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Deutsche Spuren im Libanon
Der „Köpenick des Nahen Ostens“ – Walter Schmerl

Fahndungsfoto Hochstaplers Walter Schmerl
Mit freundlicher Genehmigung: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Konsulat Beirut, Paket 86, S18, Spezialakte Hochstapler mit Pass, L. Buchholz-Walter Schmerl, Graf von Kalkreuth

Um einen dreisten Betrüger, der Anfang der 1930er Jahre unter diversen Falschnamen den gesamten Vorderen Orient unsicher machte, geht es in diesem Fall. Ziel des Schwindlers, der sich zuweilen als Adeliger ausgab, waren ausschließlich deutsche Landsleute, denen er entweder eine finanzielle Notlage vorgaukelte oder sich als investitionsfreudiger Geschäftsmann ausgab, der weitere Geschäftspartner suchte. 

Immer wieder fielen Auslandsdeutsche auf seine Masche herein – darunter solche, die offenbar selbst keine ehrbaren Kaufleute waren. Gutgläubigkeit herrschte auch bei einigen Konsularbeamten vor, die es dem Betrüger trotz auftretender Ungereimtheiten ermöglichten, sein Machwerk fortzusetzen. Schritten sie schließlich ein, hatte er bereits den Konsulatsbezirk verlassen. Den Fall ins Rollen brachte das Beiruter Konsulat mit einem Routinevorgang. Doch der Reihe nach:

Mit der Beiruter Vertretung kam ein gewisser „Fritz Ströbele“, geboren am 29. Juli 1906 in Hechingen, am 7. Juli 1930 wegen einer alltäglichen Sache in Kontakt. Angeblich seien ihm, der sich auf der Durchreise von Bagdad nach Deutschland befand, in den Souks von Beirut Brieftasche und Reisepass gestohlen worden. Der Pass sei vom Oberamt in Stuttgart ausgestellt worden, er bitte nun um Neuausstellung. 

Wie gewünscht, stellte das Konsulat dem auf rasche Abreise Drängenden am selben Tag einen neuen Pass aus und informierte neben der Stuttgarter Behörde routinemäßig auch die Generalkonsulate der Region, darunter Jerusalem, Smyrna, Bagdad, Alexandrien sowie die Gesandtschaft in Teheran, die Botschaft in Kairo und die Konsularische Abteilung in Istanbul. Soweit die Routine. 

Schon am Abend des nächsten Tages drahtete die Bagdader Vertretung, dass an der Sache etwas faul sei. Der genannte Fritz Ströbele befinde sich noch in Bagdad, allerdings habe ein „Abendteurer“ die Stadt mit dem Pass des Ströbele am 3. Juli verlassen. Dieser „Abendteurer“ besitze einen zweiten, in Breslau ausgestellten Pass, der auf den Namen „Ludwig Buchholz“ laute. Der Pass des Ströbele solle eingezogen und nach Bagdad gesandt werden, im Gegenzug die Identität des „Abendteurers“ festgestellt werden. Dieser habe im Übrigen 7.000 Mark Schulden hinterlassen.

Am 12. Juli ging ein weiteres Schreiben aus Bagdad ein, welches das Zustandekommen der Schulden erläuterte. Demnach war der „Landwirt und Schriftsteller Ludwig Buchholz“ Anfang Februar des Jahres in Bagdad aufgetaucht und hatte sogleich Darlehen von mehr als 6.000 Mark aufgenommen, um ein vom Gutsverwalter des Königs gepachtetes Gelände zu bewirtschaften. Dem Konsulat gegenüber habe er jegliche Auskünfte über seine Vergangenheit verweigert und seine Papiere nur einmal kurz dem Konsulatssekretär vorgezeigt. In letzter Zeit habe er das Gerücht verbreiten lassen, er heiße nicht Buchholz, sondern sei ein adeliger deutscher Kavallerieoffizier, der im Zusammenhang mit deutschen Fememördern und einer Verwicklung in den Mord an Außenminister Walther Rathenau strafrechtlich gesucht werde. 

Zwei Tage später meldete das Konsulat in Alexandria, dass es sich bei dem „Abendteurer“ wohl um den wegen verschiedener Betrügereien gesuchten Deutschen „Walter Schmerl“ oder „Otto Zarnekow“ handele, der gebürtig aus Erfurt stamme. Bei der mit gelieferten Personenbeschreibung wurde mitgeteilt, dass dem Gesuchten ein Glied des rechten kleinen Fingers fehle. Nun wolle der Genannte wohl „sein Glück“ mit dem in Beirut ausgestellten Reisepass versuchen. Überdies werde Schmerl/Zarnekow in Deutschland, Österreich und Jugoslawien wegen verschiedener Straftaten von der Kriminalpolizei gesucht. Dass der Alexandriner Beamte damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, stellte sich erst später heraus.

