Voices of Memory
Klangkunst im öffentlichen Raum

Gemeinsames Zuhören. In Erwartung von Christina Kubischs "Voices of Memory"

Klangbrücke

Dennis McNulty: A cloud of soft equations; 2014. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Pallas Project/Studios. Foto: Eliana Salazar Dennis McNulty: A cloud of soft equations; 2014. | Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Pallas Project/Studios. Foto: Eliana Salazar In einer spezifischen Umgebung einem Klang zu begegnen, ist eine Erfahrung, die sich nur schwer beschreiben lässt. Der Moment, da wir uns seiner Gegenwart innewerden, ist ebenso unscharf wie der Moment, da wir entdecken, dass wir uns aus seinem Wirkungsbereich entfernt haben. Er heißt Beeinflussung durch seine Umgebung willkommen und lädt uns sein, seine Form zu rekonstituieren: durch unsere eigenen Bewegungen. Wir halten im Gespräch inne, warten womöglich darauf, dass andere Menschen vorübergehen oder dass das Geräusch eines fernen Flugzeugs verklingt, erstreben nicht absolute Stille, in der wir ihn beurteilen können, sondern eine Reihe erfahrbarer Klangproben, anhand derer wir seinen Entwicklungsverlauf nachzeichnen können.

Wenn dieser Klang einen Akt der Erinnerung repräsentiert, dann innerhalb dieser Parameter, innerhalb dieses offenen Bezugssystems. Es gibt nur eine Andeutung, nie eine verbindliche Vereinbarung, und eine nur undeutliche (aber selbstbewusste) Anspielung auf das Monumentale.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf meine erste Begegnung mit Voices of Memory von Christina Kubisch in den Memorial Gardens.

Die Arbeit befindet sich am Stadtrand von Dublin, nicht ganz an der Peripherie, auf jeden Fall aber außerhalb des Zentrums. Die geographische Lage der Installation entspricht ihrer Identität als künstlerischer Geste: Sie passt nicht in einen (lokalen) Kanon von Projekten, die ähnliches empirisches oder formales Terrain abstecken.

In Dublin stellt sich die Rolle der Klangkunst anders dar als in Deutschland, wo wir Kontinuitäten zwischen verschiedenen Generationen von Künstlern und anhaltende Schwingungen zwischen Experimenten und Förderung identifizieren können, die dazu beitragen, dass das Medium sich weiterentwickelt (und neu definiert). In Dublin unterliegen Hörkulturen – und die  Produktionsformen, die sie hervorbringen – einem Auf und Ab, stehen aber nur selten im Vordergrund. Ich beschränke mich darauf, Klangkunst in Dublin zu betrachten – nicht in Irland; obwohl Irland nur ein kleines Land ist, glaube ich, dass etwas erreicht ist, wenn man Kubischs Arbeit an der Liffey innerhalb eines lokalen Kontinuums situiert. Bei der Arbeit mit diesem Medium gibt es eine einzigartige Freiheit, die sehr ortsspezifisch ist. Und doch kommen mir in dieser Stadt bedeutsame Hörerinnerungen, die mit vielfältigen – nicht unbedingt spezifisch klanglichen – künstlerischen Rahmenkonzepten verbunden sind. Vielleicht destabilisieren diese Verweise eine konzise Definition der Klangkunst, doch sie suggerieren eine lokale Voraussetzung für Kubischs Werk Voices of Memory, da dieses in die ruhige Landschaft westlich von Dublin integriert ist und verschiedene Momente überbrückt, in denen der Akt des Hörens primäre Bedeutung gewinnt.
 

Vier Bezugspunkte

 
Wir beginnen mit einer Erinnerung aus dem Jahre 2002. Die Installation DIN (ko-kuratiert von Slavek Kwi und Sarah Pierce) schuf eine temporäre Hörbibliothek aus Hunderten von Tonaufzeichnungen, die Kwi gesammelt hatte, indem er Veröffentlichungen mit anderen Künstlern tauschte – ein Verweis auf den unbegrenzten Austausch, der zum Entstehen dieser Kollektion führte. DIN, in der (nicht mehr existierenden) Arthouse Gallery in Temple Bar auf Straßenhöhe installiert, stellte neugierigen Hörern einen vorübergehenden Zufluchtsort zur Verfügung. Die Ausstellung enthüllte sowohl Kwis wie Pierces Kuriositäten, indem sie Arten offenen Austauschs und Experimente mit archivalischen Formaten in den Vordergrund rückte.
 
