Mehr als ein Festival
Out film festival
Von Kevin Mwachiro
Vorführung von KIKI im Auditorium des Goethe-Instituts Nairobi © Goethe-Institut
Ich werde die erste Ausgabe des OUT-Filmfestivals aus verschiedenen Gründen nie vergessen. Aber natürlich kam die Anspannung mit den Vorbereitungen, der Bereitschaft zur Unterstützung der Veranstaltung von Seiten der Befürworter*innen, der Einfachheit des Festivals, vor allem aber wegen des Mutes und der Art und Weise, wie es versuchte, eine kenianische Identität für sich selbst zu schaffen.
Als Mitbegründer möchte ich diesen Erfolg nicht für mich beanspruchen, denn das Universum hat dafür gesorgt, dass sich das Festival einen Namen machte. Das erste Plakat zeigte ein Bild aus Fluorescent Sin, einem Film über einen kenianischen Crossdresser, der am Bahnhof von Nairobi einen Nervenzusammenbruch erleidet. Regie führte eine Kenianerin, Amirah Tajdin, und OUT war die erste öffentliche Filmaufführung in Kenia. Wie cool ist das denn? Im Rahmen derselben Ausgabe wurden zwei weitere kenianische Titel und mehrere Filme vom Kontinent gezeigt, die die Vielfalt von Queerness widerspiegeln.
Poster des allerersten OUT-Festivals mit einem Bild aus 'Fluorescent Sin' © Goethe-Institut
Wir wurden von der Öffentlichkeit freundlich, aber zurückhaltend empfangen. Die queere Community war sich nicht sicher, ob es ungefährlich war, das Festival überhaupt zu besuchen, aber es gab eine solide Gruppe von Verbündeten, die einfach auftauchte. Aufgrund der Inhalte, die wir zeigen wollten, rechneten wir mit Problemen - zwar nicht mit Gewalt, aber mit einer Form der Störung. Einige Monate zuvor hatte ich miterlebt, wie Abtreibungsgegner*innen ein Gespräch über die Gefahren unsicherer Abtreibungen in der Alliance Française nebenan störten. Wir haben unsere Bedenken also nicht in den Wind geschlagen.
Zum Glück ist außer Filmvorführungen nichts passiert. Infolgedessen hat das Festival im Laufe der Jahre an Selbstvertrauen, Inhalt und Charakter gewonnen. Und Kenias queere Community setzt sich für das Festival ein und betrachtet es als ihr eigenes. Laurent Bouchat, der Regisseur des Films Woubi Cheri, stellt fest: "Einen Film zu sehen, umgeben von einem Publikum, das dieselben Lebenserfahrungen und Gefühle teilt, ist ein einzigartiges Gefühl, das man nirgendwo anders erleben kann." Dieses Gefühl ist ermächtigend, und die vielen Male, die ich gesehen habe, wie der Zuschauersaal in Emotionen ausbrach, wie er bei einer Szene oder Aussage schnipste, klatschte, jubelte oder johlte, zeugt von der Kraft eines Kollektivs.
"Die Geschichte jeder Kultur ist wichtig. Jede Person verdient es, dass ihr Leben durch die Schönheit einer wahrheitsgetreuen Repräsentation aufgewertet wird." Diese Worte des selbsterklärten "Nice Guys", Redners und Autors Rohit Bargava unterstreichen die Bedeutung von Festivals wie OUT. Es macht mich sehr traurig, dass kenianische Filme, die weltweit Anerkennung erfahren haben, immer noch nicht auf dem Festival zu sehen waren. Stories of Our Lives, Rafiki und I Am Samuel sind starke und schöne Filme, jeder auf seine Weise. Doch ein System, das nicht gewillt ist, seine eigene Bevölkerung zu sehen und über sie zu lernen, hat diese Filme dem kenianischen Publikum vorenthalten.
