Deutsche Spuren im Libanon
Auf den Spuren Barbarossas – Deutsche Kaiser-Gebeine in Tyros?
Im April 1874 brach der oberbayrische Kirchenhistoriker und Politiker Johann Nepomuk Sepp mit einer kleinen Gruppe deutscher Wissenschaftler und Abenteurer zu einer Orientexpedition auf. Sie befanden sich „in deutscher Mission“, zu der Reichskanzler Bismarck höchstpersönlich seinen Segen gegeben hatte. Ihr Ziel war Tyros, damals eine verschlafene Kleinstadt an der Levanteküste. Der Fokus der Expedition lag allerdings nicht auf der Erforschung der reichen phönizischen oder römischen Geschichte der Stadt, es ging um mehr: um die Gebeine Kaiser Friedrich I, – genannt Barbarossa.
Das noch junge Deutsche Kaiserreich hatte die Kleinstaaterei gerade erst hinter sich gelassen und das deutsche Nationalbewusstsein sollte durch gemeinsame nationale Mythen gestärkt werden. Eine der populärsten dieser Mythen war die Legende um Barbarossa, der im Kyffhäuser schlafe, jedoch eines Tages zurück kehren und Deutschland zu seiner alten Stärke emporheben werde. Kaiser Wilhelm I. sah sich in der Tradition des Staufenkaisers stehend und ließ sich „Barbablanca“, Weißbart, nennen. Barbarossa eignete sich auch deshalb besonders gut als nationale Symbolfigur, weil der Kaiser keine Grabstätte im Deutschen Reich hatte. Während des Dritten Kreuzzugs war er 1190 in Kleinarmenien beim Baden in einem Fluss ertrunken. Die Hitze machte einen längeren Transport des Leichnams unmöglich, weshalb er ausgekocht und im nahe gelegenen Antiochia bestattet wurde. Seine Gebeine hingegen wurden einen Sack eingenäht und sollten in Jerusalem, dem Ziel des Dritten Kreuzzugs, beigesetzt werden. Bis dahin gelangten die Kreuzfahrer allerdings nie. Die Spur seiner Gebeine verliert sich irgendwo auf dem Weg dorthin in Tyros, wo sie nach späteren Berichten in der Kathedrale beigesetzt wurden. Diese Geschichte lieferte den Anlass zu Johann Nepomuk Sepps Expedition.
Sein Ziel benennt Sepp im Vorwort seines Reiseberichts „Meerfahrt nach Tyrus zur Ausgrabung der Kathedrale mit Barbarossa’s Grab“:
„[Die] Zurückführung der Überreste des alten Barbarossa [wird] die deutsche Nation in heilige Begeisterung versetzen. Welch ein Triumphzug, unseren größten Kaiser in den Kölner Dom zu übertragen, der als Sinnbild des längst in’s Stocken geratenen alten Reiches beim Aufbaue des neuen sich vollendet!“
Auf den 375 Seiten des Reiseberichts wird deutlich, dass die Rückführung Barbarossas Gebeine jedoch nicht die einzige Motivation für die Expedition war. Auch ging es um die internationale Anerkennung des Deutschen Reiches und darum, die „verspätete Nation“ der Deutschen „wieder zum ersten Volke der Welt“ zu erheben. Dabei sind die kolonialen Ambitionen Sepps nicht versteckt. Vielmehr tritt er offen und vehement für sie ein und widmet ein ganzes Kapitel der „Sehnsucht der Tyrer nach einer deutschen Colonie“. Die ganze südliche Welt wünsche sich durch deutsche Kolonien „erettet“ zu werden. Dem Reichskanzleramt schlägt er vor, sich die Kathedrale von Tyros als Nationaleigentum anzueignen und spricht von Tyros bereits als „neuer deutschen Kaiserstadt“. In einer Zeit, in der der Einfluss der Imperialmächte im Nahen Osten zunahm, beschreibt Sepp mit einer erschreckenden Klarheit die zumindest sekundäre Funktion damaliger Forschungsreisen: „Der Natur- und Geschichtsforscher, Sprach- und Alterthumskenner bereitet allenthalben dem Kolonisten den Weg.“
In Tyros angekommen, entdeckte die deutsche Expedition die Überreste der Kathedrale von Tyros, die zuerst von einem Erdbeben, 1291 dann endgültig bei der Einnahme der Stadt durch die ägyptischen Mamluken zerstört worden war. Die Kathedrale war im zwölften Jahrhundert nach der Eroberung von Tyros durch die Kreuzfahrer auf den Fundamenten einer byzantinischen Vorgängerkirche erbaut worden, wobei die Erbauer die Säulen römischer Ruinen wiederverwendet hatten. Die Ausgrabungen lieferten jedoch nicht das erhoffte Ergebnis: Von den Gebeinen Barbarossas war keine Spur. In den Ruinen der Kathedrale fand die Expedition allerdings einen Mauerkasten im Seitenschiff. Sogleich war sich die Expedition sicher: Das war der Beweis. Hier waren die Gebeine des Staufferkaisers aufgebahrt worden, bevor sie bei der Zerstörung der Stadt durch die Muslime verloren gingen. Dennoch enttäuscht reisten die Teilnehmer der Expedition ohne Gebeine wieder ab.
Verfehlte die Expedition auch ihr Ziel, blieb die Expedition dennoch nicht folgenlos. Johann Nepomuk Sepp ließ ein Dutzend Kisten voller archäologischer Funde nach Berlin bringen, wo ihr Inhalt in Museen ausgestellt wurde. Konnte „Barbablanca“ auch nicht die Rückführung der Gebeine Friedrich I. feiern, blieb der Barbarossa-Mythos in Deutschland weiterhin lebendig und eng mit seiner Person verknüpft. Zwei Jahre nach dem Tod des Kaisers wurde mit dem Bau des 81 Meter hohen Kyffhäuser-Denkmals begonnen, das neben seinem Reiterstandbild auch eine Statue Barbarossas enthält, die sich an der Beschreibung Barbarossas in Friedrich Rückerts Gedicht „Der alte Barbarossa“ orientiert. Die Vollendung des Kyffhäuser-Denkmals 1896 stellt den Höhepunkt der Barbarossaverehrung als Nationalmythos dar. Die kolonialen Bestrebungen des Deutschen Reichs, von denen Sepp träumte, fanden unter Kaiser Wilhelms Enkel und Nachfolger Wilhelm II. Einfluss in die deutsche Kolonialpolitik. In Friedrich Rückerts Gedicht sollte „des Reiches Herrlichkeit“ einst durch die Wiederkehr Barbarossas wiederhergestellt werden – Wilhelm II. versuchte dies durch seine Kolonialpolitik.
Literatur:
Friedrich Rückert: Barbarossa. In: Kranz der Zeit. Band 2, Tübingen 1817, S. 270 f.
[Verlag Cotta]
Sepp, Johann Nepomuk: Meerfahrt nach Tyros zur Ausgrabung der Kathedrale mit Barbarossa’s Grab, Leipzig 1879. [Verlag von E.A. Seemann]