Irene Schmied | Ehemalige Mitarbeiterin des Goethe-Instituts Irland
Goethe und die Krawattenmafia
Der Herr vor mir sieht so aus, als wenn er tatsächlich in diesen Gentlemen-Club gehör: steife Haltung, gelangweilt, blauer Mantel, graue Hose, graue Haare. Ein bisschen wie Maria Brandauer. Dieser Blick!
Die Treppe hinauf und die Tür öffnet sich. Wieder graue Haare, durchdringender Blick. "Erster Stock, Garderobe ist da hinten.." Tadellos vorgebracht. Seltsam, wie doch beim Eintreten in dieses Gebäude sofort eine Stimmung entsteht. Weiträumig, festlich, eine gewisse Spannung, die in der Luft liegt. Und bereits vom ersten Moment an dieses entfernte Stimmengewirr, ausgeströmt von einer Menschenmenge, nachdem die erste Steifheit gewichen ist.
Gottseidank geht noch jemand diese alte, elegante Wendeltreppe dieses georgianischen Hauses an Stephen's Green hinauf, so dass ich nicht die einzige bin, die den Raum voller Menschen betreten muss. Einen Moment schwindelt mir und ich wende mich an die Frau neben mir. Wir wechseln ein paar belanglose Worte, lächeln wie Verbündete und betreten den Saal.
Herr K. hat sich strategisch clever am Eingang platziert – unmöglich, einzutreten, ohne von ihm gesehen und begrüßt zu werden. Er ist, wie anscheinend alle Herren hier, in graue Hosen, blaues Sakko gekleidet – wirkt aber nur bedingt salonfähig, denn das Sakko spannt sich verzweifelt über seinem Bauch, der ihn fast zum Stolpern bringt. Neben ihm steht der Botschafter, leicht gebräuntes Gesicht und die unvermeidliche graue Hose mit dem blauen Sakko.
Bevor ich mit meinen Beobachtungen hier angelangt bin, wird mir meine Hand mit einem besitzergreifenden Ruck entzogen und das Gesicht von Herrn K. ist auf einmal verdächtig nah. Ist das hier etwa Vorschrift? Dann der Botschafter – um Gotteswillen, etwa das Ganze noch einmal? - nein, er schüttelt mir nur die Hand, allerdings so, als wolle er sie aus den Gelenken kugeln.
Während ich belanglose Worte sage, mich für die Einladung bedanke – 25 Jahre Goethe-Institut in Dublin - suche ich in der wogenden Menschenmenge nach bekannten Gesichtern. Ab und zu lächelt jemand, ich merke, wie der Eingang beobachtet wird. Endlich erscheint der nächste Gast und ich kann entkommen.
Erleichtert ergreife ich ein Glas Wein, um mich für den Rest des Abends daran festzuhalten, wie das so üblich ist auf Stehparties. Ein Bekannter spricht mich an, stellt mich seiner Runde vor. Mir wird plötzlich klar, dass der Herr mir gegenüber behauptet, er hätte von mir gehört. Er ist hager, trägt eine Brille und keinen blauen Sakko, der anscheinend nur den höheren Herrschaften zusteht. Er hält sich mehr an braun, wie überhaupt auch die anderen drei Herren. Einer, ein Universitätsprofessor, trägt eine selbstgestrickte Krawatte – gelb und orange - und ich erinnere mich plötzlich an die Gerüchte, es gäbe in diesen Hallen einen Krawattenzwang, selbst für Leute mit Rollkragenpullover, sofern sie männlichen Geschlechts seien. Und die Geschichten, wie Herr K. mit Vorliebe seine Besucher in diesen Klub hier einlädt, um sich daran zu ergötzen, dass ihnen der Eintritt verwehrt wird, wenn sie nicht von irgendwoher eine Krawatte auftreiben können.
Tatsächlich, Männer, die ich noch nie im Leben mit Krawatte gesehen habe, tragen eine. Einige sind richtig cool, andere tragen sie ironisch, manche leicht verlegen - tragen sie wie einen Fremdkörper oder eine Schlinge um den Hals. Ein Gast ist im Besitz einer knallgelben, die sofort ins Auge sticht. Ein giftgrünes Exemplar ruft beim Betrachter sofortigen Schüttelfrost hervor. Die rote Lederkrawatte dort ist seit mindestens 3 Jahren aus der Mode.
Ich wende mich wieder meinem Universitätsprofessor zu, den ich zuletzt auf einer Anti-Atomkraftdemo sah – da hatte er einen Eierkarton vor dem Gesicht, was weniger merkwürdig war als die Krawatte heute. Sie sieht wie eine Häkelgardine aus. Armer Kerl.
Auf einmal steht mir ein Freund gegenüber, er gehört zu den braungekleideten heute Abend. An seine Krawatte kann ich mich nicht erinnern, sie muss so geschmackvoll gewesen sein, dass sie mir nicht aufgefallen ist. Aber seine Haare, um Himmels Willen, was ist da passiert? Sind das schon die ersten Auswirkungen des Alkohols, der hier immer weiter in die Glaeser geschüttet wird von dem übereifrigen Personal? Mein Freund schielt auf das Tablett mit den Cocktailwürstchen und versucht, so unauffällig wie möglich, mindestens 4 auf einen Zahnstocher zu spießen. Da liegt schon das erste Würstchen auf dem vornehmen grünen Teppich und ein Fuß begräbt es in der Tiefe. Ich habe den ganzen Tag nicht viel gegessen und mach mir Sorgen, da ich Cocktailwürstchen nicht ausstehen kann. Ein zweites Tablett nähert sich, diesmal mit Miniaturpastetchen und weitere folgen, mit den üblichen, in kleine Dreiecke geschnittene Sandwichs.
Jetzt bahnt sich Herr K. mit energischen Stößen einen Weg durch die Menge zum Kamin und bittet um Ruhe. Der nähert sich und eine Rede folgt. Wir Besucher wenden uns den beiden Hauptakteuren zu, wir können uns dabei im Spiegel über dem Kamin selbst beobachten. Ich befinde mich hinter jemandem, der schon leicht schwankt - ob vor Hunger oder Müdigkeit oder Langeweile ist nicht festzustellen. Mir fällt auf, dass der Botschafter eine gelb-grau-gestreifte Krawatte trägt, scheußlich.
Während der Rede gibt es jetzt Gelegenheit, die Anwesenden in Ruhe zu mustern. Eine Dame im blau-grauen Flatterkleid macht mir Zeichen, aber ich kenne sie nicht. Später stellt sich heraus, dass ich sie doch kenne – wenn sie kein Mak-up trägt. Dem Herrn von der Botschaft scheint sie zu gefallen, denn nach der Rede verwickelt er sie in ein Gespräch.
Man merkt, wie es zwangloser wird, die Grüppchen formieren sich schneller um, die Stimmen werden lauter, Lachen durchdringt den Geräuschpegel. Die ersten Anzeichen von Erschöpfung machen sich bemerkbar, die Suche nach den spärlich vorhandenen Sitzgelegenheiten beginnt. Die ersten Besucher verabschieden sich und entledigen sich der Krawatten. Beim Hinausgehen entdecke ich zwei davon auf der Straße. Ob jemand sie aufbewahrt und an die nächsten Besucher ohne Halsbekleidung verkauft?