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Interview mit Theresia Enzensberger
Blaupause

Theresia Ensenzberger Blaupause Tour

Die deutsche Schriftstellerin Theresia Enzensberger hat eine Reise in die Vergangenheit unternommen und in ihrem neuesten Buch Blaupause das Universum des Bauhauses eingefangen. Der Roman, der 2017 in Deutschland erschien, folgt Luise Schillings künstlerischen Bestrebungen im Deutschland der 1920er Jahre als Studentin an der renommierten Schule für Architektur, Design, Handwerk und Kunst, die 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet wurde.

Von Mauricio Ruiz

In dem Buch werden die Schwierigkeiten, unter denen Frauen in der künstlerischen und intellektuellen Szene der damaligen Zeit litten, in den Vordergrund gerückt. Enzensberger zeigt uns durch ihre Forschungen auch die bedrohlichen Hintergründe des Nationalsozialismus, der sich damals in der Ferne abzeichnete.

Anlässlich des Besuchs von Theresia Enzensberger auf der Buchmesse in Guadalajara organisierte das Goethe-Institut Mexiko einen Übersetzungsworkshop, an dem die Autorin teilnehmen konnte. Bei der Buchmesse in Guadalajara konnte ich mit Theresia Enzensberger über ihr Buch, die aktuelle Situation in Deutschland und in Europa sprechen, und sie war so freundlich, ein Interview für das Goethe-Institut Mexiko zu geben.

Theresia Enzensberger: Blaupause

Mauricio Ruiz: Könntest du uns die Entstehungsgeschichte deines Buches Blaupause erläutern und warum du dieses Buch geschrieben hast?

Theresia Enzensberger: Bei einer Ausstellung 2009, zum 90. Geburtstag des Bauhauses, sah ich an der Wand einen Stundenplan eines Studierenden. Bis dahin hatte ich das Bauhaus immer vage als einen Trend in Design und Architektur gesehen, als einen Stil, als etwas sehr Abstraktes. Diese Entdeckung und die Fotografien von verschiedenen Festen und Feiern am Bauhaus haben mich eher an eine Schule denken lassen, an einen Ort, an dem junge Menschen interagieren und Kunst schaffen. Das machte es für mich viel zugänglicher. Faszinierend ist natürlich, wie viele Ideen damals, vor allem in dieser Kunstrichtung, umhergingen, Ideen und Konflikte, die durchaus auch heute noch aktuell sind. Einen dieser Konflikte fand ich besonders interessant: den zwischen Technikfanatikern und eher spirituell orientierten Studierenden, zwischen Menschen, die das Bauhaus zu einer handwerklich orientierten Schule machen wollten, und solchen, die ein eher puristisches Kunstverständnis hatten.

Die Geschichte von Luise beginnt 1921, also nur zwei Jahre nach der Gründung der Institution, in einer Zeit, in der solche Diskussionen am Bauhaus besonders häufig stattfinden.

MR: Wie bist du an deine Forschung herangegangen?

TE: Da die Hauptfiguren fiktiv sind, beschloss ich, dass es wichtig ist, den historischen Rahmen so genau wie möglich wiederzugeben. Quellen zu finden ist bei diesem Thema nicht schwierig, es gibt eine Menge Kunst aus dieser Zeit und wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema. Das Schwierige ist, dass man sich irgendwann entscheiden muss, sich auf einige Teile des Bauhauses zu konzentrieren, da die Menge der Informationen überwältigend ist.

Was den Ton des Buches betrifft: Ich wollte nicht, dass es nach den 1920er Jahren klingt, denn ich wollte mit dem Genre des historischen Romans etwas anderes machen.

Theresia Enzensberger

Ich beschloss, dass der Ton und der Stil so neutral und zeitgemäß wie möglich sein sollten, mit anderen Worten, in keiner Weise anachronistisch. Ganz allgemein interessierte mich die Idee des Handwerks und wie man sie in der Literatur abbilden kann, zum Beispiel: Was würde es bedeuten, wenn ein Roman so gut gemacht wäre, wie ein Objekt aus den Bauhaus-Werkstätten?

MR: Trotz der beinahe kriegerischen Haltung ihres Bruders scheint Luise sich der fragilen Situation des jüdischen Volkes in jenen Jahren nicht bewusst zu sein ("Die Sache mit den Galiziern und den Juden verstehe ich nicht, deswegen belasse ich es bei einem möglichst zustimmenden Nicken."). Könntest du uns erzählen, was deine Forschungen ergeben haben? Wie war das Leben der Deutschen zu der Zeit, wie Luise es erlebt?

TE: Eine Sache, die wirklich kompliziert wird, wenn man über die Weimarer Republik schreibt, ist, dass sie oft ausschließlich als eine Phase vor der Katastrophe behandelt wird. Das bedeutet, dass diese Dinge für meine Leser*innen, ganz gleich was ich schreibe, zu starken Anzeichen für die kommenden Ereignisse werden. Ich wollte versuchen, es mit den Augen einer Figur zu sehen, die nicht weiß, was in Deutschland passieren wird. Für eine solche Person mögen die Ideen der Eugenik und Rassentheorie zwar nicht entschuldbar, aber doch etwas harmloser erscheinen, als sie es jetzt sind. Ein anderes Problem der Retrospektive ist die Schwierigkeit, eine faschistische Figur und nicht nur ein Klischee zu beschreiben. In diesem Fall fand ich es nützlich, über den heutigen Faschismus nachzudenken. Und eine Sache, die mir sehr am Herzen lag, war, dass viele Menschen – viel mehr als die, die wir leicht in die Kategorie der "klassischen" Neonazis einordnen - sich schlicht nicht für alles interessieren, was mit einer bestimmten Ideologie einhergeht, sei es Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus.

MR: Nachdem Du dieses Buch geschrieben hast, mit deiner Forschung über die Geschehnisse in den 1920er Jahren, was könnte Deutschland deiner Meinung nach im Jahr 2020 über diesen Zeitraum lernen?

TE: Das Buch heißt "Blaupause", deshalb weiche ich nicht von den Parallelen ab. Aber ich denke, es kann politisch etwas vereinfachend sein, wenn man die Weimarer Republik lediglich mit den heutigen Zeiten vergleicht, ohne diese zu bewerten. Historische Spezifizität ist wichtig, auch oder gerade, wenn man an den Aufstieg des zeitgenössischen Faschismus denkt.

Wenn es Lektionen zu lernen gibt, dann geht es vielleicht darum, sich nicht von der vermeintlichen "Achtbarkeit" der Neonazis und ihrer Anhänger in die Irre führen zu lassen. Nur weil jemand einen Anzug oder einen Titel trägt, bedeutet das nicht, dass seine Ideologien weniger gefährlich sind. Diese Ideologien gibt es in allen möglichen Formen, und ich glaube, in meinem Buch gibt es dafür einige Beispiele. Hermann fühlt sich zum "Strasser"-Segment der NSDAP in ihren Anfängen hingezogen, von dem ein Teil angeblich sozialistisch war. Hermann stellt sich also als jemand dar, der gegen das Establishment und für die Arbeiter kämpft, aber offensichtlich stört ihn auch der damit verbundene Antisemitismus nicht, der sich als Antikapitalismus maskiert. Luises Bruder Otto ist eine weitere Figur, die sich der Nazi-Rhetorik bedient und offen antisemitisch ist, aber er würde sich damals nicht als Nazi identifizieren - er würde sich als fiskaler Konservativer bezeichnen. Hier werden die Ähnlichkeiten fast zu auffällig.

MR: Könnte man Blaupause als feministisches Buch lesen? Warum?

TE: Ich werde oft gefragt, warum ich das aus einer weiblichen Perspektive geschrieben habe, was ich eine seltsame Frage finde. 

Das stellt die männliche Perspektive als die Norm dar: Niemand würde einen Mann fragen, warum er aus einer männlichen Perspektive geschrieben hat.

Theresia Enzensberger

Aber mir fällt auf, wie die weibliche Perspektive bestimmte Dinge hervorhebt, die über diese Zeit vielleicht nicht bekannt waren. Das Buch basiert auf Forschungsergebnissen und befasst sich deshalb auch mit den Schwierigkeiten als Frau am Bauhaus. All diese Dinge, die ihr passieren, die subtilen und nicht so subtilen Diskriminierungen, sind nur Dinge, die ich über Frauen am Bauhaus gelesen habe. Aber natürlich gibt es auch andere feministische Themen in dem Buch, vieles davon handelt vom "männlichen Genie" und den Auswirkungen dieser Fiktion auf Künstlerinnen.

