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Deutsche Spuren im Libanon
Die Rote Armee Fraktion – Begegnungen mit Phantomen

Ingrid Siepmann
© gettyimages

Die Stimmung in Deutschland war Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre angespannt. Beim CDU-Parteitag am 7. November 1968 ohrfeigte Beate Klarsfeld vor laufenden TV-Kameras den deutschen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und nannte ihn aufgrund seiner ungeklärten Vergangenheit „Nazi“.

Bei einem Besuch des Schahs von Persien war am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg auf offene Straße von einem deutschen Polizisten erschossen worden. Am 11. April 1968 wurde einer der Anführer der Studentenbewegung in Deutschland, Rudi Dutschke, bei einem Attentat schwer verletzt. Die deutsche Polizei schwieg. Die linke Öffentlichkeit verlangte Aufklärung, die sie nie bekam. 

Das Attentat auf Rudi Dutschke war für Ingrid Siepmann Auslöser, politisch aktiv und radikaler zu werden. 1944 in Marienberg in einer Apothekerfamilie geboren, zog sie 1966 nach West-Berlin. Zuvor hatte sie in Tübingen Griechisch studiert, einen Sohn bekommen und 1965 ihren damaligen Freund und Vater ihres Sohnes, Eckhard Siepmann, geheiratet. Doch diese Bürgerlichkeit war nach dem Attentat auf Rudi Dutschke nicht mehr ihr Leben. 1969 wurde sie die Freundin von Dieter Kunzelmann, dem Mitbegründer der „Kommune 1“. Ende 1969 reiste Ingrid Siepmann mit Kunzelmann und anderen zur Ausbildung in ein Camp der Al Fatah, der stärksten Fraktion innerhalb der PLO, in den Libanon.

Siepmann pendelte zwischen beiden Welten: Libanon und Deutschland. Für die RAF beschaffte sie Geld und war an mehreren Banküberfällen beteiligt. Innerhalb von zwei Jahren war sie Teil des  inneren Kreises der Terroristen geworden. Auf der Gruppe lastete ein enormer Fahndungsdruck. Misstrauen innerhalb der eigenen Reihen machte sich breit. 1974 wurde Ingrid Siepmann in Deutschland verhaftet, zu 13 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, bereits ein Jahr später, 1975, kam sie wieder auf freien Fuß. Die Bundesregierung hatte sie mit weiteren Häftlingen der Bewegung „2. Juni“ gegen den entführten Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz frei. Am 3. März 1975 reiste sie über den Südjemen in den Libanon aus. 

Auch im Libanon lebte sie im Untergrund und baute dort ihre Kontakte zu anti-israelischen und anti-zionistischen Gruppen aus. In Deutschland nahm die RAF einen anderen Weg: Am 9. Mai 1976 erhängte sich Ulrike Meinhof mit einem in Streifen gerissenen Handtuch am Zellenfenster der Justizvollzugsanstalt Stammheim. Nach dem Scheitern eines Versuchs von Sympathisanten, die verbliebenen Gefangenen im sogenannten Deutschen Herbst freizupressen, begingen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der sogenannten Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977 Selbstmord.

Ingrid Siepmann blieb weiter aktiv. 1977 soll sie den Entführung des österreichischen Industriellen Michael Palmers beteiligt gewesen sein. Sie erbeutete mehrere Millionen D-Mark, die zwischen RAF und der Volksfront zur Befreiung Palästinas aufgeteilt wurden. Seit 1977 war Ingrid Siepmanns Gesicht auf allen deutschen Plakaten zur Terrorfahndung. Sie gehörte zu den am meisten gesuchten Terroristinnen. 

Ingrid Siepmann wurde die Situation in Deutschland zu heiß. Sie blieb im Libanon, wo, so belegen deutsche Quellen, sie sich einer palästinensischen Frauenbrigade anschloss und sich im Süden des Landes in der Gegend um Sidon aufhielt. Im Libanonkrieg 1982, einer Auseinandersetzung zwischen der israelischen Armee und Milizen einerseits und der PLO und syrischen Truppen andererseits, kämpfte sie für die PLO. Am 9. oder 10. Juni 1982 soll Ingrid Siepmann bei einem israelischen Bombenangriff ums Leben gekommen sein. Andere Quellen berichten, dass wie während der Kämpfe beim Massaker von Sabra und Schatila im September 1982 umgekommen sein. Weitere Hinweise aus der damaligen Zeit finden sich nicht. 

Noch ein weiteres Ereignis gibt im Verbindung mit dem Tod Siepmanns Rätsel auf: Kurz vor Ihrem Tod soll Ingrid Siepmann mit einem Kind, das sie als ihr leibliches Kind bezeichnete, bei der Deutschen Botschaft in Beirut vorstellig geworden sein. Sie bat um eine sofortige Ausreisemöglichkeit nach Deutschland und bot im Austausch dafür Insiderwissen über terroristische Gruppierungen und die RAF an. Für die Deutsche Botschaft war dieser unerwartete Besuch undurchsichtig. Da die Diplomaten nicht sofort entscheiden konnten, sei Ingrid Siepmann so schnell verschwunden, wie sie gekommen war – ohne Spuren zu hinterlassen. 

Ingrid Siepmanns Name sollte Jahre später in Deutschland nochmals auftauchen. Am 20. April 1998 ging bei der Nachrichtenagentur Reuters in Köln ein Schreiben ein, in dem die RAF ihre Selbstauflösung verkündete: „Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“ In dem acht-seitigen Dokument fand sich eine Opferliste mit den Namen getöteter RAF-Terroristen. Auf der Liste fand sich auch der Name von Ingrid Siepmann. 

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