Was ist das deutsche und japanische Strafrechtssystem?
PASCH Mock-Court "Hänsel und Gretel"

PASCH Mock-Court
©Goethe-Institut Tokyo

Am 14. Juli 2024 brachte das PASCH-Projekt "Mock Court" 28 engagierte Schüler*innen im Gerichtssaal des Unternehmens TKC-Hauptsitz Tokyo in Iidabashi zusammen, um sich auf innovative Weise im Fach Jura mit dem deutschen Märchen "Hänsel und Gretel" von den Brüdern Grimm auseinanderzusetzen. Ziel des Projekts war es, den Teilnehmer*innen ein tieferes Verständnis für das deutsche Rechtssystem zu vermitteln, indem sie in verschiedene Rollen schlüpften und einen fiktiven Fall auf Basis des Märchens verhandelten.

Im Rahmen des Projekts übernahmen die Schülerinnen verschiedene Rollen, darunter Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Angeklagte und Zeugen. Während der Online- und Präsenzphasen tauschten sich die Teilnehmer*innen sehr aktiv aus und arbeiteten in ihren zugeteilten Gruppen intensiv zusammen. Diese Zusammenarbeit zwischen den Schüler*innen verschiedener PASCH-Schulen war besonders bemerkenswert und trug wesentlich zum Erfolg des Projekts bei.

PASCH Mock-Court ©Goethe-Institut Tokyo

Zum Erkunden des Jurafachwissens wurden zwei renommierte Rechtsanwälte eingeladen – einer aus Japan, Herr Shinichi Ishizuka (Präsident, Criminal Justice Future Incorporated Shinichi Ishizuka und Prof. emeritus, Ryukoku Universität) und eine aus Deutschland, Frau Dr. Carmen Appenzeller (LL.M. Columbia)  –, die den Schüler*innen einen fundierten Einblick in die Rechtssysteme beider Länder gaben. Diese Vorträge waren nicht nur lehrreich, sondern auch inspirierend, um die Verbindung zwischen den Rechtssystemen Japans und Deutschlands zu verstehen, die Karriere einer internationalen Rechtsanwältin kennenzulernen und vor allem die konkreten Ideen zum Beitrag der am Modellgericht Beteiligten zu debattieren.
Das Projekt bot auch eine kulturelle Komponente. Der Kontext der Entstehung des Grimmschen Märchens von "Hänsel und Gretel" wurde erläutert, und die Teilnehmer*innen hatten die Gelegenheit, zwei Arien aus der Oper "Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck zu hören, live dargeboten von zwei Sängerinnen, Frau Erika Ryu und Frau Mako Ikezawa.
Die Rückmeldungen der Schüler*innen zeigten, dass das Projekt ein großer Erfolg war. Hier einige Ausschnitte aus den Umfrageergebnissen:
  • Es war sehr lehrreich, die detaillierte Struktur und das Verfahren von Gerichtsverhandlungen zu verstehen, die man als Minderjähriger selten kennenlernt.
  • Der Austausch mit anderen Schülern, die lebhaften Diskussionen und die Besichtigung der Gerichtseinrichtungen haben mir viele Erkenntnisse gebracht, und ich bin froh, dass ich teilgenommen habe. Obwohl ich derzeit nicht plane, Jura zu studieren, möchte ich als Bürger eines Landes mit einem gut entwickelten Rechtssystem aktiv am Recht teilnehmen.
  • Ich war so fasziniert von Herrn Ishizukas flüssiger Erzählweise, dass ich die Zeit vergaß. Seine Erlebnisse in Deutschland waren äußerst faszinierend und seine Liebe zu Deutschland und zur deutschen Sprache kam deutlich zum Ausdruck.
  • Da ich an einer Karriere in der Rechtswissenschaft interessiert bin, fand ich den Vortrag von Frau Appenzeller sehr interessant. Es ist selten, die Gelegenheit zu haben, von jemandem zu hören, der aus Deutschland nach Japan gekommen ist und als Anwalt arbeitet, daher war es gut, diese Geschichten zu hören.
  • Ich hatte den Eindruck, dass Opern oft schwierige Themen behandeln, daher war ich überrascht, dass Hänsel und Gretel, ein sehr zugängliches Thema, so häufig aufgeführt wird. Der Dialog zwischen Hänsel und Gretel, Sopranistin und Altistin, war kraftvoll und beeindruckend.
Neben dem Recht war es auch interessant, Geschichten über das Studium im Ausland und verschiedene Aspekte Deutschlands zu hören.