Nach weiteren Ausführungen des Bagdader Konsuls Wilhelm Litten (1880-1932) – Litten ist heute noch für seinen Augenzeugenbericht über die Todesmärsche der Armenier aus dem Jahre 1916 bekannt –, hatte der Gesuchte einen deutschen Kaufmann namens Hans Krumpeter in seine Geschäfte involviert. Diesem gegenüber habe er sich als „Graf Walter v. Kalkreuth aus Siegersdorf-Vieselbach“ vorgestellt und ihm „einige tausend Pfund“ in Aussicht gestellt. Mit dem Ansinnen, diese in Zürich abzuheben, habe er das Land am 3. Juli verlassen. 

Wie Konsul Litten weiter ausführte, fiel auch auf „Buchholz‘“ Geschäftspartner Krumpeter kein günstiges Licht. Schon in Teheran habe dieser Schulden angehäuft und die Buchführung über seine Geschäftsführung – er war hier bei einer sowjetischen Firma namens Rustransit tätig – „vernachlässigt“. Man habe ihm in Bagdad eine zweite Chance geben wollen, inbesondere seiner Sprach- und Landeskenntnisse wegen. Krumpeter habe in der Folgezeit die Vertretung mehrerer deutscher Firmen übernommen, darunter die der Chemischen Fabrik E. Merck in Darmstadt. Mit der Zeit habe Krumpeter aber sein zweites Gesicht gezeigt. Briefverkehr sei unbeantwortet geblieben, und er habe sich mit Personen eingelassen, vor denen er von Konsulatsseite ausdrücklich gewarnt worden sei. Darüber hinaus habe er Mitarbeiter wie den genannten Fritz Ströbele unter sklavenartigen Bedingungen auf dem Landgut beschäftigt, ihm nicht nur keinen Lohn bezahlt, sondern ihm auch das vom Konsulat für die Heimreise zur Verfügung gestellte Geld abgeschwatzt. Schließlich habe er Ströbele auch noch den Reisepass entzogen und diesen später an den flüchtigen „Buchholz“ weitergegeben.

Der bezeichnete „Buchholz“ sei nach dessen Ankunft von Krumpeter sofort vereinnahmt worden. So hätten die beiden beim königlichen Gutsverwalter erreicht, dass zusätzliches Land an sie verpachtet wurde. König Faisal I. (1883-1933, reg. 1921-1933) selbst habe „lebhaften Anteil“ an dem Bewirtschaftungsprojekt „Landheim zur Schlanken Linie“ genommen und habe die Ländereien nicht nur besucht, sondern dem vermeintlichen Landwirt „Buchholz“ auch mehrere Audienzen gewährt. 

Glaubt man den Schilderungen Littens, waren die Krumpeter/“Buchholz’schen“ Ländereien in der Folge zum Ausflugsziel der Bagdader deutschen Kolonie geworden. Aufgrund der von den Geschäftspartnern prophezeiten hohen Gewinne zeigten sich viele Deutsche beindruckt und beteiligten sich auch finanziell am Bewirtschaftungsprojekt. Darüber hinaus versorgte die deutsche Kolonie den arbeitsamen „Buchholz“ mit allerhand Naturalien.

Erste Bedenken seien ihm, dem Konsul jedoch gekommen, als „Buchholz“ den als Gegenleistung für einen Vorschuss zur Aufsicht erhaltenen deutschen Kriegsgräberfriedhof ohne Not unter Wasser setzte und somit erheblichen Schaden anrichtete. Das Konsulat habe die Kosten zur Wiederherstellung übernommen. „Buchholz“ habe infolge von Krankheit nicht zum Hergang befragt werden können. Er sei vom Landgut in das Stadthaus der Krumpeters gezogen und habe sich pflegen lassen. 

Weitere Ungereimtheiten folgten: Bei einem polnischen Arzt, in dessen Haus sich „Buchholz“ für einen Tag zu Untersuchungen befand, wurden „Buchholz“ angeblich 20 Mark vom einheimischen Hauspersonal gestohlen. Erzürnt habe „Buchholz“ vom Arzt den Ersatz des Geldes verlangt und erhalten. Am selben Tag seien dem Arzt 250 Mark gestohlen worden, wofür ebenfalls das irakische Hauspersonal verantwortlich gemacht wurde. 

