Zeitgenösische (Un)demokratien
Schon seit über 15 Jahren stellt sich das AKTO-Festival für zeitgenössische Kunst einer gnadenlosen Welle der politischen Zertrümmerung des Öffentlichen und Gemeinsamen entgegen.
Die Coronavirus-Pandemie hat nicht nur die gewaltsame Entpolitisierung der Kultur und den korrupten Geist, der unaufhaltsam an ihrem zerbrechlichen Wesen nagt, sichtbar gemacht, sondern auch zur Entstehung eines Reflexionsraums über vergebliche Mühen, zerbrochene Träume und mögliche Enttäuschungen einer weltweiten Gemeinschaft von Kulturschaffenden geführt. Die Kultur ist fragmentiert, entwertet und Elitisierungsversuchen ausgesetzt. Aber Kultur kann nicht halbherzig geschaffen werden. Kultur und Kunst erfordern ein egalitäres System, in dem alle die gleichen Möglichkeiten haben. Das individualistische Wettbewerbssystem des Kulturschaffens muss von Grund auf verändert werden.
Auch das ist eine der vielen zeitgenössischen Undemokratien, die bei uns weit verbreitet sind und akzeptiert werden. Hinter jeder Ecke lauert eine Undemokratie und wartet auf eine Gelegenheit, das einzureißen, was mit Überlegung, Strategie und viel Arbeit aufgebaut wurde. In der Gestalt individueller Bereicherung und Entfremdung verschlingen die Undemokratien alles, was uns gemein ist, von öffentlichen Räumen über Kunst und Kultur bis hin zu Diskussionsplattformen, die keine Argumente mehr zulassen, und zur Funktionsweise der Institutionen.
Um die Privatisierungs- und Entfremdungsprozesse zu entblößen, die das Öffentliche zerstören und das Gemeinsame verunmöglichen, widmet sich AKTO daher ab 2021 dem Thema „Zeitgenössische (Un)demokratien“. Untersucht wird es am Beispiel des Zentralplatzes von Skopje als Sinnbild der gegenwärtigen undemokratischen Prozesse: Anstelle einer Arena für agonistische Diskussionen und die Entstehung politischer Subjektivität, eines Orts der Öffentlichkeit und des Lebens auf der Straße, ist er nur noch ein Ort der Beobachtung, der Passivität und des Schweigens.
Anstatt Werke mit repräsentativer Funktion herzustellen, setzt AKTO seine Ressourcen für die Produktion von Werken für den öffentlichen Raum ein, die gesellschaftliche Fragen aufgreifen, und positioniert sich dadurch als Kontrapunkt zum dominierenden Festivalisierungsparadigma in der Kultur.
AKTO begibt sich weit auf die erzieherische Seite der Kunst, indem es sich den Ansatz des kritisch-künstlerischen Blicks auf die Realität zu eigen macht, anstatt dem repräsentativen Ansatz zu folgen. Daher arbeitet AKTO dieses Jahr mit Studierenden der Fakultät für Schauspiel in Skopje zusammen, mit der die „Fakultät für Dinge, die man nicht lernen kann“ eine Zusammenarbeitsvereinbarung geschlossen hat, wie auch mit Studierenden der Fakultät für Architektur und der Akademie für bildende Kunst. Durch die Zusammenarbeit Studierender verschiedener Künste entsteht ein interdisziplinäres Labor, das sich auch mehrmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Im Sinne eines interdisziplinären Labors, das neues Wissen produziert, ist auch das öffentliche Programm des diesjährigen AKTO-Festivals, bei dem sich junge Künstlerinnen und Studenten aktiv an der Schaffung zeitgenössischer Kunst und Kultur beteiligen, Teil der diesjährigen Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Skopje. Der Wissens- und Erfahrungsaustauch mit deutschen Künstlern trägt sowohl zur Internationalisierung des Festivalprogramms als auch zur lokalen Unterstützung der Kultur bei. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut werden zwei Organisationen zu Gast sein, die mit unterschiedlichen interdisziplinären Ansätzen das Thema Kunst im und mit dem öffentlichen Raum bearbeiten.