Hier ist ein Beitrag vom PASCH-Schüler, Shouta Ozaki von der Waseda Universitätsoberschule:
Als Richter
 Am 14. Juli 2024 nahm ich am MockCourt-Projekt teil. Das Projekt bestand darin, dass die Teilnehmer in fünf Gruppen eingeteilt wurden: „Richter & Geschworene“, „Anwaltsgruppe“, „Staatsanwaltgruppe“, „Zeugen“ und „Angeklagte“. Unter der Anleitung von Herrn Ishizuka und Herrn Appenzeller machten wir ein Gerichtsverfahren mit ein bisschen Deutsch. Ich war der Vorsitzende der Gruppe „Richter & Geschworene“. Der Fall, den wir behandelten, war eine leicht veränderte Version des Märchens „Hänsel und Gretel“ aus den Grimmschen Märchen.
Am Morgen diskutierten wir in unseren Gruppen über die Themen und Strategien. Am Nachmittag fand die Gerichtsverhandlung statt. Die Verhandlung begann in einem feierlichen Raum, in dem alle aufstanden. Als ich mich setzte, setzten sich alle auch. Ich erinnere mich, dass ich in diesem Moment dachte, dass ich diese Verhandlung leite.
 Zu Beginn lief alles gut. Alle spielten ihre Rollen und es fühlte sich an, als ob ein echtes Gericht stattfindet. Aber wir als Richter haben einige wichtige Zeugenaussagen und Beweismaterial verpasst. Trotzdem haben wir das Verfahren irgendwie abgeschlossen. Danach gingen wir in einen anderen Raum, um zu entscheiden, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist. Das war wirklich schwierig, weil wir nicht alle Informationen hatten, die wir brauchen würden. Der größte Streitpunkt war, ob Gretel die alte Frau absichtlich getötet hatte.
 Am Anfang hatten wir 15 Minuten Zeit, aber wir verlängerten die Zeit auf 30 Minuten, weil es so schwer war. Am Ende kamen wir zu einer Entscheidung. Als wir ins Gericht zurückkamen, gab ich das Urteil bekannt. Zuerst auf Deutsch, dann auf Japanisch: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Die Angeklagte wird freigesprochen.“ Das bedeutet, dass Gretel unschuldig war und das Verfahren endete.
 Es war wirklich schwer, das Urteil zu fällen. Wir hatten nicht genug Beweise, um zu sagen, dass Gretel schuldig war. Deshalb entschieden wir, dass sie unschuldig ist, nach dem Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“.
 Durch dieses MockCourt-Projekt konnte ich neue Seiten der deutschen Kultur im Rechtssystem entdecken. Zum Beispiel beginnt das Urteil in Deutschland mit „Im Namen des Volkes“, was bedeutet, dass das Urteil im Namen der Bürger gesprochen wird. In Japan sagt der Richter nur das Urteil, aber in Deutschland wird die Bedeutung der Teilnahme der Bürger an der Justiz betont.
 Außerdem habe ich durch die Rolle als Richter die Schwierigkeit des Urteilens gespürt. Auch die anderen, die andere Rollen spielten, haben viel gelernt. 
Ich danke allen, die dieses wertvolle Projekt organisiert haben, besonders den Herrn Ishizuka und Herrn Appenzeller.
 

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Während des dreitägigen Projekts „PASCH Mock Court“ erlebten die PASCH-Schüler*innen eine anregende und unvergessliche Zeit durch die theoretischen Kenntnisse und die praktische Anwendung der Justiz in Deutschland und Japan sowie durch Aspekte literarischer und musikalischer Werke. Wir bedanken uns herzlich bei den beiden Anwälten, Herr Ishizuka und Frau Dr. Appenzeller und den beiden Musiker*innen Frau Ryu und Frau Ikezawa und bei der TKC-Zentrale für die Bereitstellung des Gerichtssaales.