Zivilgesellschaft in Ostasien: Kampf gegen Desinformation

Eine Person, die ein Handy hält, mit einer Drohne im Hintergrund, zeigt die Verbindung zwischen Technologie und Innovation. © Yukari Mishima

Zivilgesellschaftliche Organisationen in Südkorea, Japan und Taiwan spielen eine zentrale Rolle beim Schutz der Informationsintegrität und der Stärkung der demokratischen Resilienz. Sie setzen auf technologische Innovation, Bürgerbeteiligung, internationale Zusammenarbeit und Bildungsinitiativen. Dieser Artikel beleuchtet ihren vielschichtigen Ansatz und stellt wichtige Akteure vor.

Technologische Fortschritte wie Onlinetools für die Kollaboration im Team, spezialisierte Apps und Chatbots spielen eine entscheidende Rolle darin, die Auswirkungen von Fehl- und Desinformation abzuschwächen. Kollaborationstools ermöglichen es der Bevölkerung, effizient zusammenzuarbeiten, Informationen zu teilen und sogar Daten für die öffentliche Debatte zu sammeln. Apps können Nutzern unmittelbaren Zugang zu verifizierten Informationen und Dienstleistungen zur Faktenprüfung bieten. Chatbots können in der Interaktion mit Nutzern verdächtige Inhalte überprüfen, Fragen beantworten und Fakten prüfen, um so gegen falsche Behauptungen vorzugehen. Diese Technologien fördern eine schnelle Reaktion auf Fehlinformationen, sorgen für Problembewusstsein, verbessern die Medienkompetenz, erhöhen das Engagement von Bürgern und fördern ein besseres Verständnis der Informationslandschaft.

2013 wurde in Taiwan ein Projekt namens „News Helper“ ins Leben gerufen. Ronny Wang, ein Softwareingenieur, schlug die Idee beim vierten Hackathon von g0v [1] vor. News Helper war eine Browser-Erweiterung, die das Bewusstsein der Nutzer für verdächtige Informationen erhöhen sollte. Die Erweiterung war für Google Chrome und Firefox verfügbar, analysierte beim Browsen von Nachrichtenseiten automatisch die Inhalte und warnte in Pop-ups, wann immer etwas verdächtig schien. Als die Lesegewohnheiten bei Nachrichten zunehmend mobile Geräte gegenüber Computern bevorzugten, beschloss Ronny, den Service einzustellen. Daraufhin brachte die g0v-Community weitere Projekte hervor, wie zum Beispiel „Cofacts“, eine Plattform, die Crowd-Kollaboration zur Faktenprüfung nutzt. Der Chatbot von Cofacts, der in Taiwans beliebte Messaging-App LINE integriert ist (welche 90 % des Marktes beherrscht), ermöglicht es Nutzern, verdächtige Nachrichten einfach weiterzuleiten, sucht dann in einer auf Crowdsourcing basierenden Datenbank von Falschmeldungen nach Treffern, und liefert anschließend unmittelbar ein Ergebnis des Faktenchecks.

Cofacts ist eine kollaborative Plattform, die es Individuen ermöglicht, Fakten zu prüfen und zu einer gemeinsamen Wissensbasis beizutragen. Das Projekt betont, wie wichtig unterschiedliche Perspektiven im Umgang mit Fehlinformation sind. Es ist so angelegt, dass es verschiedene Meinungen sammelt und präsentiert und hilft Nutzern so, bei widersprüchlichen Informationen eine informierte Entscheidung zu treffen.

Cofacts ermutigt Nutzer, die Informationen selbstständig zu evaluieren, anstatt sich auf eine einzige autoritäre Quelle zu verlassen – ausgehend von der Überzeugung, dass es keine einzige Instanz gibt, welche die ganze Wahrheit kennt. Die Ergebnisse des Faktenchecks können von anderen Teilnehmern eingesehen werden, und die Plattform zeigt auch Ergebnisse von Faktenchecks anderer Organisationen und dient so als ein Forum der öffentlichen Diskussion.