Hörbare Reaktion der Architektur: Workshop mit Ole Frahm und Torsten Michaelsen (LIGNA Kollektiv Hamburg), 11.-14.11.2021
Arbeitsorte: Fakultät für Architektur Skopje und öffentlicher Raum
Kurzbeschreibung:
Aus Walter Benjamins Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ stammt seine vielzitierte Auffassung, dass wir Architektur nicht nur visuell wahrnehmen, sondern vor allem durch „taktile Rezeption“, die „auf dem Wege der Gewohnheit erfolgt“. Dies kann nicht durch Überlegung, sondern nur durch Aneignung erreicht werden. In der Kritischen Gesamtausgabe von Benjamins Werken wurde jedoch ein Wort verändert, da heißt es nämlich nicht „taktile“, sondern „taktische Rezeption“. In dieser kleinen Abänderung könnte der Oberton der aktiven Rezeption von Gebäuden und urbanen Landschaften anklingen – im Gegensatz zur relativen Passivität der ursprünglichen Formulierung: auch wenn immer noch die Architekturstrategien dominieren, die ich aus Gewohnheit verfolge, kann ich nun eine taktische Beziehung dazu aufbauen.
Von diesem Anfangspunkt aus nähert sich der Workshop der Architektur an, insbesondere der einzigartigen Innenstadt Skopjes, deren Bauten einer Bühne ähneln. Die Architektur des Brutalismus sollte ihre Zuschauerinnen und Benutzer einnehmen, sie aber gleichzeitig auch dazu anhalten, ihren Blick in eine Zukunft zu richten, in der alles möglich schien und der Mensch sogar die Naturgesetze überwinden konnte. Welche Gewohnheiten, welche Art der taktilen und taktischen Rezeption – distanziert, kritisch, performativ – ist angemessen, um unsere Beziehung zu diesen Gebäuden zu verändern? Um mögliche Antworten zu finden, werden wir im Rahmen des Workshops Texte aufnehmen, welche die Zuhörerinnen dazu aufrufen, sich selbst zu ihnen in Beziehung zu setzen, anstatt nur zu erleben, wie die Architektur Macht verleiht und ihre Botschaften übermittelt. Das Ziel könnte sein, sich neue taktische Gewohnheiten in Bezug auf die Gebäude anzueignen und, durch die Erweiterung in die auditive Dimension hinein, die Wahrnehmung der Architektur zu einem noch intensiveren, unterschiedliche Sinne ansprechenden Erlebnis zu machen.
Im Workshop wird die Online-Audiokarte radio aporee benutzt, über welche die Ergebnisse für alle Benutzer von Smartphones in der Stadt leicht zugänglich sind.
14.11.2021 (13:00 - 14:00)
Hörbare Reaktion der Architektur: Öffentliche Präsentation des mehrtägigen Workshops mit Studierenden der Fakultäten für Schauspiel und Architektur und der Akademie für bildende Kunst.
Ort: öffentlicher Raum
Verlorene modernistische Utopien?
Workshop und öffentlicher Vortrag mit Miodrag Kuč (ZK/U (Zentrum für Kultur und Urbanistik) Berlin).
Der Workshop findet zwischen dem 30.11. und 4.12.2021 statt.
Öffentlicher Vortrag: 1.12.2021
In den letzten Jahren haben das Interesse für das (sozialistische) modernistische Erbe und seine Popularisierung verschiedene Positionen und politische Stellungnahmen hervorgerufen. Einerseits fetischisieren Architektinnen und visuelle Künstler oft seine Ästhetik (insbesondere diejenige der Architektur des Brutalismus), während sich andererseits der auf Immobilien orientierte Städtebau in Richtung einer Befreiung von den Relikten aus der ungeliebten Vergangenheit entwickelt. Zwischen diesen radikalen Positionen gibt es von Seiten des Staats und der Stadt keine angemessene Wertschätzung des modernistischen Erbes, das zwischen Alltagspolitik und Erhaltung der zerfallenden städtischen Infrastruktur gefangen ist.
Im Workshop „Verlorene modernistische Utopien?“ stehen die Zivilgesellschaft und die Stadtviertel im Mittelpunkt der Diskussion. Dabei sollen die Bedeutung und die Aufgaben der lokalen Gemeinschaft gestärkt werden, in deren Kreis innovative Ideen entstehen, aber auch diskutiert und ausprobiert werden können. Während des Workshops werden wir über imaginäre Versammlungen und über nicht auf den Menschen ausgerichtete politische Kultur nachdenken. Wir werden unsere Schlussfolgerungen kontextualisieren und lokale Akteurinnen einbeziehen, aber auch künstlerische Transformationsinstrumente einführen.
Ziel des Workshops ist es, traditionelle Zugänge zum modernistischen Erbe zu dekonstruieren („Schutz“, Konservierung, Belebung, semiotischer Abbruch etc.), die Teilnehmenden für die Rückgewinnung des politischen Raums zu sensibilisieren und letztendlich eine performative Charta der urbanen Transformation zu erlassen.