Internationaler Hilfsfonds 2020
Kino auf Rädern

Filmkunst ohne Kino
Filmkunst ohne Kino | Foto (Ausschnitt): © Hania Mroué, Metropolis 2019

Das Metropolis Art Cinema in Beirut hat bereits einige Katastrophen bewältigt, Covid-19 ist nur eine davon. Leiterin Hania Mroué findet dennoch, auch dank Mitteln aus dem Internationalen Hilfsfonds des Goethe-Instituts, des Auswärtigen Amts und weiterer Stiftungen und Kulturmittlerorganisationen immer wieder neue Wege, der Öffentlichkeit internationale und libanesische Filmkunst nahezubringen.

Eine der Besonderheiten dieses Jahres sind die Lachnummern, die es hervorgebracht hat. Es gibt Lachnummern über das Erwachen (2020 – Ein Alptraum), das Zurücksetzen (2020 – Ein Programmierfehler) und die Inszenierung seiner konzeptionellen, computer-gesteuerten Explosion (2020 als „Mission Impossible“-Tropus) à la John Oliver.
 
Für einen Großteil der Welt sind es die Pandemie und die damit einhergehende globale Rezession, die 2020 in einen Alptraum verwandelt haben. Der Libanon ist eines der Länder, deren hausgemachte Leiden bereits so gravierend waren, dass COVID-19 eher einer Farce glich. Auf die Frage, ob dieses bittere Jahr die größte Herausforderung für das Metropolis Art Cinema sei, antwortet Hania Mroué ebenso überraschend wie aufschlussreich: „Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht.“
 
2019 waren es gerade elf Jahre, dass sich die gemeinnützige Stiftung Metropolis in einem einzigartigen Experiment befand: einer geschäftlichen Partnerschaft mit der Kinokette Empire. Elf Jahre zeigte das hübsche, wenn auch etwas altmodische kleine, von Empire betriebene Zwei-Leinwand-Kino Sofil das Metropolis-Programm. Als am 17. Oktober Proteste und Unruhen im ganzen Land ausbrachen, gehörte das Metropolis zu den Kulturorganisationen, die sich spontan daran beteiligten. Einige Wochen später, als Mroué versuchte, den Kinobetrieb wieder aufzunehmen, musste sie feststellen, dass Empire die Vereinbarung aufgekündigt hatte.
 
„Die Aufstände zwangen das Metropolis, seine Tore zu schließen, aber wir fühlten, dass wir Teil eines großen Wandels waren. Wenn es gegangen wäre, hätten wir ein neues Kino gebaut. Das fühlte sich an wie ein Traum, nicht wie eine Herausforderung.“
 
Die einsetzende Finanzkrise brachte die libanesischen Banken dazu, ihren Kunden Kapitalkontrollen aufzuerlegen. Die Kontrollen beschränkten zunächst den Zugang der Einleger*innen zu ihren US-Dollar. Später, als der Wert der Lira einbrach, wurde die Anerkennung des Marktwerts der Einlagen verweigert. Die Krise habe sie schwer getroffen, sagt Mroué. „Wenn man einen Finanzhaushalt aufstellen will, weiß man nicht, ob man ihn in libanesischen Pfund, Dollar oder sogar Lollar (US-Dollar-Einlagen, die nicht für konventionelle Transaktionen verwendet werden können) oder zu welchem Wechselkurs überhaupt aufstellen soll.“

Plötzlich Teil einer globalen Frage

„Und dann kam Corona“, lacht sie. „Das ist wie ein schlechter Witz, aber weil dies eine globale Krise ist, hat sie uns auf die gleiche Stufe gestellt wie alle anderen. Wir hatten unsere Einrichtung verloren, doch plötzlich waren alle Kinos geschlossen. Jeder hat darüber diskutiert, wie wir die Kinos wieder öffnen können. Wie sollten wir dieses Kinoerlebnis wieder aufleben lassen? Das ist nun eine globale Frage, dadurch fühlen wir uns weniger allein und ausgegrenzt.“
 
Das ursprüngliche Zuhause des Metropolis, das kleine Theater des historischen Saroulla-Kinos von Hamra, wurde im Juli 2006 mit einer Wiederholung der „Semaine de la Critique“ von Cannes eröffnet, die bis 2019 ein Eckpfeiler des Jahresprogramms blieb. Die erste Begegnung Beiruts mit der Kritiker*innenwoche wurde nach der Premiere durch monatelange Bombenangriffe unterbrochen, und Masrah al-Madina, Inhaberin des Saroulla, öffnete ihre Türen für geflüchtete Familien.
 
