„(Ne)pasiklydę vertime - doch nicht verloren in Übersetzungen“ ist das Thema, mit dem das Goethe-Institut an der Vilniusser Buchmesse 2020 teilnimmt. Drei Übersetzer*innen, die an unseren Veranstaltungen auf der Vilniusser Buchmesse teilnehmen, antworten auf unsere Fragen:
Welches Buch liegt bei Ihnen gerade auf dem Nachttisch? Empfehlenswert?
Rimantas Kmita: Es ist wahrscheinlich nie so, dass ich zu einem Zeitpunkt nur ein Buch lese. Eines, das ich gerade lese, ist der Mikrogeschichten-Roman „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ von Florian Illies. Es macht mir Spaß, das Buch zu lesen, weil man entdecken kann, wie viele ähnliche und unterschiedliche Sachen zeitgleich passieren. Und dass der Glaube nicht stirbt, dass es Geschichten überall gibt und dass sie es sind, die die Welt zusammenhalten.
Rūta Jonynaitė: Die letzten Bücher, die ich gelesen habe, sind deutsch: Gerade habe ich den Roman „Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht“ von Joseph Roth zu Ende gelesen (leider gibt es diesen Roman nicht auf Litauisch), jetzt lese ich den Roman „Herkunft“ von Saša Stanišić, der im Herbst 2019 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Beide Bücher würde ich weiterempfehlen – beide leider nur für die, die auf Deutsch lesen können. Joseph Roth würde ich stärker empfehlen – was für ein Erzähler!
Markus Roduner: Da ich in den letzten anderthalb oder zwei Jahren – neben meinem Vollzeitjob als Übersetzer und Lektor – bis an die Grenzen der Belastbarkeit mit literarischen Übersetzungen aus dem Litauischen „eingedeckt“ war, bin ich nur wenig zum Lesen weiterer Bücher gekommen. Ich habe nun endlich mit dem Lesen des Kriminalromans „Adata“ („Die Nadel“) von Jaroslavas Melnikas begonnen. Ich bin zwar noch nicht sehr weit gekommen, aber bisher finde ich ihn spannend zu lesen und würde ihn auch weiterempfehlen.
Welches kulturelle Ereignis hat Sie im letzten Jahr besonders enttäuscht oder geärgert?
Rimantas Kmita: Ich dachte schon, weil es einen Skandal um die Wahl des Buches des Jahres gibt, würden nun konkretere Probleme unserer Literaturkritik und des allgemeinen literarischen Lebens angesprochen werden. Aber ich hatte wieder das Gefühl, dass mehr schwiegen als gesagt wurde.
Rūta Jonynaitė: Über ein kulturelles Ereignis, das mich enttäuscht hat, habe ich lange nachgedacht. Konnte mich aber an nichts Enttäuschendes erinnern – ich suche mir ziemlich sorgfältig aus, wohin ich hingehe, und das, was ich auswähle, ist meistens nicht enttäuschend.
Markus Roduner: Die Beantwortung dieser Frage fällt mir wirklich schwer, denn es fällt mir eigentlich kein kulturelles Ereignis ein, das mich enttäuscht hätte. Wenn dies der Fall zu sein droht, gehe ich gar nicht erst hin. Und falls mich etwas doch enttäuscht, verdränge ich es meist schon nach kurzer Zeit aus dem Gedächtnis. Negative Eindrücke belasten nur.
Die Deutschen benutzen für die Ereignisse von 1989 das Wort „Wende“. Wie würden Sie es übersetzen?
Rimantas Kmita: Eine Übersetzung würde hier wenig helfen. Für Litauen würden mehr solche Wörter passen, die damals die Situation beschrieben haben: Sąjūdis ('Bewegung'), pabudimas ('Erwachen'), atgimimas ('Wiedergeburt'). Wir verwenden ja manchmal den Begriff atgimimo metų literatūra ('Literatur der Erwachungsjahre') für die Jahre von etwa 1988-1992.
Rūta Jonynaitė: Übersetzung von „Wende“ ist eine schwere Frage :-). In einem Buch habe ich selbst nach langen Überlegungen und langem Kopfzerbrechen das Wort pervarta ('Umbruch') verwendet, habe im Text aber auch das Deutsche „Wende“ gelassen. Und ich bin mit der pervarta nicht ganz zufrieden. Im Grunde bin ich der Meinung, dass man „Wende“ nicht übersetzen sollte, so wie man in andere Sprachen auch nicht Perestroika oder ähnliches übersetzt.
Markus Roduner: Entweder, wenn es sich vor allem auf Deutschland bezieht, mit Berlyno sienos griūtis, also „Mauerfall“, oder, falls man es für die Litauer nachvollziehbar machen möchte, mit Sąjūdžio laikai ('Zeiten der Bewegung'), was meiner Meinung nach das wohl am besten vergleichbare Phänomen darstellen.
Unsere Veranstaltungen auf der Vilniusser Buchmesse 2020: