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 © Raoul Humpert

Impulse

Von September bis November 2021 finden im Rahmen des ArtEvolution Programms die ArtEvolution Impulse statt – eine Diskussionsreihe mit lokalen und regionalen Künstler*innen und Kulturschaffenden. Die fünf Gesprächsrunden sollen Gelegenheit bieten, einerseits Prozesse des gesellschaftlichen Wandels und andererseits kulturspezifische Aktionsmöglichkeiten zu diskutieren.

Historisch betrachtet entstehen Kollektive in der Regel in Krisenzeiten, in Zeiten sozialen Umbruchs und politischer Unsicherheit. Solche Krisen zwingen häufig zu einer Neubewertung der Bedingungen, unter denen Künstler arbeiten, zu einer Neubewertung des Wesens der künstlerischen Arbeit und zu einer Neupositionierung des Künstlers gegenüber den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Institutionen".

Okwui Enwezor, The Production of Social Space as Artwork in 'Collectivism After Modernism', edited by Gregory Sholette and Blake Stimson, 2007

Seit 2011 haben Künstler*innen aus den arabischen Ländern die machtvolle Wirkung von Massenprotesten, deren Potential sowie die radikal neuen Formen erlebt, wie man auf die Straße gehen und den öffentlichen Raum neugestalten kann. Genauso wie den Zerfall von unterdrückenden Staatssystemen und die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft, die ihre lauwarmen Versprechen von Gerechtigkeit und Demokratie, welche von universellen Werten zur Aufrechterhaltung einer hegemonialen Ordnung getragen wird, nicht eingelöst hat.

Die jüngsten Unruhen im Jahr 2019 und die drastische Verschärfung der Krise im Libanon haben die Debatten über die Rolle der Kunst im öffentlichen Raum neu belebt. Die Kunst selbst wie auch die Künstler*innen sehen sich mit widersprüchlichen Auffassungen, Hoffnungen und Ambitionen konfrontiert. Die eine Auffassung ist, dass Künstler*innen auf einer ästhetischen Ebene überzeugen sollen, indem sie unser Verständnis von Schönheit erweitern und unsere Sinne ansprechen. Von anderen wiederum wird die Kunst als ein weiteres Instrument zur Vermittlung bestimmter politischer Botschaften betrachtet. Darüber hinaus mussten sich Institutionen und Kulturschaffende seit der neoliberalen Wende in den 1980er Jahren zunehmend den Anforderungen einer produktiven Wirtschaft in Bezug auf Rentabilität, Unternehmertum und Output anpassen. 

Die Gesprächsrunden der Impulse wollen diese Fragestellungen umdrehen: Anstatt zu untersuchen, wie sich Künstler*innen innerhalb politischer oder sozialer Bewegungen engagieren, sollten wir uns ansehen, wie sich diese Bewegungen in der künstlerischen Praxis manifestieren. Dabei verstehen wir das Politische und das Künstlerische nicht als getrennte Bereiche, sondern als innerhalb der Grenzen derselben Realität agierend. Erst dann kann man das Potenzial bestimmter Kunstformen und -praktiken erkennen und Räume schaffen, in denen das künstlerische Schaffen von den Anforderungen einer produzierenden Wirtschaft entkoppelt werden kann. 

Die fünf Gesprächsrunden werden Gelegenheit bieten, Prozesse der gesellschaftlichen Transformation einerseits und kulturspezifische Aktionsmöglichkeiten andererseits zu beleuchten. Wir werden uns einige der Strategien und Richtungen ansehen, die Künstler*innen und Kulturschaffende aus der Region gewählt haben, ebenso wie die Art und Weise, wie sie die „notwendige Aufgabe einer Neuerfindung von Politik" - um es mit den Worten des Philosophen Felwine Sarr zu sagen - im Sinne einer „Neuerfindung der Welt und ihrer Art des sozialen Miteinanders" auf sich genommen haben. Wir werden betrachten, wie diese Neuerfindung gemeinsam geschieht - durch verschiedene Formen und Arten der Kollektivität und Zusammenarbeit - und uns dazu zwingt, die Art und Weise, wie Kunst geschaffen, produziert, geteilt und unterstützt wird, zu überdenken. 

Wir sind Zeugen einer kollektiven Wende, die sich auf viele verschiedene Arten zeigt: Künstlerische Prozesse sind mehr und mehr partizipativ und wollen Aufmerksamkeit auf die Gemeinschaften lenken, mit denen sie zu tun haben; Fragen zu institutionellen Praktiken haben zu strukturellen Erneuerungen und mehr Offenheit geführt; interdisziplinäre Methoden, die Künstler*innen und Fachleute anderer Disziplinen gemeinsam einbeziehen, werden nun mit der gebührenden Ernsthaftigkeit betrachtet und verstanden; besonders in Kollektiven versteht man Unabhängigkeit auch zugleich als Bewegung hin zu Kooperation – mit dem Ziel, Ressourcen zu bündeln und Nachhaltigkeit zu fördern; und schließlich entwickeln sich digitale Plattformen, die die Schaffung transnationaler Räume des Widerstands gegen dominante Narrative ermöglichen.


Live-Sessions


 
ArtEvolution Impulses werden kuratiert von Marie-Nour Hechaimé

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