Parti Co-op, eine südkoreanische Kooperative, entwickelt innovative Plattformen zur Online-Kollaboration, die über von Bürgern durchgeführte Faktenchecks hinausgehen. Diese Plattformen dienen einem doppelten Zweck: Sie sollen das Sammeln umfassender Informationen und Datensets zu kontroversen Zwischenfällen ermöglichen und allgemein die Transparenz erhöhen, indem eine faktenbasierte Grundlage für den öffentlichen Diskurs geschaffen wird.
 

Eine Frau verwendet einen Chatbot zur Kommunikation mit einem Roboter. © Yukari Mishima

Mit etwas Hilfe durch KI…

Ein bekanntes taiwanesisches Sprichwort besagt: „Ein Gerücht in Umlauf zu bringen, erfordert nur einen Mund. Es zu widerlegen, kann deine Beine erschöpfen.“ Die bereits erwähnte Plattform Cofacts hat daher KI-Technologie in ihr System für den Faktencheck integriert. KI spielt eine immer wichtigere Rolle in der Bekämpfung von Fehlinformation und Hassrede.

Dieser Trend ist auch in Japan deutlich sichtbar: Im Jahr 2018 nahm die FactCheck Initiative Japan (FIJ) eine KI-basierte Konsole zur Faktenprüfung (Fact-Checking Console, FCC) in ihr Netzwerk zum Prüfen von Fakten auf. Die FCC wurde in Zusammenarbeit mit SmartNews, Inc. und dem Tohoku University Natural Language Processing Lab entwickelt und nutzt Künstliche Intelligenz und die Verarbeitung natürlicher Sprache (natural language processing, NLP), um auf Social-Media-Plattformen wie X (ehemals Twitter) zweifelhafte Informationen automatisch zu erkennen. Diese Technologie hilft den Mitarbeiter*innen und Freiwilligen der FIJ, kontinuierlich nach falschen Informationen zu suchen und sie zu identifizieren, woraufhin diese durch Medienpartner untersucht und auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft werden.

Neben der Prüfung von Fakten haben sich einige Organisationen der Zivilgesellschaft auch dem Ziel verschrieben, das große Ganze der Informationslandschaft zu betrachten. Das Taiwan Information Environment Research Center (ursprünglich Information Operations Research Group (IORG) genannt) nutzt seine Datenbank – ein riesiges Repository von Onlineinhalten, welches täglich über zwölf Millionen schriftliche Äußerungen verarbeitet – um die Quellen von verdächtigen Onlineinhalten aufzuspüren und zu verfolgen, wie bestimmte Narrative die öffentliche Sphäre beeinflussen. Mit einem kollaborativen Modell, welches menschliche Expertise mit KI kombiniert, analysiert das Team das informationelle Ökosystem, identifiziert manipulative und trügerische Narrative und seziert sie.

Bildungsinitiativen spielen eine zentrale Rolle dabei, Individuen darin zu ermächtigen, die komplexe Informationslandschaft zu navigieren. Traditionelle Ansätze für Medienkompetenz müssen um eine „digitale Kompetenz“ aktualisiert werden und sich an eine breitere Öffentlichkeit wenden.

Organisationen wie Fake News Cleaner in Taiwan versuchen, älteren Menschen digitale Kompetenzen zu vermitteln und ihnen so die Fähigkeiten zu geben, Informationen zu identifizieren und kritisch zu beurteilen. Indem sie Medienkompetenz und kritisches Denken fördern, tragen diese Initiativen zum Aufbau einer Gesellschaft bei, welche widerstandsfähiger gegenüber Fehl- und Desinformation ist. Der Fokus auf die Aufklärung von Risikogruppen wie älteren Menschen ist besonders wichtig, da diese oft Ziel von Desinformationskampagnen sind. 

Eine weitere taiwanesische Initiative, die Pangphuann Association, richtet sich an Lehrkräfte und Schüler*innen. Sie wurde 2020 von Lehrer*innen und Aktivisten gegründet und hat seitdem mit 160 Schulen kooperiert und 3.500 Lehrkräfte erreicht. Die Vereinigung entwickelt interessante und handlungsorientierte Lehrpläne, um politische Themen im Klassenraum zu behandeln. Diese Lehrpläne verwandeln das komplexe Problem der Desinformation in zugänglichen Lehrstoff für Klassen unterschiedlicher Formate und fördern die fachübergreifende Zusammenarbeit an Schulen. Dadurch verbessern sie das zivilgesellschaftliche Engagement von Lehrer*innen und Schüler*innen und deren Fähigkeiten im kritischen Denken, und tragen damit zu größeren digitalen Kompetenzen bei.

