Fotografie
Interview mit Nora Scheidler und Rangga Purbaya

Bücher im Regal
© Rangga Purbaya

“Stories Left Untold”, eine Ausstellung kuratiert von Budi N.D. Dharmawan, erzählt von vergessen geglaubten und unterdrückten Erinnerungen vergangener Zeiten der deutschen und indonesischen Geschichte. Die Arbeiten sind eine sehr persönliche Suche nach der Wahrheit der beiden jungen Fotografen Rangga Purbaya und Nora Scheidler. Die Ausstellung wurde am 2. Oktober 2015 in der iCAN Galerie, Yogjakarta eröffnet.
 
Können Sie uns einen kurzen Überblick darüber geben, was das Projekt „Stories left untold“ beinhaltet und wie die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden entstanden ist?
 
Rangga Purbaya: In “Stories Left Untold” geht es um Familiengeschichte, eine Geschichte die von den Kindern und Enkeln verborgen wurde, weil sie sehr traumatisierend war und niemand darüber sprechen wollte. Wir versuchen tiefer zu graben indem wir die Schauplätze der Verbrechen besuchen, Interviews führen und Dokumente und Archive sichten. Für mich ist es wie Puzzleteile zusammenzusetzten um eine weiter gefasste Narrative zu bekommen. Nora und ich teilen dieselbe Geschichte insofern, als dass unseren Familien durch ein repressives Regime Leid angetan wurde.
 
Nora Scheidler: “Stories Left Untold” ist eine deutsch-indonesische Fotoausstellung, in der Rangga und ich auf eine Reise gehen, um mehr über die Vergangenheit unserer Familienangehörigen zu erfahren, welche entweder verschwunden sind oder unschuldig verhaftet wurden. Ich denke, dass die Traumata einer Familie über Generationen weitergegeben werden. Ich hatte bereits meinen Großvater über seine Erfahrungen im 1. und 2. Weltkrieg befragt und wollte ebenfalls in Erfahrung bringen was meinen Eltern passiert war. Mein Vater wurde als junger Mann verhaftet und verbrachte eineinhalb Jahre in Haft, nur weil er Flugblätter verteilte, in welchen er zu Frieden aufrief. Es war Tina [Tina Schott-Projektkoordinatorin], die die Idee hatte, anlässlich der Jahrestage der indonesischen Unabhängigkeit und der deutschen Widervereinigung, zwei Perspektiven einer Familiengeschichte der  jeweiligen Länder aufzuzeigen.
 
Ihre Projekte scheinen sich zu ergänzen insofern, als dass das eine den brutalen Umgang der kommunistischen Regierung der DDR mit Menschen dokumentiert, welche als nicht Systemkonform angesehen wurde. Das andere zeigt umgekehrt wie Kommunisten in Indonesien nach dem Coup d´Etat von 1965 verfolgt und getötet wurden. Wie denken Sie darüber?
 
Rangga Purbaya: Unsere Geschichten haben sich sehr gut ergänzt, aber im Endeffekt geht es nicht um Kommunismus oder Ideologien sondern um Menschlichkeit und wie wir miteinander als Menschen umgehen.
 
Nora Scheidler: Das sehe ich genauso.
 
Hat das Wissen über die Geschichte des jeweils anderen Ihre Perspektive auf das eigene Projekt verändert?
 
Rangga Purbaya: Nein, es hat meine Perspektive nicht verändert, wir wissen, dass wir es mit repressiven Regimen und Stigmata in unserer Gesellschaft zu tun haben.
 
Nora Scheidler: Es hat nicht die Perspektive auf mein eigenes Projekt verändert, aber es hat es auf eine Weise vervollständigt und es unwichtig erscheinen lassen, ob Kommunisten als Unterdrücker oder als Unterdrückte auftraten und wer auf welcher Seite stand. Es hat mich in meiner Ansicht bestätigt, dass es immer zwei Versionen einer Geschichte gibt, und dass keine Ideologie durch Gewalt durchgesetzt werden kann.
 
Wie steht es Ihrer Meinung nach um das öffentliche Bewusstsein über diese Kapitel in der Geschichte Deutschlands und Indonesiens?
 
Rangga Purbaya: Wir müssen mehr über unsere Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erfahren und offen über sie diskutieren, um uns neue Herangehensweisen und Wissen erschließen zu können.
 
Nora Scheidler: Ich denke, dass es sicherer und einfacher ist in Deutschland über die Vergangenheit zu sprechen als in Indonesien. Auf der anderen Seite würde ich sagen, dass es auch in Deutschland noch Bedarf gibt, die Bemühungen Vergangenheit zu konfrontieren zu intensivieren. Es ist ein langer Prozess mit einer traumatischen Vergangenheit umzugehen, sei es auf familiärer Ebene oder in der Geschichte eines Landes und es kann Generationen dauern bis dieser Prozess abgeschlossen ist, wenn dies überhaupt möglich ist.
 
Können Sie sich vorstellen die Zusammenarbeit mit weiteren Projekten fortzusetzen?
 
Rannga Purbaya: Ja, weil wir voneinander lernen können, mit unserer Vergangenheit umzugehen und ihre dunklen Kapitel zu konfrontieren. Für Indonesier ist es noch ein langer Weg bis zur Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern der Verbrechen. Deswegen müssen wir weitermachen.
 
Nora Scheidler: Ich würde sehr gerne mit Rangga weitere Projekte realisieren. Es war herausfordernd, interessant und angenehm mit ihm zu arbeiten. Ich kenne nicht viele Menschen in Indonesien, die so mutig sind wie er.