Ein Jahr später, 2003, begann Ultra-red (ein damals hauptsächlich in Los Angeles ansässiges Kollektiv) in Dublin ein öffentliches Kunstprojekt mit dem Titel The Debt, in dem sie sich durch die Linse des mit einem Wohnraumsanierungsprojekt in Ballymun verbundenen Kunstvergabeprogramms Breaking Ground mit Fragen der Vertreibung von Gemeinschaften und der Bürgerbeteiligung befasste. Das von Ultra-red gewählte Format einer taktischen Montage von Umgebungsklängen fand Eingang ins Bewusstsein der Ortsansässigen und schlug sich in öffentlichen Diskussionen, Performances und schließlich in einem 12-CD Dokument nieder, das (unter anderem) die Problematik der eigenen Struktur reflektierte. Obwohl The Debt wie eine durch äußere Energie initiierte Tangente wirkte, legte die Arbeit neue Modelle des Hörens in Dublin nahe, da sie mit Hilfe akustischer Strategien drängende städtische Streitfragen einbezog.
Ultra-red: The Debt; Ein Dialog zwischen Bewohnern von Sozialwohnungen aus Pico Aliso in Los Angeles und Anwohnern aus Ballymun in Dublin; Project Arts Centre; 28. Juli 2003. Ultra-red: The Debt; Ein Dialog zwischen Bewohnern von Sozialwohnungen aus Pico Aliso in Los Angeles und Anwohnern aus Ballymun in Dublin; Project Arts Centre; 28. Juli 2003. Mit freundlicher Genehmigung der Künstler. | Foto: Pierre Jolivet Die nächste Erinnerung, die mir kommt, ist ein Spaziergang zur Christchurch Cathedral am Abend des 21. Juni 2012. Das glitschige Geräusch der Autos auf dem nassen Straßenpflaster war allgegenwärtig. Garrett Phelans New Faith Love Song begann um 21 Uhr. Die Glockentürme zweier benachbarter Kathedralen spielten eine minimale synchronisierte Komposition. Ich begann in einer verstreuten Gruppe von Menschen an einem vorherbestimmten Standort zwischen den beiden Kathedralen, machte mich aber, um das Ereignis zu erkunden, bald auf den Weg und folgte dem Klang der Glocken, die von Straße zu Straße echoten und von den unendlich vielen Ziegelstein- und Betonflächen widerhallten, die die Stadt ausmachen. Der neue Glaube, der auf dem Spiel stand, war eindeutig pluralistisch und musste zu jeweils eigenen Bedingungen entdeckt werden.
Garrett Phelan: New Faith Love Song; Dokumentation der Performance; Irish Museum of Modern Art; 2012. Garrett Phelan: New Faith Love Song; Dokumentation der Performance; Irish Museum of Modern Art; 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. | Fotos: Barry Keogh & Miranda O’Driscoll Schließlich erinnere ich mich daran, wie ich mich 2014 in einer dichten Menschenmenge zu Dennis McNultys Performance A Cloud of Soft Equations schob. Ich folgte ebenso sehr dem Klang der Schritte anderer Menschen wie ihrer physischen Präsenz durch eine Reihe sorgfältig vorbereiteter und vor allem in Dialogform präsentierter Begegnungen in der gefrorenen Architektur der früheren, seit 2007 leer stehenden Pathologischen Abteilung des University College Dublin in der Earlsfort Terrace. Unser Weg führte durch alte Vorlesungssäle und statische Gänge und schaffte die Voraussetzungen für ein Labyrinth von Strophen, bei dem zwischen Live- und vorher aufgezeichneten Lesungen gewechselt wurde. Die Beziehung zwischen Stimme und Innenarchitektur (und zwischen Technologie, An- und Abwesenheit) war sinnlich erfahrbar, jede Stimme verfälschte die Beziehung weiter, während die Zeit innerhalb dieses Raumes sich dehnte.
 