Seit dem Ende der Moi-Ära ist der Kunstsektor des Landes aufgeblüht und gedeiht immer mehr. Wir sehen mehr lokal produzierte Filme, und die Industrie bringt talentierte Schauspieler*innen und Filmemacher*innen hervor. Aber queere Inhalte finden immer noch nicht den Weg auf unsere lokalen Leinwände oder zu unserem Publikum. Es heißt, Kenia sei noch nicht reif für "kontroverse" Themen. Aber die LGBTQ-Community verdient es wie jede andere Community, dass ihre Geschichte so erzählt wird, wie sie es möchte. Welcher Zeitpunkt wäre besser dafür geeignet als der jetzige? Die drei oben genannten Filme und das Interesse, das sie hervorgerufen haben, sind Beweis genug dafür, dass Kenia bereit ist.
Podiumsdiskussion im Auditorium des Goethe-Instituts © Goethe-Institut
"Wir müssen die anderen menschlichen Erfahrungen im Auge behalten, um uns die Fülle und Weite unserer eigenen Menschlichkeit zu verdeutlichen. Unsere Menschlichkeit wird uns durch die Augen derer zurückgegeben, die uns erniedrigt haben. Und sie geben uns ein Bild von uns selbst zurück, das unvollständig ist. Wenn wir nicht auf das große Ganze schauen, wird sich unser Blick auf das verengen, was uns ständig vorgesetzt wird." Während die Welt um den kürzlich verstorbenen Schauspieler Sidney Poitier trauert, verdeutlichen seine Worte, wie wichtig es ist, Inhalte zu schaffen, die ehrliche Realitäten richtig wiedergeben. Deshalb hat sich OUT stets bemüht, eine solide Menge an kenianischen und afrikanischen Inhalten zu haben, die von kenianischen oder afrikanischen Mitmenschen erstellt werden. OUT hat sich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass LGBTQ-Geschichten nicht abgemindert werden.
Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es nicht viele kenianische oder afrikanische Inhalte auf der Kinoleinwand zu sehen gab. Lassen Sie mich Sie in die Vergangenheit mitnehmen. Ich erinnere mich daran, als Anfang der 1980er Jahre der ghanaische Film Love Brewed in an African Pot in die Kinos kam. Vor dem 20th Century Cinema bildeten sich Schlangen, um den Film zu sehen. Leider war ich minderjährig und konnte den Film daher nicht sehen, aber ich erinnere mich an die Begeisterung, die er auslöste. Endlich wurde ein afrikanischer Film mit afrikanischen Schauspieler*innen gezeigt! Ein paar Jahre später kam Saikati von Anne Mungai in die Kinos, der 1992 veröffentlicht wurde. Ich bin mir sicher, dass es noch andere kenianische Filme gab, aber sie wurden nicht oft im Kenia-, Nairobi oder 20th Century Cinema, den populäreren Kinosälen, gezeigt. Diese Filme stachen für mich heraus, weil sie unsere afrikanische Identität zelebrierten und in ausverkauften Kinosälen gezeigt wurden. Es war uns möglich, uns selbst und unsere Geschichten außerhalb der starken Diät der westlichen Filme zu sehen, mit denen wir zu dieser Zeit gefüttert wurden. Repräsentation ist wichtig.
Ich war überglücklich, als wir den Film Dakan von Mohammed Camara gezeigt haben. Dies ist der erste westafrikanische Film, der das Thema Homosexualität unter der Regie eines Afrikaners behandelt. Wer hätte gedacht, dass 1997 ein Film über afrikanische schwule Liebe produziert wurde? Dakan ist eine Ikone unter den Filmen und Teil unserer queeren afrikanischen Geschichte. Die queere Realität auf dem Kontinent ist keine einzelne Geschichte. OUT hat sich bemüht, auch andere Realitäten außerhalb des Kontinents zu porträtieren und konnte auf die frühen Jahre der aktivistischen LGBTQ-Bewegung zurückblicken. Unsere queere Geschichte ist wichtig.
