Interview
Irena Krivienė, Universiätsbibliothek Vilnius
Im Interview spricht die Direktorin der Universitätsbibliothek Vilnius über die Bibliothek als einen Ort der stetigen Veränderung, über eine Lesekultur, die sowohl E-Books als auch gedruckten Büchern Raum gibt, und die Perspektive bibliothekarischer Arbeit.
Auf welchem Weg sind Sie in die Bibliothek gekommen? Wie wurden sie Bibliothekarin?
Es hört sich vielleicht etwas ungewöhnlich an, wie ich in die Bibliothek gekommen bin, denn es war eher ein Zufall. Nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, wollte ich Germanistik an der Universität Vilnius studieren, aber ich bekam keinen Platz in dem Studienprogramm, das tagsüber stattfindet. Stattdessen bot man mir einen Platz in der Abendgruppe an, doch in diesem Fall musste ich mir einen Nebenjob suchen. Ich erfuhr von einer freien Stelle in der Universitätsbibliothek Vilnius und fing an hier zu arbeiten. Am Anfang dachte ich, dass dies nur ein Job neben dem Studium sein würde, doch letztendlich blieb ich ganz hier. Die Bibliothek ist ein Ort, an dem sich alles stark verändert. Im Informationssektor kann man viel erreichen, aber man muss sich ständig weiterentwickeln – man muss neue Ideen haben, man muss lernen. Wir wissen, was für einen Einfluss neue Informationstechnologien auf jeden Einzelnen haben. Wenn du nicht zurückbleiben willst, musst du dir ständig etwas Neues aneignen. Die Bibliothek ist der Ort, an dem Menschen Informationen suchen. Deshalb müssen Informationsspezialisten in der Bibliothek Zugang zu neuen Informationen und neuem Wissen haben.
Wenn Sie sich entscheiden müssten, würden Sie eher ein gedrucktes Buch oder ein E-Book lesen? Warum?
Mir ist es egal, ob ich mich für ein physisches oder ein elektronisches Buch entscheiden muss, denn das Wichtigste beim Informationserwerb ist es, schnell die für einen selbst relevanten Informationen zu finden. Dennoch muss man auch berücksichtigen, ob ich professionelle Informationen suche oder einfach Belletristik zu meinem eigenen Vergnügen lesen möchte. Ich weiß, dass die neusten Informationen im Zusammenhang mit meinem Beruf in größerem Umfang in elektronischer Form erhältlich sind. Wenn ich allerdings ein Buch aus der Belletristik aussuchen sollte, dann würde ich mich sicher für ein gedrucktes Buch entscheiden. Ich mag es, dass ein Buch diesen bestimmten Geruch hat und den Klang, wenn man die Seiten umblättert. Diese semantische Verbindung ist sehr angenehm. Außerdem lässt mich dieses Gefühl an meine Kindheit und Jugend denken – das sind nostalgische Erinnerungen an die guten Zeiten. Mir scheint, dass unsere Kultur noch nicht so weit entwickelt ist, dass man Bücher einzig und allein auf E-Readern liest. Möglicherweise wird es mir später einmal egal sein, wie ich ein Buch lese, aber noch entscheide ich mich für ein Buch aus Papier als Abendlektüre.
Wie werden die Bibliothek und der Beruf des Bibliothekars in der Zukunft aussehen?
Auch hier verändert sich viel. Bereits jetzt hat sich der Beruf des Bibliothekars sehr verändert im Vergleich zu der Zeit vor drei bis fünf Jahren. Warum ich das so sage, ich habe schon über unsere neue Bibliothek, das Zentrum für wissenschaftliche Information und Kommunikation, gesprochen. Ein ganz einfaches Beispiel: diese Bibliothek ist mit der neusten Technologie ausgestattet, doch selbst hier ist der erste Ort, den man ansteuert, um etwas zu erfragen, wenn man diese Bibliothek betritt, der Informationsschalter. Die Bibliothekare, die an diesem Informationsschalter arbeiten, müssen schon jetzt sehr viel wissen. Sie müssen Informationen in den elektronischen Ressourcen finden können, in der Lage sein Besuchern, die ihren eigenen Laptop mitgebracht haben, zu erklären, wie sie sich in der Bibliothek ins Internet einloggen können, sie müssen den Besuchern helfen können, Texte auszudrucken und zu kopieren, denn überall in der Bibliothek befinden sich multifunktionale Kopierer, sie müssen viele spezifische Dinge wissen. Wir haben versucht für diesen Informationsschalter etwas ältere Mitarbeiter einzustellen, denn die jüngeren bleiben oft nicht lange, sie wechseln zu einem anderen Beruf, wenn sich die Gelegenheit ergibt, und machen Karriere. Deshalb entschieden wir uns dafür, dass wir am Informationsschalter ein wenig ältere Menschen beschäftigen wollten, denn so bestand die Hoffnung, dass sie dort für wesentlich längere Zeit bleiben würden. Doch dieser Plan schlug fehl, denn die älteren Menschen konnten nicht mit den verschiedenen Informationsressourcen und elektronischen Diensten arbeiten. Ich vertrete die Universitätsbibliothek, deshalb arbeiten wir an einem institutionellen Repositorium und wissenschaftlichem Datenarchiv. Das bedeutet, dass wir in Zukunft Datenmanager bzw. –verwalter brauchen werden, die nicht mit traditionellen Informationsressourcen, sondern eben mit der Verwaltung von Daten arbeiten werden. Natürlich gibt es eine Sphäre, die sich sehr verändert, und das ist der Arbeitsstil. Und es werden andere Kompetenzen bei der Arbeit als Bibliothekar von Nöten sein. In Zukunft werden Bibliothekare zu Fachberatern werden, die Mittel und Wege kennen, um Informationen zu finden. Aber nicht in dem Sinne, dass sie einfach ein Buch heraussuchen und es dem Leser bringen. Das wird in der Universitätsbibliothek nicht mehr nötig sein. Bücher aus dem Regal nehmen können die Besucher selber. Die Besucher brauchen Empfehlungen, wo sie sonst noch die benötigten Ressourcen finden können.
Beschreiben Sie bitte, wie sich die Lesegewohnheiten der Menschen verändert haben!
Die Lesegewohnheiten haben sich sehr stark verändert. Heutzutage lesen die Studenten und Jugendlichen, die in die Bibliothek kommen, nicht mehr so wie die ältere Generation. Meine Generation liest ein Buch normalerweise von vorn bis hinten durch. Inzwischen lesen die Menschen eher fragmentär. Aus einem Buch brauchen die Leute zum Beispiel nur eine Zeile oder ein Kapitel und dementsprechend lesen sie den Rest gar nicht erst. Das hängt damit zusammen, dass das Lebenstempo sehr dynamisch ist. Die Menschen verwerfen das, was in diesem Moment nicht von Bedeutung ist. Sie lesen nur die Informationen, die hier und jetzt benötigt werden.