Der öffentliche Raum der Stadt ist durch autoritative Praktiken strukturiert und wird von autoritativen Diskursen bestimmt. Nur das „Offizielle“ (Paraden, Nationalfeierlichkeiten, Messen, Jahrmärkte und andere Ereignisse, die der Unterhaltung dienen und ideologisch überprüft sind) kann hier öffentlich erfolgen. Der öffentliche Raum der Stadt ist voll von Bildschirmen, die unendlich offizielle Nachrichten, Musikvideos und Werbespots senden, und Plakatwänden mit sozialer Werbung (Fotos von Menschen, deren soziale Rollen ausdrücklich positiv sind) und den Slogans „Für Belarus!“, „Belarus für das Volk“, „Wir sind Belarussen“, „Für das heldenhafte Belarus“. Das Nicht-Offizielle hat kein Recht auf eine öffentliche Existenz und erweist sich in der Tat als illegal. Nach friedlichen Kundgebungen in den letzten zwei Jahren (es geht etwa um die sogenannten stillen Proteste) wurden alle nicht angemeldeten Menschenversammlungen von mehr als drei Personen und anderes organisiertes Handeln oder Nicht-Handeln, das jemandes Meinung zum Ausdruck bringt, verboten und werden mit Geld- und Freiheitsstrafen von mehreren Tagen bestraft. Vertreter des Staates erfinden zahlreiche Methoden, um inoffizielle Aktionen zu verhindern: an den dafür geplanten Orten werden Konzerte organisiert, die Mitglieder patriotischer Organisationen besuchen müssen, oder der Raum wird mit physischen Hindernissen (zum Beispiel Maschinen, die Straßen auch bei Regen besprengen) gefüllt.
Mögliche künstlerische Strategien, die das inoffizielle Statement im öffentlichen Raum ermöglichen würden, könnten einfache vereinzelte Handlungen an unterschiedlichen Orten in der Stadt oder Kunstaktionen an der Grenze von öffentlichen und Privaträumen (Höfe, unbeleuchtete Straßen in Wohnquartieren, Hauseingänge) sein. Wirksam wären auch Aktionen, die staatliche Praktiken nachahmen oder verspotten. Das ist eine Art Mimikry, die als etwas Harmloses wahrgenommen wird und aber die Strukturen des offiziellen Statements von Grund auf auslacht (ein Beispiel dafür ist die Aktion von Marina Napruschkina: Sie spazierte durch die Stadt mit dem Portrait von Lukaschenko). Das Hauptziel dieser Handlungen wäre die Möglichkeit, ein inoffizielles Statement öffentlich erfolgen zu lassen. Das Habermas’sche Konzept der Öffentlichkeit erweist sich in diesem Kontext als unbrauchbar (übrigens sind es seine Ideen, die sich großer Beliebtheit bei belarussischen Intellektuellen erfreuen), denn es ist kaum möglich, eine rationale Vereinbarung durch vernünftige Kommunikation im öffentlichen Raum zu erzielen. Hier könnten wir uns der Theorie von Chantal Mouffe, die Habermas kritisiert, zuwenden. In dieser Theorie wird der öffentliche Raum alsim Sinne eines hegemonialen Kampfes zwischen konfliktiven Hegemonieprojekten ohne Möglichkeit der Versöhnung verstanden.In diesem Zusammenhang wäre es ideal, wenn der öffentliche oder fast öffentliche Raum von Minsk Platz für Statements und unlösbare Konflikte unterschiedlicher Statements böte. In diesem Fall ist es nicht besonders wichtig, eine ideale Sprechsituation herzustellen, sondern viel wichtiger ist es, den Sprechenden die Möglichkeit zu sprechen und gehört zu werden zu geben.
Das künstlerische Statement im öffentlichen Raum von Minsk ist äußerst wichtig, denn schon die Tatsache, dass es stattgefunden hat, schafft „einen bescheidenen politischen Raum der Intervention“ (Saskia Sassen). Ein Statement des Künstlers, sogar wenn es spontan, kurzfristig und fast unauffällig ist, verleiht der Aussage die Öffentlichkeit. Ein künstlerisches Statement im gewonnenen öffentlichen Raum gewährt die Möglichkeit, das Statement im Allgemeinen abzugeben, und ist deshalb äußerst wichtig. Dieses Problem wird besonders aktuell, wenn alleine die Präsenz im öffentlichen Raum illegal und jedes Statement im öffentlichen Raum unabhängig von seinem Inhalt bzw. einem Fehlen des Inhalts (zum Beispiel eine Schweigeaktion) nicht legitim ist.
Aliona Gloukhova