Obwohl ihr Publikum mehrheitlich damit beschäftigt war, am Fernseher zu kleben oder sich zu betrinken, beschloss Mroué, ihre Vorführungen fortzusetzen. Einige der wenigen Zuschauer*innen waren gelangweilte junge Erwachsene aus den vertriebenen Familien im Saroulla. Deren erste Kinoerfahrung war nun also eine Einführung in den internationalen Arthouse-Film.
 
Während seiner Jahre im Sofil wuchs das Metropolis mit seinem wechselnden Programm aus Festivals und Vorführungen internationaler und libanesischer Titel zu einem beliebten Ort für lokale Arthouse-Premieren. Die Stiftung gründete einen eigenen Verleih, MC Distribution, startete ein Projekt namens „Cinematheque Beirut“ und widmete sich der vernachlässigten libanesischen Filmgeschichte. Außerdem wurden zwei Initiativen zur Filmkunstvermittlung entwickelt, an denen sich etwa 22.000 bis 24.000 Kinder beteiligten: „Cinema on the Road“ (Kino auf der Straße) bedient vor allem Flüchtlingssiedlungen und öffentliche Schulen, während sich eine Partnerschaft mit dem Institut Français, „Tous au Cinema“, um französischsprachige Schulen des Libanon kümmert.
 
Diese Aktivitäten wurden fortgeführt, wenn auch mit Einschränkungen durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch, die Finanzkrise, die Pandemie, die Abriegelungen und die verheerende Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020.
 
Anstelle einer sinnvollen Reaktion des öffentlichen Sektors auf das krisenbedingte Ausbluten wurden die meisten Hilfsmaßnahmen im Libanon von gemeinnützigen und internationalen Nichtregierungsorganisationen ausgeschüttet und durch Ad-hoc-Spendenaktionen aufgestockt. Das Metropolis gehörte zu den wenigen Kultureinrichtungen, die vom Lebanon Solidarity Fund profitierten und jüngst vom Internationalen Hilfsfonds des Goethe-Instituts.
 
„Ohne diese Unterstützung“, sagt Mroué, „wäre es sehr viel schwieriger weiterzumachen.“ Während der Solidaritätsfonds des Libanon Gelder für eine einjährige Unterstützung des Kernteams der Stiftung zur Verfügung stellt, ermöglichte der Internationale Hilfsfonds dem Metropolis, Ausrüstung anzuschaffen, die zur Umsetzung des neuen mobilen Kinoprojekts „Metropolis on Wheels“ benötigt wurde.

Neue Wege durch Zusammenarbeit

„Die Tatsache, dass wir im Moment keinen Veranstaltungsort in Beirut haben, ist die Gelegenheit, neue Gebiete, neue Gegenden zu erkunden, ein zukünftiges neues Publikum zu erreichen.“
 
„Natürlich legen wir unser Augenmerk auf libanesische Filme, insbesondere auf die Titel, die das ganze Jahr auf eine lokale Veröffentlichung warten mussten. Wir wollen dazu beitragen, libanesische Filmemacher*innen zu unterstützen. Ich glaube, dass das Interesse an libanesischen Filmen heutzutage größer ist. Es gibt sogar Dokumentarfilme, die für den aktuellen Kontext relevant sein könnten.“
 
Die Zusammenarbeit zwischen den Kulturorganisationen ist für Mroué in den kommenden Monaten und Jahren von zentraler Bedeutung. Eine weitere Chance sieht sie in Vorführungen im Freien, weil man nicht nur den Film auswähle, sondern auch die Nachbar*innen, die Kommune einbeziehe. „Es handelt sich also eher um eine gemeinschaftliche als um eine rein cineastische Veranstaltung. Es ist nicht wie das normale Ins-Kino-Gehen. Der Vorführraum, der Ort selbst verleiht dem Erlebnis eine andere Note. Das ist aufregend.“