Hörende Gemeinschaften

 
Wenn wir uns diese vier Erinnerungen vor Augen führen, wird klar, dass wir uns vom vertrauten Terrain der Klanginstallation entfernt haben. Wir entdecken andere Arten des Austauschs, bei denen wir durch die Bildung einer hörenden Gemeinschaft eine gemeinsame Basis schaffen. Ich werde die Idee der hörenden Gemeinschaft außerhalb (oder jenseits) der Idee des Publikums positionieren: Anders als bei einem Publikum steht bei einer hörenden Gemeinschaft – selbst wenn sie nur aufgrund eines kurzen Ereignisses zustande kommt – etwas auf dem Spiel. In Kwi und Pierces DIN gibt es einen unausgesprochenen Vertrag, der die Hörer an die Struktur der Darstellung bindet; man fühlt sich an den erwartungsvollen Moment erinnert, da man in eine Bibliothek zurückkehrt, um das nächste Buch einer Serie zu finden. The Debt von Ultra-red beteiligt die Hörer an dem Versuch, städtischen Wandel zu deuten, der sich von einer komfortablen Lösung immer weiter entfernt. In Phelans New Faith Love Songs gibt es das plötzliche Auftauchen und Verschwinden eines Signals, das uns aus den starren Ritualen der Stadt und ihrer klanglichen Infrastrukturen (und historischen Rahmenbedingungen) herauslöst. McNultys A Cloud of Soft Equations stützt sich auf die engen Grenzen des Schauplatzes und die präzise Anordnung der Sequenzen, um die Zuhörer an einen aufnahmebereiten Zustand geteilter Sensibilität zu binden.

Auch Kubischs Installation Voices of Memory richtet sich an eine klar umgrenzte Gemeinschaft von Hörern. Das Werk entstand 2016 inmitten eine Spektrums von Memorialproduktionen (einige davon scharf umrissen und verständlich, andere bemüht, die Komplexitäten zu bewältigen, die die Inszenierung einer solchen Rückkehr unausweichlich impliziert). Wenn ich an die Namen und die Stimmen denke, die das Rohmaterial von Voices of Memory bilden (dieses wird gefiltert und zu der neuen Montage verarbeitet, die wir als das vollendete Werk erleben werden), überkommt mich ein Gefühl der Ruhe. Wir verdienen die Chance, uns diesem Thema mittels derart vielschichtiger Abstraktion zu nähern. Die Einladung ist großzügig: Sie stellt Vertrauen zwischen dem Künstler, dem Standort und dem Publikum her und erlaubt für die Dauer des Werkes genügend Zeit und Raum, dass sich Bewusstsein herausbilden kann.
 

Geräusch und Stille

 
Christina Kubisch: Rheinklänge; 2013. Drei goldene Lautsprecher unter einer Brücke, die eine fast „romantische“ Klanglandschaft verbreiten, die aber brutal durchbrochen wird durch die Autogeräusche auf der Brücke darüber Christina Kubisch: Rheinklänge; 2013. Drei goldene Lautsprecher unter einer Brücke, die eine fast „romantische“ Klanglandschaft verbreiten, die aber brutal durchbrochen wird durch die Autogeräusche auf der Brücke darüber. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin. | Foto: Christina Kubisch Mein erstes Gespräch mit Christina Kubisch fand vor Publikum statt. 2015 war ich Kurator eines Symposiums namens Beyond Noise and Silence: Listening for the City. Am ersten Abend des Symposiums hielt Kubisch im National College for Art and Design (NCAD) in Dublin ein Künstlergespräch. Nach einer intimen Präsentation – in deren Verlauf sie Strukturen, Techniken, Erfahrungen und Beweggründe eines breiten Spektrums ihrer Projekte schilderte – gesellte ich mich zu ihr auf das Podium, um ihre jüngste Teilnahme an dem Projekt bonn hoeren zu erörtern. Kuratiert von Carsten Seiffarth, hat bonn hoeren ein einzigartiges Œuvre hervorgebracht; Voraussetzung dafür war vier Jahre hintereinander die Zusammenarbeit mit dem Stadtklangkünstler der Stadt Bonn. 2013 wurde Kubisch als vierte (und letzte) Stadtklangkünstlerin in dieser Folge von Projektresidenzen auf die Position berufen. Eines ihrer Werke aus ihrer Zeit in Bonn – die Klanginstallation Rheinklänge, eine Installation, bei der zu beiden Seiten des Rheins zwei unterschiedliche akustische Gesten platziert wurden – bildete eine solide Grundlage für unser Gespräch.
Christina Kubisch: Rheinklänge; 2013. Passanten, die stehen bleiben, um den Geräuschen aus zwei Hydrophonen zu lauschen, die Unterwassertonaufnahmen von Schiffen auf dem Fluss live übertragen. Christina Kubisch: Rheinklänge; 2013. Passanten, die stehen bleiben, um den Geräuschen aus zwei Hydrophonen zu lauschen, die Unterwassertonaufnahmen von Schiffen auf dem Fluss live übertragen. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin. | Foto: Christina Kubisch Meine Fragen waren taktischer Natur und direkt: Zu dieser Zeit arbeitete ich in Dublin an einem ähnlichen Projekt namens The Manual for Acoustic Planning and Urban Sound Design, in dem ich nicht etwa die Rolle des Stadtklangkünstlers, sondern die des akustischen Stadtplaners erkundete. Mein Projekt war innerhalb der Stadtverwaltung von Dublin situiert, und als ich mich mit Kubisch unterhielt, arbeitete ich gerade an der permanenten Klanginstallation Continuous Drift für den Meeting House Square in Temple Bar, Dublins Kulturviertel (und beliebtestem touristischem Reiseziel). Gespräche wie dieses, bei dem man sich auf die Probleme fokussiert, die entstehen, wenn man in öffentlichen Räumen Klanginstallationen errichtet, dazu noch vor konzentriertem Publikum, sind in Dublin recht selten.
 
