Manipulation in Statistiken
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Statistiken zeigen immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Ein paar Tricks, mit denen sie uns zu manipulieren versuchen – und wie du sie entlarven kannst.
Von Tobias Sauer | fluter.de
Dieser Text erschien bereits im Dossier „Zahlen“ der Zeitschrift fluter. Wir bedanken uns für die Lizenzierung unter Creative Commons CC BY-NC-ND 4.0 DE, die uns die eine erneute Veröffentlichung erlaubt.
Trick 1
Mehr Drama, Baby!
Wer in den letzten Wochen tanken musste, hat wahrscheinlich spätestens beim Bezahlen wegen der kräftig gestiegenen Benzinpreise geflucht. Klar, dass in den Medien viel darüber berichtet wurde – auch in Form von Grafiken. Und falls manchen Medien der Anstieg der Benzinpreise noch nicht dramatisch genug war, griffen sie zu einem der am häufigsten genutzten Tricks: der abgeschnittenen Achse. Denn wenn die Preisachse nicht bei null Cent beginnt, sondern beispielsweise bei 1,50 Euro, wirkt jede Veränderung wie unter einer Lupe gleich deutlich bedrohlicher. Auf dieselbe Weise kann man auch die Tendenz bestimmen: Im Jahr 2021 kostete ein Liter Super im Schnitt 1,58 Euro, im Jahr zuvor nur 1,29 Euro. Aber steigen die Benzinpreise auch langfristig an? Je nachdem, mit welchem Jahr eine Statistik beginnt, lassen sich völlig unterschiedliche Aussagen treffen. Beginnt sie mit dem Jahr 2000, ergibt sich eine steigende Tendenz. Damals kostete ein Liter Super rund 1,02 Euro. Wer dagegen eine fallende Tendenz aufzeigen möchte, lässt die Grafik im Jahr 2012 beginnen. Denn mit rund 1,65 Euro war der Liter damals noch teurer als im Jahr 2021.Was tun?
Frag dich, ob die Achsen des Diagramms bei null beginnen oder abgeschnitten sind. Wie haben sich die Daten vor und nach dem gewählten Ausschnitt entwickelt? Ändert dies die Aussage der Statistik?
Trick 2
Was der Durchschnitt nicht zeigt
Wir alle leben ziemlich verschieden, weswegen bei Durchschnittswerten Vorsicht geboten ist. Sie sind natürlich sehr praktisch, um schnell einen allgemeinen Überblick zu bekommen. So haben z. B. in Deutschland Haushalte 2020 im Schnitt 6,1 Prozent ihres monatlichen Nettoeinkommens für Wohnenergie ausgegeben. Doch dieser Durchschnitt verschluckt gleichzeitig jede Menge interessanter Details. So geben Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 1.300 Euro im Monat im Schnitt sogar 9,5 Prozent für Heizung und Strom aus. Haushalte mit einem Nettoeinkommen von 5.000 und mehr Euro im Monat wenden hingegen nur 4,7 Prozent ihres Einkommens für Heizung, Strom und Warmwasser auf. Steigende Energiepreise treffen also ärmere Haushalte härter als reiche.Was tun?
Manchmal gilt der Durchschnitt nur für wenige, während am oberen und unteren Ende viele betroffen sind. Am besten, du schaust bei solchen Statistiken mal im Internet nach, wie groß die Bandbreite ist, von der der Durchschnitt ablenkt.
Trick 3
Ungleichheit verstecken
Was ist überhaupt der Durchschnitt? Häufig werden zwei unterschiedliche „Durchschnittswerte“ verwendet: das arithmetische Mittel und der Median. Mit dem arithmetischen Mittel wird der Mittelwert errechnet, wenn etwa der Gesamtstromverbrauch durch die Zahl der Haushalte geteilt wird. Nach dieser Berechnung verbrauchen Haushalte pro Jahr im Durchschnitt etwa 3.650 Kilowattstunden Strom. Beim Median hingegen wird geschaut, welche Haushalte genau in der Mitte aller Stromverbraucher liegen. Eine Hälfte aller Haushalte verbraucht dann weniger und die andere Hälfte mehr Strom als der Median. Der liegt mit rund 3.300 Kilowattstunden pro Jahr niedriger als der Durchschnitt. Der Hintergrund: Einige Haushalte verbrauchen sehr viel mehr Strom als andere. Das treibt den Stromverbrauch im arithmetischen Mittel stark nach oben.Was tun?
Am besten ist es, jeweils sowohl nach dem arithmetischen Mittel als auch dem Median zu fragen. Das arithmetische Mittel allein kann große Unterschiede verdecken.
Trick 4
Trugschlüsse
In Deutschland geben die Menschen mit dem höchsten Einkommen den niedrigsten Anteil ihres monatlichen Nettoeinkommens für Wohnenergie aus. Es wäre allerdings ein Trugschluss, zu glauben, sie würden besonders wenig Energie verbrauchen (oder besonders günstige Tarife ausgewählt haben). Ihr Einkommen ist lediglich so hoch, dass die Kosten für Energie weniger ins Gewicht fallen, obwohl sie sogar mehr Energie verbrauchen. In den Medien stoßen wir immer wieder auf Trugschlüsse dieser Art. Bei Vermutungen über die Ursachen von scheinbar verknüpften Entwicklungen ist deshalb immer besondere Vorsicht geboten.Was tun?