"Wir müssen einen Raum schaffen, in dem wir mehr über Sex sprechen können, und Künstler*innen wie ich wollen diesen Raum noch weiter öffnen, um über das Queer-Sein zu sprechen", sagte die verstorbene Kawira Mwirichia, eine gefeierte queere Künstlerin, deren Werke während einer der Ausgaben des Festivals ausgestellt wurden.
eine Podiumsdiskussion des Out Film Festivals im Goethe Institut © Goethe-Institut
Langsam wurde klar, dass OUT nicht bloß ein kawaida [normales] Filmfestival ist. Es hat sich zu einem Raum für Selbstausdruck und dezente Interessenvertretung entwickelt. Die Podiumsdiskussionen wurden zu einem Höhepunkt des Festivals und zogen immer mehr Menschen an. Die Diskussionen ermöglichten es, unsere Realität als kenianische LGBTQ-Gemeinschaft durchzulüften. Es war ein Ort des Lernens, wenn man offen genug war. Nie werde ich die Podiumsdiskussion über lesbische Liebe und Sex vergessen. Ich wurde zu gleichen Teilen rot und lachte. Es gab Podiumsdiskussionen, die uns alle überraschten. Manche waren unangenehm ehrlich, da sich die Gemeinschaft nackt präsentierte. Noch einmal: Dies ist kein kawaida Festival.
Es ist ein Festival über das Leben. Queeres Leben. Ich erinnere mich, dass wir bei der Vorführung von God Loves Uganda das Glück hatten, dass ugandische Aktivist*innen auf der Durchreise durch Nairobi waren und zufällig auf das Festival stießen. Wir stellten ihnen Fragen über das inzwischen abgeschaffte Anti-Homosexualitätsgesetz und ihre Lebenserfahrungen als queere Menschen in einem Land, das die LGBTQ-Gemeinschaft unverblümt diskriminiert. Die Ugander*innen wiederum konnten nicht glauben, dass wir eine solche Veranstaltung frei und ohne jegliche staatliche Einmischung durchführen konnten. Vor einigen Jahren fiel das Festival mit dem Welt-Aids-Tag zusammen, und tagsüber verwandelte sich das Auditorium vorübergehend in ein VCT-Zentrum - ein freiwilliges Beratungs- und Testzentrum. Es war faszinierend zu sehen, wie die Leute einfach von der Straße hereinspazierten, um Kondome oder Femidome zu erhalten oder ihren HIV-Status zu erfahren. Zum Gedenken an diesen Tag zündeten wir am Abend vor dem Auditorium Kerzen an. Die Idee war gut in der Theorie, die Ausführung hätte besser sein können, aber unsere Absicht war aufrichtig.
private Filmvorführung im Rahmen des Festivals © Goethe-Institut
Und dann kam COVID. Wie der Rest der Welt mussten auch wir den Umgang mit der neuen Normalität überdenken. OUT wurde virtuell und öffnete das Festival für ein noch größeres kenianisches Publikum mit Community Filmvorführungen in Mombasa, Eldoret, Malindi und natürlich Nairobi. OUT wurde innovativ und weitete seine Tentakel aus. Es ist kein reines Nairobi-Festival mehr, und ich hoffe, dass künftige Auflagen ein Cocktail aus den verschiedenen "Normalitäten" sein werden, die jetzt Teil unseres Lebens sind.
Das Out Film Festival, das sein zehnter Jahrestag feiert, war der Gewinner der Ubunifu Awards 2021 © Kevin Mwachiro
Es war kein leichtes Unterfangen und jedes Mal, wenn das Festival beginnt, sind die Erleichterung und die Aufregung groß, aber es warden auch die Daumen gedrückt, dass es reibungslos und störungsfrei abläuft. Das Festival hat mir die Kraft der Innovation vor Augen geführt, und wie das Wasser wird auch sie ihren Weg zum Ziel finden. Das Ziel ist meiner Meinung nach die Darstellung einer Liebe, die ganz normal ist. Es soll unsere Realität gefeiert werden, und es soll gezeigt werden, wie die Kraft des Geschichtenerzählens durch Filme Brücken bauen, erziehen, unterhalten, ermächtigen und vor allem ein Fenster zu sich selbst darstellen kann.