Die internationale Zusammenarbeit hat sich zu einem unerlässlichen Faktor entwickelt, um dem globalen Charakter von Desinformation zu begegnen. Dabei kooperieren Organisationen und Akteure verschiedener Arten im globalen informationellen Ökosystem miteinander.

Faktencheck-Organisationen aus Taiwan, Japan und Südkorea sind etwa aktiv an internationalen Netzwerken wie dem International Fact-Checking Network (IFCN) und der #CoronaVirusFacts Alliance beteiligt. Diese Netzwerke fördern den Austausch zu Erfolgsmethoden, Tools und Strategien und verbessern insgesamt die Effektivität der zivilgesellschaftlichen Bemühungen weltweit. Das IFCN unterstützt Faktenchecker in 34 verschiedenen Ländern zudem mit Mitteln in Höhe von insgesamt 975.000 US-Dollar, darunter auch Parti Co-op in Südkorea.
 

 Illustratives Bild von Menschen, die an Laptops vor einer Karte arbeiten. © Yukari Mishima

 

Interaktion mit der Regierung und Unterstützung aus dem privaten Sektor

Das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft, Regierung und dem privaten Sektor unterscheidet sich je nach Land. In Südkorea sind die Beziehungen der Regierung zu Faktencheckern gelegentlich konfrontativ: Während der Präsidentschaftswahlen 2017 verklagte die konservative Liberty Korea Party (heute People Power Party) den FactCheck Center der Seoul National University (SNU) wegen Voreingenommenheit und Verleumdung. Während die Strafanzeige in einem Schnellverfahren abgelehnt wurde, zog sich der Zivilprozess über zwei Jahre hin. Erst dann entschied das Gericht zugunsten SNU FactCheck und bestätigte damit, dass die Überprüfung der Aussagen von öffentlichen Personen auf ihren Wahrheitsgehalt essenziell wichtig in einer Demokratie ist und keine Form der Verleumdung.

Finanzielle Unterstützer von koreanischen Faktencheck-Initiativen werden immer wieder unter Druck gesetzt, ihre Unterstützung zu reduzieren. Naver (das „Google Südkoreas“) hatte beispielsweise SNU FactCheck seit 2017 mit jährlich rund 783.000 US-Dollar unterstützt, stellte die Unterstützung 2023 jedoch ein. Naver bezeichnete dies als eine „strategische Entscheidung“.

In Taiwan dagegen ist die öffentlich-private Zusammenarbeit ein häufiger Ansatz der Regierung, wenn es darum geht, neuen Herausforderungen zu begegnen: Eine solche Zusammenarbeit hilft dabei, Probleme zu lösen, Vertrauen aufzubauen und Unterstützung zu generieren, unter anderem auch bei den Bemühungen, der Desinformation Herr zu werden. Der Report des taiwanesischen Exekutiv-Yuan für 2018 betont die Wichtigkeit einer solchen Zusammenarbeit, die auch Faktenchecker und Systeme Dritter involviert, um eine robuste Abwehr gegen Fehlinformation zu etablieren. Die taiwanesische Regierung unterstützt zudem Initiativen zur Faktenprüfung, die eine Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Taiwan FactCheck Center und den Austausch mit der Tech-Community über Plattformen wie Cofacts beinhalten. Beispiele waren zum Beispiel Live-Faktenchecks bei Wahlen und die COVID-19-Pandemie.

