssen wir es richtig machen.
Von Rupert Parry
Die moderne Musikindustrie operiert auf der Basis von geistigem Eigentum. Das sieht man ehrlich gesagt schon, wenn man sich einfach nur die Gerichtsverfahren (von denen es jede Menge gibt) oder die kürzlichen Rekordinvestitionen in Musikrechte ansieht. Aber für eine Industrie, die Sampling und Cover-Songs erfunden hat, ist die Beziehung zu IP nach wie vor komplex, instabil und widersprüchlich. Insbesondere, was künstliche Intelligenz betrifft.
Das liegt daran, dass es bei IP darum geht, dass Songschreiber*innen (oder Musiker*innen oder Produzent*innen) die Rechte an einem Musikstück besitzen, zudem sie beigetragen haben. Wenn jedoch KI involviert ist, ist unklar, von wem genau der Beitrag stammt. Denn während wir an KI als dieses eine amorphe Ding denken, enthält sie in Wirklichkeit Vielheiten: den Code, mit dem ihre Algorithmen geschrieben sind, die Daten, mit denen sie gefüttert wird, die Menschen, die diese Daten verarbeiten, und die Person am Ende der Kette, die den Startknopf drückt.
Das wird zum Problem werden. Während KI häufig in eher akademischen Zusammenhängen diskutiert wird, wird der Einfluss kreativer KI in der Musik erheblich sein und es wird – und das ist wichtig – nicht nur darum gehen, dass Computer Lieder schreiben. KI beflügelt bereits jetzt neue Formen der Audiosynthese, mastert Tracks, kreiert bis dato unmögliche Instrumente und Stimmnachbildungen. Sie hat das Potential, zu jedem Aspekt der Musikproduktion beizutragen, bei dem ein Muster abstrahiert und angewendet werden kann.
Die Frage lautet also: Wem gehört ein von einer KI geschriebenes Lied, ein von einer KI geschaffenes Instrument oder eine KI-Stimme?
Und noch entscheidender, wem sollten sie gehören?
Träumen Androiden von Eigentumsrechten?
Die Musikindustrie ist nicht die erste, die sich mit dieser Frage auseinandersetzt. In der Tat schuf ein Gerichtsverfahren zu Telefonbüchern aus dem Jahr 2007 in Australien einen Präzedenzfall dafür, wie algorithmisch generierte Inhalte urheberrechtlich geschützt sind (ja, Sie haben richtig gelesen, Telefonbücher).
In Australien schuf ein Gerichtsverfahren zu Telefonbüchern aus dem Jahr 2007 einen Präzedenzfall dafür, wie algorithmisch generierte Inhalte urheberrechtlich geschützt sind.
| © Unsplash
Die Gelben Seiten stellten fest, dass einer ihrer Konkurrenten Ergebnisse direkt aus ihrer Datenbank entnahm, und zerrten ihn prompt wegen Urheberrechtsverletzung vor Gericht. Nach einiger Überlegung wartete das Gericht jedoch mit einem unerwarteten Ergebnis auf: Da das Telefonbuch von einem Algorithmus und mit minimaler menschlicher Leistung zusammengestellt wurde, unterlag es nicht dem Urheberrechtsschutz. Die Klage wurde abgewiesen.
Auch wenn es bei diesem Präzedenzfall um einen recht einfachen Algorithmus ging, sind die Konsequenzen für KI-generierte Werke massiv. KI-Systeme wie der Telefonbuch-Algorithmus finden automatisch Muster in den Daten, mit denen sie gefüttert werden, und geben ein Ergebnis aus. Während es um den eigentlichen Prozess herum jede Menge menschliche Leistungen gibt, findet die eigentliche Generierung autonom statt. Angesichts des Präzedenzfalls entfällt in Australien daher wahrscheinlich der Urheberrechtsschutz für KI-Musik.
Ähnliche Debatten finden auf der ganzen Welt statt. In den USA, die man getrost als finanzielles Zentrum der heutigen Musikwelt bezeichnen kann, sind KI-Songs dem Risiko ausgesetzt, aufgrund ihrer Abhängigkeit von den Daten anderer als „abgeleitete Werke“ eingestuft zu werden. Diese abgeleiteten Werke verfügen über keinen Urheberrechtsschutz und können sogar eine Urheberrechtsverletzung für die ursprünglichen Rechteinhaber*innen darstellen. Wenn Kreative bereit wären zu argumentieren, dass die Benutzung dieser Daten „lautere Nutzung“ sei, hinge das Ergebnis einer solchen Anfechtung von den Ansichten eines einzelnen Richters ab – ein Grad an Unsicherheit, bei dem es allen ernsthaften Musiker*innen mulmig werden dürfte.
