Kristina Sprindžiūnaitė empfiehlt
Nackt über Berlin
Der kreative Tausendsassa Axel Ranisch, der nach seinem im positivsten Sinne spektakulären Filmdebüt „Dicke Mädchen“ leidenschaftlich gerne Opern wie „Tatorte“ inszeniert, gerne mal schauspielert und sich als Klassik-Nerd bekennt, hat mit seinem literarischen Debüt gleich den Debütpreis des Festivals Lit.Cologne abgeräumt. Die Coming-of-Age-Geschichte ist vieles: einfach, skurril, bildhaft, plastisch, rasant und doch weise. Im Hauptstrang begegnen wir Jannik und Tai, „Fetti“ und „Fidschi“ genannt, zwei 17-jährigen Jungs, die in Berlin in die gleiche Klasse gehen, beide sehr unterschiedlich sind (nicht nur dadurch, dass der eine Klassik-, der andere Computerfreak ist) und beide doch zu den Außenseitern gehören. Im zweiten Erzählstrang geht es um den Schuldirektor Jens Lamprecht, der von den beiden Jungen in seiner eigenen Hightech-Wohnung eingesperrt wird, um seine Familie und seine Vorgeschichte. Es werden alle Zutaten der klassischen Oper eigesetzt: Rivalität, Rache, Reue, Bedrohung und Angst, Sehnsucht und Liebe. Verstärkt wird das Ganze mit filmischen Mitteln wie Flashbacks und Alpträumen. Dennoch bleibt der Plot sehr bodenständig und realitätsnah.
„Dieser Roman bin ich, trotzdem ist alles erfunden“, meinte der Autor in einem Interview. Gerade der packende Einfallsreichtum zeichnet dieses Buch aus. Die großartig balancierte Mischung von Spannung und Tiefgang mit einer notwendigen Dosis von melancholischen Empfindungen und rührender Tragikomik angereichert, wirkt so glaubwürdig, dass auch der anspruchsvollere Leser bei diesem Film zwischen Buchdeckeln gerne über die eher simplen literarischen Mittel und die einfache Sprache hinwegsehen wird.
Eine vollwertige und bekömmliche Lektüre nicht nur für Teenager, ihre Eltern und Erzieher. Auch als Kino für die Ohren zu genießen, in der Hörbuchfassung mit Axel Ranisch und Thorsten Merten.
Axel Ranisch
Nackt über Berlin
Ullstein Verlag, Berlin, 2018
ISBN: 978-3-96101-013-4
384 Seiten
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