„Buchholz“ wurde immer dreister: Wenig später wurde er bei Litten vorstellig und verlangte ein Darlehen von 300 Mark, weil die Heuschrecken auf seinen Feldern säßen und die Arbeiter infolge ausbleibender Lohnzahlungen streikten. Krumpeter sei ihm gegenüber im Zahlungsrückstand. Trotz großer Bedenken gewährte Konsul Litten das zum 1. Juli zahlbare Darlehen, weil er sich nicht nachsagen lassen wollte, er habe aus „Hartherzigkeit den Untergang dieses Unternehmens durch Heuschreckenfras [sic]“ verursacht.

Auch bei Littens Frau versuchte der Betrüger sein Glück: Ihr lieferte er ein Brot und behauptete, nun eine Landbäckerei eröffnet zu haben. Sie solle mehrere Bestellungen aufgeben und – selbstverständlich – im Voraus zahlen. Auch bei den englischen Frauen solle sie für seine Bäckerei werben. Weil die Frau weder zahlte noch Werbung für die Bäckerei machte, wurde es plötzlich still um das angebliche Bäckerei-Projekt.

Die Maske des „Buchholz“ fiel Anfang Juni, als der Konsul von der Beschäftigung des Ströbele auf dem Landgut erfuhr und als Reaktion darauf zunächst Ströbele, dann „Buchholz“ ins Konsulat zitierte. Bei dieser Gelegenheit gab „Buchholz“ zu, nicht der Betreffende zu sein und tischte dem Konsul seine „Kalkreuth-Fememörder-Geschichte“ auf. Er müsse noch eine Amnestie abwarten, dann könne er reinen Tisch machen und alle Ungereimtheiten erläutern.

Obwohl Litten zu erkennen gab, dass eine solche Masche der von Hochstaplern entspreche, schritt er nicht sofort zur Tat. Der Konsul fürchtete um das gute Verhältnis zu König Faisal, wenn herauskäme, dass „Kalkreuth“ nach irakischem Recht mehrfach den Tatbestand von Urkundenfälschung oder Betrug erfüllt hatte. Auch Krumpeter wäre danach ruiniert gewesen. 

Nachdem „Kalkreuth“ dem Konsulat angezeigt hatte, dass er seine Maisernte der deutschen Maisgesetze wegen nicht wie geplant nach Deutschland verkaufen könne, also nicht liquide sei, musste Ströbele, der sein Geld an Krumpeter und „Kalkreuth“ verliehen hatte, am 2. Juli eingestehen, dass er das vom Konsulat erhaltene Darlehen für die Heimreise nicht zurückbezahlen könne. Er habe immer noch kein Gehalt von Krumpeter erhalten. 

Daraufhin riss dem Konsul der Geduldsfaden. Litten machte Ströbele schwere Vorwürfe und zieh ihn als „Heimschaffungsschwindler einer Gaunerbande“. Er wolle in Zukunft weder Ströbele noch „Kalkreuth“ empfangen; diese sollten künftig seinen Vertreter Dr. Brücklmeier aufsuchen. 

„Buchholz“, der im Vorzimmer gewartet und die deutlichen Worte des Konsuls mitgehört hatte, wurde daraufhin bei Brücklmeier vorstellig und beschwerte sich über die Wortwahl des Konsuls. In die Enge getrieben, musste „Kalkreuth“ nun aber daran gelegen sein, das Land auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Deshalb erbat er einen Aufschub von 20 Tagen, in denen er alle ausstehenden Zahlungen begleichen wollte. Diese Bitte wurde ihm gewährt.

Dieses großzügige, nach der bekannten Vorgeschichte aber reichlich naive Zugeständnis des Konsulats wusste „Kalkreuth“ zu nutzen – über Nacht verschwand er aus Bagdad. Krumpeter hatte die Flucht vorbereitet und ihm die Ausweispapiere Ströbeles zur Verfügung gestellt. Der Plan sah vor, dass sich die beiden Geschäftspartner zwei Wochen später in Zürich treffen wollten, um ihre finanziellen Angelegenheiten zu lösen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der zwielichtige Krumpeter noch nicht verstanden, dass er selbst auch Opfer des Betrügers geworden war. Denn nachdem die Flucht des „Grafen“ bekannt geworden war, verweigerte sich Krumpeter zunächst jeglicher Kooperation mit dem Konsulat, in dem er auf ein Schweigegelübde verwies, das er dem „Grafen von Kalkreuth“ gegeben hatte. Er wollte den mit „Kalkreuth“ geschlossenen Vertrag, der ihn vermeintlich seiner Schulden entledigt hätte, nicht gefährden. Erst als Litten Fotos des Betrügers aus Alexandria präsentierte, stellte Krumpeter am 18. Juli 1930 Strafantrag gegen „Buchholz/Kalkreuth“.