So scheint es, als hätten frühe gerichtliche Entscheidungen uns für eine Welt aufgestellt, in der KI-erstellte Inhalte nicht besitzbar sind. Damit bleibt Kreativschaffenden jedoch keinerlei finanzieller Anreiz, mit kreativen Nutzungsmöglichkeiten von KI zu experimentieren oder zu innovieren, da alles, was sie produzieren, frei von Urheberrechten und damit nicht monetarisierbar ist.
Eine Gruppe namens The Artificial Inventor Project hat sich zum Ziel gesetzt, das zu ändern. Sie baute ein Modell namens DABUS, das zu seltsamen, aber einzigartigen Erfindungen fähig ist. Indem die Gruppe dann versucht, diese Erfindungen in Ländern in aller Welt patentieren zu lassen, hofft sie, zeigen zu können, dass ein KI-generiertes Werk Eigentum sein kann. 2021 war sie erfolgreich und das südafrikanische Patentamt sprach als weltweit erstes einer KI die Urheberschaft an einem Patent zu. Infolgedessen haben ihre Erfinder*innen Anspruch auf alle Erträge aus der Nutzung des Patents.
Aber während die Monetarisierung einer Erfindung ein Schritt in die richtige Richtung zu sein scheint, könnte man fragen, ob die Erfinder*innen von DABUS 100% der Erträge bekommen sollten. Wenn man nach dem geht, was das Artificial Inventor Project öffentlich über seinen Algorithmus verraten hat, scheint DABUS – wie die meisten anderen KI-Systeme auch – anhand eines Haufens von Daten trainiert worden zu sein, die von anderen erstellt wurden. KI ohne Trainingsdaten ist nur eine leere Hülle, ein Haufen Code, der weiß, wie man Muster lernt, aber nichts hat, mit dem er lernen könnte. DABUS ist nicht einfach eine einmalige Erfindung, sondern verdankt (wie jede KI) faktisch seine Existenz den Daten, mit denen es trainiert wird.
Während also die Abgabe der Rechte an jeglichen computergenerierten Werken Innovation im Keim erstickt, ignoriert die Vergabe aller Rechte an die Person, die den Code ausführt, wo die Intelligenz einer KI herkommt. Die Tatsache, dass viele moderne große KI-Modelle mit nicht-lizenzierten Daten operieren, ist hierbei ebenfalls nicht hilfreich (eines der größten KI-Musikmodelle, Jukebox, wurde auf 1,2 Millionen Songs trainiert, die ohne Genehmigung aus dem Internet gepflückt wurden).
Es muss einen Mittelweg geben, und zwar einen, der nicht nur diejenigen unterstützt, die die KI einsetzen, sondern auch diejenigen, deren Daten für ihr Training benutzt werden.
Bei Musik geht es um den, äh… Vibe des Ganzen.
Die meisten modernen KI-Algorithmen sind statistische Modelle, die ‚Verluste‘ über einen Datensatz minimieren. In der Praxis heißt das, dass die KI versucht, ihren Datensatz so genau wie möglich zu emulieren. Im Musikbereich kann man genau das in einem von Open AIs Jukebox generierten Song hören, die zum Teil mit dem Backkatalog von Prince trainiert wurde – ihre Ähnlichkeit mit Prince ist, wenn auch etwas entstellt, ebenso deutlich wie frappierend.
Auch wenn KI-Outputs keinen tatsächlichen Teil der ursprünglichen Daten in sich tragen, könnte jede Ähnlichkeit mit urheberrechtlich geschützten Werken die Grundlage für ein verheerendes Verletzungsverfahren sein, wofür es in der Musikindustrie auch jede Menge Präzedenzfälle gibt.
2015 verklagte die Familie von Marvin Gaye erfolgreich Robin Thicke & Pharrell Williams für ihren Song Blurred Lines, weil er trotz der Tatsache, dass die Songs keine Melodien, Akkorde oder Samples gemeinsam hatten, angeblich Gayes Got To Give It Up verletzte. Stattdessen konzentrierte sich das Verfahren auf die ‚Stimmung‘ des Songs, die ähnlich genug war, dass das Gericht Gayes Familie knapp $5 Millionen zusprach. Und erst in diesem Jahr verteilte Olivia Rodrigo unter öffentlichem Druck Songwriting-Credits an Künstler*innen, die ihr jüngstes Album beeinflusst hatten, weil ihre Songs einen ähnlichen ‚Vibe‘ hatten.