In Japan findet die Unterstützung der Regierung von Initiativen zur Bekämpfung von Fehl- und Desinformation eher indirekt statt. In seiner „Forschungsgruppe zu Plattformdienstleistungen“ stellte das Ministerium für Innere Angelegenheiten und Kommunikation die Notwendigkeit fest, Desinformation in den sozialen Medien zu bekämpfen, aber gleichzeitig die Redefreiheit zu bewahren. Dies führte zu Empfehlungen für freiwillige Bemühungen des privaten Sektors, welche wiederum die Safer Internet Association (SIA) dazu veranlassten, ein „Forum für Maßnahmen gegen Desinformation“ zu schaffen. Diskussionen in dem Forum unterstrichen die Notwendigkeit für eine Faktencheck-Organisation, was schließlich zur Gründung des Japan Fact-Check Center (JFC) durch die SIA im Oktober 2022 führte. Auch wenn das Regierungsministerium den JFC nicht selbst gegründet hat, waren die ursprüngliche Identifizierung des Problems durch das Ministerium und seine darauffolgenden Empfehlungen entscheidend dafür, dass der Prozess in Bewegung gesetzt wurde.

Herausforderungen

Das Engagement der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung der Auswirkungen von Desinformation in Ostasien findet in einer dynamischen und sich stets wandelnden Landschaft statt. Einer Landschaft mit vielen Herausforderungen, unter anderem der, neutral zu bleiben, während man gleichzeitig Fehlinformationen in stark polarisierten Umgebungen effektiv bekämpft. Der Aufbau von robusten inländischen und internationalen Netzwerken ist äußerst wichtig für diese Organisationen. Das gesamte Ökosystem zur Bekämpfung falscher Informationen sollte Faktenchecker, Forscher, Online-Plattformen, Vermittler von Medienkompetenz, Medienorganisationen und Regierungsinstitutionen umfassen. Durch das Teilen von Erfolgsmethoden, technologischen Tools, Strategien zur Zusammenarbeit und regulatorischen Instrumenten verstärken diese Netzwerke die Wirkung der einzelnen Bemühungen und schaffen eine geschlossene Front gegen Fehl- und Desinformation.

KI steht kurz davor, die Informationslandschaft dramatisch zu verändern und dabei neue Herausforderungen für die Bewahrung der Integrität des öffentlichen Diskurses mit sich zu bringen. Die Erschaffung von ausgefeilten unechten Personas, welche gefälschte Konten mit AI-generierten Inhalten kombinieren, wird immer häufiger vorkommen. Dies wird zu einem unfairen Wettbewerb führen, in dem KI-basierte Instanzen riesige Mengen von qualitativ hochwertigem Inhalt produzieren können und damit menschliche Stimmen möglicherweise völlig übertönen.

KI wird es Akteuren auch ermöglichen, Narrative auf subtilere und effektivere Art und Weise zu manipulieren, um so die öffentliche Meinung in großem Stil zu beeinflussen. Die größte Sorge besteht jedoch vermutlich darin, dass mit sinkenden Kosten und niedrigeren technologischen Barrieren beim Einsatz von KI diese Fähigkeiten einer größeren Bandbreite von Individuen und Organisationen zur Verfügung stehen werden. Dadurch könnte die Verbreitung von Fehl- und Desinformation auf digitalen Plattformen womöglich noch verstärkt werden.  Zivilgesellschaftliche Organisationen sind neben technologischen Fortschritten, Bürgerengagement und globaler Kooperation essenziell wichtig für die Bekämpfung dieser Probleme. Ohne solch konzertierte Anstrengungen wird das Ziel einer aufgeklärten und widerstandsfähigeren Gesellschaft nur in noch weitere Ferne rücken.

Autorin

Isabel Hou arbeitet seit dem Jahr 2000 als Rechtsanwältin und ist spezialisiert auf innovative Technologien und Fragen des digitalen Staats. Seit 2021 ist sie aktives Mitglied von g0v, einer Basisbewegung und „staatsbürgerlichen Tech-Community“ aus Taiwan. Zwischen 2020 und 2022 war sie als Vertreterin der „Zivilgesellschaft“ Teil des taiwanesischen Komitees für ein offenes Parlament und verfasste Taiwans ersten „Aktionsplan für ein offenes Parlament“. In jüngster Zeit kooperierte sie mit Partnern aus der Gesellschaft und warb für einen Aktionsplan für „Digitale Kompetenzen der Bürger“, welcher für eine soziale Infrastruktur für die nächste Generation des Landes sorgen soll.

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