Märchen
In Riga zu Hause: Die Bremer Stadtmusikanten
Im Märchen vertreiben sie Räuber aus ihrer Waldhütte. In Rigas Altstadt verjagen die Bremer Stadtmusikanten den Geist des Kalten Krieges. Ihre Skulptur ist bei Touristen aus aller Welt beliebt.
Von Katrin Wolschke
Die Bremer Stadtmusikanten mal anders: In der lettischen Hauptstadt Riga blicken Esel, Hund, Katze und Hahn mit schiefen Gesichtern durch einen Spalt des Eisernen Vorhangs. Die ungewöhnliche Bronzestatue war 1990 ein Geschenk der Stadt Bremen an ihre Partnerstadt Riga – und wurde inmitten der Umbruchzeit der damaligen Sowjetrepublik Lettland übergeben. Die deutsche Hansestadt nutzte die Freiräume, die sich durch die von Sowjetpräsident Michael Gorbatschow eingeleitete Reformpolitik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) eröffneten. Damit wurden die berühmten Musikanten zu Vorboten, und im darauffolgenden Jahr zu Augenzeugen der wiedererlangten lettischen Unabhängigkeit.
Aufgestellt wurde das Kunstwerk der deutschen Künstlerin Christa Baumgärtel (*1947) neben der St. Petrikirche in der Rigaer Altstadt. Täglich kommen hunderte Touristen an der übermannshohen Figur vorbei. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel legte bei ihrem Riga-Besuch 2010 einen kurzen Zwischenstopp an der Statue ein. Weil es Glück bringen und Wünsche erfüllen soll, rubbeln Passanten an den Nasen der Tiere, die von den vielen Berührungen bereits hell glänzen.
Viele Menschen kennen das Märchen um die vier alternden Haustiere, die auszogen, um in Bremen Stadtmusikanten zu werden. Erstmals aufgezeichnet wurde es von den Brüdern Grimm Anfang des 19. Jahrhunderts. In zahlreiche Sprachen übersetzt wurde die Tierfabel auf der ganzen Welt bekannt – unter dem Namen „Brēmenes muzikanti“ auch in Lettland.
Die Skulptur ist aber nicht nur eine Statue mit politischem Untertitel, sondern auch ein Symbol der langen Verbundenheit der zwei Hansestädte. Die Stadt Riga wurde 1201 vom Bremer Bischof Albert von Buxthoeven gründet und unterhält seitdem enge Handelsbeziehungen zu Bremen. Im 19. Jahrhundert gab es sogar zeitweise ein Bremisches Konsulat in der Ostseemetropole. Mit ihrer bis heute sehr lebendigen Städtepartnerschaft setzten Riga und Bremen 1985 schließlich ein Zeichen zur Völkerverständigung zwischen Ost und West.
Aber nicht nur die Stadtmusikanten lassen bei Bremer Besuchern in Riga heimatliche Gefühle aufkommen. Beim Schlendern durch die Gassen der Altstadt treffen sie auf viele historische Parallelen zu der deutschen Partnerstadt an der Weser. Vor den Rathäusern beider Städte steht eine Rolandstatue, Symbol für die Rechte der Stadtbevölkerung und Wahrzeichen Bremens. Auch tragen beide Städte den Himmelsschlüssel ihres Schutzheiligen Petrus im Wappen. Die „Compagnie der Schwarzen Häupter aus Riga”, eine historische Vereinigung deutscher Kaufleute aus der Hansezeit, hat nach der Zwangsumsiedlung ihrer Mitglieder 1939 mittlerweile im Bremer Schütting ihr neues Zuhause gefunden. Ihr Stammsitz war einst das malerische Schwarzhäupterhaus in Riga.
Ursprünglich sollte die Skulptur der Bremer Stadtmusikanten, deren Gegenstück des Künstlers Gerhard Marcks (1889-1982) seit 1953 vor dem Bremer Rathaus steht, einen anderen Platz in Riga einnehmen. Geplant war ein von den Partnerstädten Rigas gestalteter Freundschaftspark auf einer der Daugava-Inseln. Der Park wurde jedoch nie realisiert, und so erhielten die Glücksbringer aus Bremen ihren prominenten Standort in der Altstadt.