Wir sprachen über die Arbeit mit Klanginstallationen in öffentlichen Räumen, über die Notwendigkeit, Zeit mit Hören vor Ort zu verbringen, die Lautstärke immer wieder nachzujustieren und ein aufmerksamer Hörer zu bleiben. Diese Phasen der Installation ziehen sich oft stunden- (und tage-)lang hin, da sich in den akustischen Terrains, die wir bewohnen, dynamische Passagen anderer Klänge nähern und entfernen. Kubisch betonte, dass eine Klanginstallation, sofern sichergestellt sei, dass sie nicht als primäres Element innerhalb dieser sich überlagernden Terrains wahrgenommen werde, die Flexibilität erlange, als in die Landschaft integriert wahrgenommen zu werden, wenn Menschen, die mit dem Werk in Berührung kommen, sich ihm mit unterschiedlichen Erfahrungen nähern.
Diese Sensibilität macht den Kern ihrer Arbeiten aus: Sie bringt eine widersprüchliche Präsenz hervor, eine Präsenz, die sich ihrer Umgebung einfügt und zugleich mit unnachgiebiger Entschlossenheit ihre Form durchsetzt. In diese Spannung werden die Hörer sofort einbezogen, und wenn ich mich den Themen nähere, die Voices of Memory untersucht, kann ich, wie bereits angedeutet, nicht umhin, dieses Format als Verbündeten anzusehen. Wenn man über die Struktur des Werkes reflektiert, ist es fast so, als müsse das Thema gar nicht enthüllt werden. In der Landschaft kann das Geräusch undeutlicher Kommunikation absorbiert werden; dank seiner internen Semantik erzeugt es, während es hervorgebracht wird, eine eigene Resonanz und bewegt sich zwischen Stimme, Musik, Klang, Erinnerung und Stille. Das ist genug.
 

Zeit und Landschaft

 
Zum Schluss muss ich mich ein Stück weit von Dublin entfernen und Max Neuhaus’ Times Square in New York in Betracht ziehen. Times Square, 1977 installiert, ist eine archetypische Klanginstallation in einer komplexen, sich entwickelnden Landschaft. Christoph Cox fasst die Zeitlichkeit des Werkes wie folgt zusammen:
 
... [D]as Werk ist eine profunde Einladung zur Dauer. Vierundzwanzig Stunden am Tag sendet die Installation aus den Tiefen eines U-Bahn-Lüftungsschachts einen Strom sonoren metallischen Brummens auf eine Fußgängerinsel im belebtesten Stadtviertel New Yorks. Das Brummen, hörbar, aber unaufdringlich, harmoniert mit einer betriebsamen klanglichen Umgebung und verändert sie subtil. Dieser Klangstrom ist kontinuierlich, wird jedoch von Besuchern und Passanten in je besonderen Momenten innerhalb des Zeitkontinuums erfahren. Derartige Momente bewussten oder unbewussten Erfassens dienen als Öffnung auf einen Strom der Dauer, von dem wir ein Teil sind, der uns aber zugleich überdauert. [1]
 
Ohne sich ganz so buchstäblich mit dem Begriff unendlicher Dauer auseinanderzusetzen, verwendet Kubischs Voices of Memory eine ähnliche zeitliche Geste, die uns mit der Vergangenheit verbindet. Ich denke an offene Strukturen und Formen in Kubischs Werk – von der spielerischen Geometrie ihrer frühen Installationen zu der Mischung verarbeiteter und unverarbeiteter Klänge in ihren Aufzeichnungen, von der Vielfalt der Größenordnungen, die in ihrer Praxis zur Anwendung gelangen, zu dem partizipatorischen Rahmen, den sie mit ihrer Serie Electrical Walks verkündete. Ich rechne damit, dass aufgrund der zeitlichen Dimension von Voices of Memory ein Element dieser Freiheit in Erscheinung treten wird.