Inzwischen war herausgekommen, dass der Flüchtige auch bei seinem Kurzaufenthalt in Beirut einen Betrug verursacht hatte, und von dort aus nach Damaskus gereist war. Zusammen mit einem ungarischen Fälscher namens Zoltan Silbermann hatte er im Hotel Imperial ein Empfehlungsschreiben mit der gefälschten Unterschrift des Konsuls Litten für „Graf v. Kalkreuth“ entworfen und war damit erneut auf Suche nach Opfern gegangen. Zwei deutsche Lastwagenfahrer, die „Kalkreuth“ in Damaskus um Geldvorschuss gebeten hatte, hatten dieses Papier, sowie eine Ausfertigung des Vertrags mit Krumpeter konfisziert und nach Bagdad gebracht. 

Zu den weiteren Aliasnamen, die „Kalkreuth“ verwendet hatte, gehörten „Walter Ulmerl“, „Boris Romanoff“ und „Count von Ehrenreich“. Inzwischen war er als „Hermann Schanz“ in Aleppo unterwegs. Die Ausweispapiere hatte er einem hilfsbereiten deutschen Techniker, der ihn sogar in seiner Wohnung übernachten hatte lassen, entwendet.

Der Beiruter Konsulatssekretär schrieb daraufhin am 1. August:

„Es wundert mich sehr, dass man seiner noch nicht habhaft geworden ist, doch hoffe ich zuversichtlich dass es jetzt endlich gelingt und dieser Hauptmann von Köpenick seiner Strafe zugeführt wird.“

Doch die Sache wurde noch verzwickter: Wie sich aufgrund von „Kalkreuth“ zurückgelassenen Papieren in Bagdad und weiteren Nachforschungen in Haifa herausstellte, ging auch mindestens ein Heiratsschwindel auf das Konto des Betrügers. Demnach hatte der gewandte und einnehmende Mann einer Miriam Rosenberg die Ehe versprochen, eine Krankenschwester namens Hilde Hochwald hatte sich in Haifa in ihn verliebt und litt noch unter der Trennung. 

Verbindungen des falschen Buchholz nach Erfurt konnten anhand der Bagdader Hinterlassenschaften ebenso festgestellt werden wie die Identität des echten Buchholz, der den Verlust seines Reisepasses in Haifa erst einige Monate später bemerkt hatte. Mittlerweile sickerte auch durch, dass der Name in der vom Betrüger verwendeten Version überhaupt nicht existierte, sondern nur mit „ck“ (Kalckreuth).

Auch der wahre Name des Betrügers konnte nun zweifelsfrei zugeordnet werden. Dieser lautete Walter Schmerl, geboren am 15. April 1896 in Erfurt. 1915 fahnenflüchtig geworden, war er erstmals im Jahre 1916 unter dem Aliasnamen Karl von Törne in Bad Harzburg aufgetreten. In Zagreb war er 1927 wegen Betrugs angeklagt worden. Ein Jahr später hatte er in Elberfeld (Wuppertal) versucht, Unterstützungsgeld zu erschwindeln.

Die nächsten in den Akten vermerkten Notizen vom Flüchtigen kamen im Februar 1931 aus Istanbul, wo Schmerl erneut durch Diebstahl von Papieren eines Erich Mahle auf sich aufmerksam gemacht hatte. Außerdem soll er dort kurzzeitig in Haft gekommen sein, weil ihm die türkischen Behörden Brandstiftung zur Last gelegt hatten. Von dort war er nach Äthiopien entkommen.

Auch wenn die Akten nicht wörtlich von einer erfolgreichen Verhaftung berichten, so lassen die letzten Nachrichten zu diesem komplizierten Fall vom 6. Juni 1932 doch vermuten, dass Schmerls Fortune sich dem Ende neigte: Er war auf einer Dampferfahrt von Djibouti nach Genua schwer an Malaria erkrankt und am 6. Mai am Zielort eingetroffen. Dort habe das Deutsche Generalkonsulat die „weitere Veranlassung“ übernommen.

Damit senkte sich der Vorhang über einen Kriminalfall, der die deutschen Auslandsvertretungen des Nahen Ostens zwei Jahre lang in Atem gehalten hatte.
 

Quelle:

Hochstapler Schmerl-Buchholz, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes [PAAA], Konsulat Beirut, Paket 86

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