MR: Einige feministische Kritikerinnen benutzen den Bechdel-Test* - vor allem, wenn es Männer gibt, die aus weiblicher Sicht schreiben -, um ein Buch zu bewerten. Glaubst du, es wäre fair, Luise mit diesem Test zu bewerten? Warum?
 
*Der Bechdel Text wurde von der amerikanischen Autorin Alison Bechdel erfunden. Der Test besteht aus drei einfachen Fragen. Werden sie positiv beantwortet, hat der Film oder das Buch den Test bestanden. Die Fragen lauten: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?

TE: Bei Bechdels Test geht es darum, wie viel Frauen über andere Dinge sprechen als Männer. Ich denke, Luise besteht diesen Test. Sie ist zum Beispiel besessen von einer Vereinbarung, für die sie Pläne schmiedet, und es gibt viele Szenen, in denen sie speziell darüber und über ihre eigene künstlerische Entwicklung und Praxis im Allgemeinen spricht und nachdenkt.

MR: Auf der Buchmesse in Guadalajara haben Sie darauf hingewiesen, dass es einen großen Unterschied in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit gibt, wenn eine männliche Figur das Verlangen nach einer weiblichen Figur verspürt, als wenn man das weibliche Verlangen erforscht. Könnten Sie das etwas näher ausführen? Man sollte meinen, dass viele Leser*innen begierig darauf sind, über dieses Thema und diese Perspektive zu lesen, die jahrhundertelang zum Schweigen gebracht und verharmlost wurde. Was genau ist der Kern dieser Wahrnehmung?

TE: Ich denke, das hat zum Teil seine Wurzeln in der Idee der "Frauenliteratur", die ein völlig absurder Begriff ist und hauptsächlich dazu dient, das Schreiben von Frauen zu diskreditieren. 

Es besteht die Tendenz, alles, was eine Frau schreibt, als leichtfertig, als leichte Unterhaltung sehen zu wollen.

Theresia Enzensberger

Es besteht auch die Tendenz, die Heldin mit dem Schriftsteller zu kombinieren, was bedeutet, dass das Buch nicht "ernst" sein kann, wenn die Hauptfigur viel über die Liebe nachdenkt. Der andere Teil der Gleichung sind die klassischen Fehleinschätzungen über die Sexualität und das Begehren von Frauen. Begehren ist im Patriarchat typischerweise nicht etwas, das Frauen gewährt wird, es wird als "traurig", als "Verzweiflung" gelesen. Wenn eine männliche Figur verzweifelt verliebt ist, wird sie von den Leser*innen als romantisch und gewagt, vielleicht sogar als tragisch empfunden, aber es fehlt ihr keineswegs an Tiefe. Dafür gibt es in der gesamten Literaturgeschichte viele Beispiele, wobei Goethes Werther nur eines der berühmtesten ist.

MR: Was halten Sie von den Aktivitäten zur Förderung der Kreativität, die die Mazdaznan-Sekte durchgeführt hat? Welche Aktivitäten (ähnlich oder nicht ähnlich wie Mazdaznan*) setzen Sie ein, um Ihre Kreativität anzuregen?

*Mazdaznan ist eine religiöse Lehre welche unter anderem christliche, hinduistische/tantrische Elemente mit strengen Ernährungsvorschriften mischt. Am frühen Bauhaus wurde diese Lehre von Johannes Itten etabliert.

TE: Ich bin nicht gegen Yoga, gesunde Ernährung oder gar Spiritualität. Noch ernster: Ich glaube nicht an die puristischen Vorstellungen von Kunst, die Ittens Jünger verteidigen, ich glaube, dass Kunst Spaß machen kann und soll, was vielleicht eher ein Argument ist, das die andere Bauhausfraktion vorbringen würde.

MR: Wie sieht Ihre Beteiligung aus, wenn Ihre Arbeit in diesem Fall in Mexiko ins Spanische übersetzt wird?

TE: Leider ist mein Spanisch nicht gut genug, um mich sehr an der Übersetzung zu beteiligen. Ich habe die Übersetzungswerkstatt besucht, als ich in Guadalajara war, wo Studierende der Universität von Guadalajara Teile meines Buches übersetzt haben. Es war eine unglaubliche Erfahrung, weil die Menschen dort so leidenschaftlich am Übersetzen interessiert waren, aber auch, weil es unglaublich bereichernd ist, jemanden zu haben, der sich so ernsthaft mit der eigenen Arbeit beschäftigt.
 

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