In Dublin wird sich diese Geste aufgrund ihrer temporären und dauernden Dimension neu anfühlen. Seite an Seite mit den täglichen Ritualen des Parks, der Geometrie seiner Wege und der kontinuierlichen Präsenz der Liffey werden die verwobenen Muster der Namen durch Voices of Memory hörbar und in die Landschaft integriert sein. Betrachten wir diese Integration mit Hilfe der Einheitskonzeption urbaner Atmosphären. Gernot Böhme erörtert die Atmosphäre von Städten in Bezug auf Klang und die aktive Rolle der Öffentlichkeit:
 
Die Frage der Klangatmosphäre steht in direktem Zusammenhang mit der Dimension von Lebensstilen, verstanden als Erzeuger städtischer Atmosphären. Bezüglich der Straßengeräusche macht es einen Unterschied, ob Leute gewohnheitsmäßig hupen oder nicht, was für einen Autotyp sie fahren, ob durch die geöffneten Fenster Musik zu hören ist, ob die Namen der Waren ausgerufen werden oder ob aus den Boutiquen »verführerische« Musik dringt. Dies sind nur einige Aspekte: Aufgrund ihrer Lebensstile sind die Bewohner der Stadt stets auch Produzenten von deren Atmosphäre. [2]
 
Ich würde Böhmes Betrachtung durch die Feststellung erweitern, dass eine urbane (akustische) Atmosphäre auch dadurch determiniert wird, wie Menschen in einer bestimmten Stadt hören. Immerhin ist dies eine empirische Dimension städtischen Raumes, insofern sind wir, selbst wenn wir uns als Empfänger positionieren, an ihrer Hervorbringung beteiligt. Die Prämisse von Voices of Memory spürt einer neuen Art des Hörens in Dublin nach, die dazu mahnt, uns mehr Zeit zu nehmen, um darüber nachzudenken, wie aktiv Klang dazu beiträgt, sowohl die vergangene wie die gegenwärtige empirische Landschaft zu enthüllen.

[Fußnoten]
[1] Christoph Cox: »Installing Duration. Time in the Sound Works of Max Neuhaus«. In: Lynne Cooke / Karen Kelly (Hrsg.): Max Neuhaus: Times Square, Time Piece Beacon. New York, NY: Dia Art Foundation, 2009. S. 113-132 (hier S. 124).
[2] Gernot Böhme: »Urban Atmospheres. Charting New Directions for Architecture and Urban Planning.« In: Christian Borch (Hrsg.): Architectural Atmospheres. On the Experiences and Politics of Architecture. Basel: Birkhäuser, 2014. S. 42-59 (hier S. 55).
 

Sven Anderson

Der Künstler Sven Anderson ist seit 2001 in Irland und den USA tätig. Seine Arbeiten erkunden den Akt des Hörens in verschiedenen architektonischen, physischen, sozialen und emotionalen Kontexten. Seine Praxis besteht aus diskursiven Plattformen, die mithilfe von künstlerischen Interventionen, akademischen Publikationen, partizipatorischen Prozessen und interaktivem Design operieren.

Andersons Installationen und Performances sind parasitär, sie speisen sich aus Details der unmittelbaren baulichen Umgebung, aus den Körpern des Publikums und aus Fragmenten lokaler Geschichte und Ökologie und legen im Werden begriffene standortspezifische Formen nahe. 2014 erhielt sein fortdauerndes öffentliches Kunstprojekt The Manual for Acoustic Planning and Urban Sound Design den European Soundscape Award der Europäischen Umweltagentur (EUA).

Mit seinen Werken und anderen Projekten schafft Anderson aktive Schnittstellen zwischen Künstlern, Architekten, Städteplanern und politischen Entscheidungsträgern und identifiziert Räume für nachhaltige Forschung und Produktion. Andersons Dauerkunstwerk Continuous Drift verwischt die Grenzen zwischen öffentlicher Klanginstallation, architektonischer Intervention und kuratorischem Rahmen.