Gibt es Faktoren, die in der Statistik nicht hervorgehoben (oder nicht erwähnt) werden, die die dargestellte Entwicklung begründen können? Dieser Trick kommt oft beim Vergleich verschiedener Durchschnittswerte zur Anwendung.
Trick 5
Mit einsamen Zahlen beeindrucken
Vergleiche sind eine tolle Sache. Schon weil es sehr schwerfällt, eine allein stehende Zahl sinnvoll einzuordnen. Deutschland hat im Jahr 2019 644,1 Millionen Tonnen des klimaverändernden Gases Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre ausgestoßen. Die Zahl klingt riesig, aber wie ist sie zu bewerten? Hier kann ein Vergleich helfen: Im Jahr 1990 hat Deutschland noch 940 Millionen Tonnen CO2 aus- gestoßen. Bevor wir uns aber zu sehr auf die Schulter klopfen: Der französische CO2-Ausstoß lag im Jahr 2019 mit 293,9 Millionen Tonnen deutlich niedriger.Was tun?
Vorsicht bei allein stehenden Zahlen. Frag dich, welche anderen Zahlen es gibt, um sie ins Verhältnis zu setzen? Wie ist die Lage in anderen Ländern, wie war sie in früheren Zeiten?
Trick 6
Große Zahlen verstecken
Selbst unvorstellbar große Zahlen wie die deutschen CO2-Emissionen (wie viel sind mehrere Hundert Millionen Tonnen CO2?) lassen sich in Statistiken verstecken. Diese Zahl schrumpft auf Miniaturgröße, wenn sie als Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes angegeben wird: Weltweit wurden im Jahr 2019 nämlich rund 33.621,5 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Die deutschen 644,1 Millionen Tonnen entsprechen also 1,92 Prozent aller CO2-Emissionen. Wer argumentieren will, dass die deutschen Bemühungen, CO2 einzusparen, zu teuer sind, wird auf die 1,92 Prozent verweisen: „So gering ist der deutsche Anteil!“ Wem die Maßnahmen dagegen nicht weit genug gehen, wird eher auf die absolute Zahl verweisen: „Schaut her, so viel CO2 verursacht Deutschland!“Was tun?
Bei Prozentangaben auch nach absoluten Zahlen fragen. Dieser Trick ist gewissermaßen das Gegenstück zum Aufblasen kleiner absoluter Zahlen.
Trick 7
Alles relativieren
Und? Sind die deutschen CO2-Emissionen – verglichen mit anderen Ländern – nun hoch oder niedrig? Für einen guten Vergleich muss die Basis stimmen. Und da die Länder der Erde sehr unterschiedlich groß sind, bietet sich in diesem Fall ein Vergleich pro Person an. Und da zeigt sich: Die Emissionen in Deutschland betrugen im Jahr 2019 7,8 Tonnen CO2 pro Person – im internationalen Vergleich ist das ein ziemlich hoher Wert. In Indien beispielsweise lagen sie im selben Jahr nur bei 1,7 Tonnen CO2 pro Person. In den USA verbrauchte allerdings jeder Mensch im Durchschnitt 14,4 Tonnen im Jahr. Man kann also mit der Auswahl der Vergleichsgrundlage bei vielen Statistiken die Aussage ändern.Was tun?
Ist die gewählte Vergleichsgrundlage wirklich die am besten geeignete? Macht es zum Beispiel Sinn, unseren Verbrauch mit Staaten zu vergleichen, in denen die Verhältnisse ganz andere sind? Das sind Fragen, die man sich stellen sollte.
Trick 8
Mit Zahlen angeben
Was, wenn eine Zahl viel größer erscheinen soll, als sie eigentlich ist? Kein Problem, und zwar mit der Angabe der Wachstumsrate. In Deutschland trugen erneuerbare Energien im Jahr 2021 zu 19,7 Prozent zur Energieproduktion bei – also nicht mal ein Fünftel. Doch immerhin ist die Versorgung mit erneuerbaren Energien zwischen 2010 und 2021 um rund 79,1 Prozent gestiegen. Und das ist eine Zahl, die sich sehen lassen kann. Oder?Was tun?
Besonders bei spektakulären Wachstumsraten lohnt sich ein Blick auf die zugrunde liegenden Zahlen. Wie groß sind sie, und welchen Anteil an der Gesamtmenge nehmen sie ein? Dieser Trick wird gern verwendet mit abgeschnittenen Achsen, einem geschickt ausgewählten Startpunkt und der Fortschreibung eines Trends.
Fazit:
Die Kraft von genauen Zahlen zieht viele Menschen fast magisch in ihren Bann. Schon eine geschickte Datenauswahl genügt, um Argumente zu untermauern. Auch wenn es nicht immer ganz leicht ist, kleinen oder großen Manipulationen auf die Schliche zu kommen: Die Detektivarbeit kann sogar Spaß machen.