Dasselbe gilt für den Stil und die charakteristischen Merkmale individueller Kunstschaffender. 1998 verklagte Bette Midler erfolgreich die Ford Motor Co., nachdem diese eine von Midlers Backgroundsängerinnen angeheuert hatte, um sie für eine Autowerbung zu verkörpern. Ford hatte die Erlaubnis für die Nutzung des Songs und Midlers Name und Bild wurden nicht benutzt, sodass der Fall ein Test dafür war, ob die Entsprechung von Midlers Stimme urheberrechtsfähig war. Wie sich herausstellte, lautet die Antwort darauf ja.
Wenn Ihre KI also mit den Liedern, dem Stil oder der Stimme bestimmter Künstler*innen trainiert wurde, ist das Output angesichts des derzeitigen Standes der Musik vermutlich nicht Ihr Eigentum. Auf der einen Seite ist das auch gut so – niemand will eine Welt, in der sich jede*r die harte Arbeit von Kunstschaffenden kostenlos aneignen und ausschlachten kann. Auf der anderen Seite jedoch gibt es für aufstrebende Kunstschaffende in diesem Bereich keinen klaren Weg nach vorne. Kunstschaffende brauchen eine faire rechtliche Struktur, innerhalb derer sie mit KI experimentieren und kreieren können, ohne Angst haben zu müssen, in Grund und Boden geklagt zu werden.
Die Zukunft von Musik & geistigem Eigentum
Wie lösen wir dieses Problem also? Ich bin überzeugt, dass wir einen Weg brauchen, Daten einfach zu lizenzieren und über Lizenzgebühren fair zu kompensieren — was sowohl Künstler*innen, die Originalmusik kreieren, als auch denjenigen, die mit neuen Technologien innovieren, Anreize liefert und Schutz bietet.
Die in Berlin lebende Musikerin Holly Herndon hat eine KI-Emulation ihrer Stimme produziert, Holly+. | Wikimedia Commons Die in Berlin lebende Elektro-Musikerin Holly Herndon hat bereits vorgemacht, wie das funktionieren könnte. In einer Kollaboration mit Never Before Heard Sounds produzierte sie eine KI-Emulation ihrer Stimme, Holly+. Wer möchte, kann seine Stimme hochladen, in Hollys Stimme verwandeln lassen und diese kostenlos benutzen. Für jede kommerzielle Nutzung von Holly+ dagegen agiert eine DAO als Community-Gatekeeper und Nutznießerin von Hollys Stimme. Wir könnten Blockchainsysteme wie dieses nutzen, um die Herkunft der Daten zu garantieren, und sicherstellen, dass den individuellen Mitgliedern bestimmter Datensätze Geld zufließt.
Tatsächlich existiert in Australien etwas Ähnliches auf Regierungsebene bereits – ein gesetzliches Lizenzsystem erlaubt in bestimmten Fällen die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material ohne explizite Genehmigung, sofern die Rechteinhaber*innen angemessen entschädigt werden. Das ist das „Lieber um Vergebung als um Erlaubnis bitten“-Modell der lauteren Nutzung. Es wird hauptsächlich etwa von Universitäten oder Schulen benutzt, die an Schüler*innen oder Studierende ein Exzerpt aus einem Buch ausgeben möchten, und könnte, für Datenrechte adaptiert, ein leistungsstarkes Instrument sein. Ein solches System würde es Technolog*innen erlauben, Musik uneingeschränkt zu benutzen, aber die Musikschaffenden, deren Daten benutzt wurden, durch Mikrolizenzgebühren im Rahmen der Standard-Lizenzeinnahmen kompensieren.
Geistige Eigentumsrechte sind wichtig, aber wenn sie überstrapaziert werden, können Sie Kreativität im Keim ersticken. Technologie ist wichtig, aber wenn wir ihre Konsequenzen nicht im Voraus bedenken und gebührend berücksichtigen ... nun, wir haben alle gesehen, was dann passiert. Wenn wir es schaffen, einen Mittelweg zu gehen, können wir einer neuen Generation von KI-Kreativen und Musikschaffenden Sicherheit in Bezug auf den Wert ihrer Werke und Rechteinhaber*innen neue Einnahmequellen verschaffen. Aber wir müssen gestern damit anfangen – die Technologie existiert bereits. Und während es einfach ist, sich diese Art von KI als magische Intelligenz in der Cloud vorzustellen, sind es in Wirklichkeit Menschen und Kunstschaffende, die die harte Arbeit erledigen. Sie verdienen es, dafür bezahlt zu werden.
Die Musikindustrie bietet jede Menge Potential für KI und wir sollten dem keinen Riegel vorschieben. Aber eine Welt, in der Technolog*innen ohne die Möglichkeit von Rechtsmitteln Musik stehlen und Imitationen generieren können, ist eine ungerechte Welt.