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Raum erobern
Afrikanische Stimmen im Internet stärken

Latitude – Teilnehmende der Konferenz „Wikimania“ 2013
Teilnehmende 2013 bei der „Wikimania“, einer internationalen Konferenz für Nutzer*innen von Wiki-Projekten, einschließlich „Wikipedia“, die von der Wikimedia Foundation betrieben werden | Foto (Detail): Alex Hofford © picture alliance / dpa

Es gibt in der Enzyklopädie „Wikipedia“ mehr Inhalte über Frankreich als über alle afrikanischen Staaten zusammen. Die Initiative WikiAfrica Education möchte dem entgegenwirken. Adama Sanneh, Mitbegründer und CEO der Moleskine Foundation, die diese Initiative organisiert, spricht darüber, wie wichtig es ist, Onlinedatenbanken und den globalen Diskurs um afrikanische Sprachen und Geschichte zu ergänzen.

Was ist der Initiative WikiAfrica Education wichtig zu erreichen?

In den 1950er-Jahren veröffentlichte die UNESCO eine Resolution, die die Notwendigkeit für den afrikanischen Kontinent hervorhob, mehr in die Produktion von Wissen in afrikanischen Sprachen zu investieren. Das Dokument betonte, dass Afrika der einzige Kontinent sei, auf dem Bildung vorwiegend in Fremdsprachen stattfindet. Auch wenn viele afrikanische Gelehrte seit Jahren dasselbe gesagt haben, zeigte es dennoch, dass die internationale Gemeinschaft die Bedeutung der Thematik erkannte. Wenn wir von dort circa 70 Jahre nach vorn schauen, sehen wir, dass diese Aufgabe, die hochkomplex zu sein schien und theoretisch den Regierungen überlassen werden sollte, heute ein Problem ist, das wir dank Technologie selbst in die Hand nehmen können. Die Idee ist im Grunde, eine neue Generation von Content Producern auf dem afrikanischen Kontinent und in der Diaspora zu inspirieren und zur stärker ausgewogenen Onlinepräsenz von Wissen in afrikanischen Sprachen beizutragen.

Die mündliche Überlieferung ist ein wichtiges Gut in Afrika und nicht unbedingt in jedem Fall steht geschriebene afrikanische Geschichte für Quellenangaben zur Verfügung, was den Prozess des Hinzufügens von Einträgen in „Wikipedia“ erschwert. Was sind in Zeiten von Fake News Lösungen, um das Publizieren von mündlich tradierter Geschichte zu ermöglichen, ohne die Hürden für Themen zu senken, bei denen das Zitieren schriftlicher Quellen wichtig ist?

Unsere Arbeit geht über Wikipedia hinaus. Die Fülle des Wissens, das von unterrepräsentierten Gemeinschaften produziert wird, kann das übersteigen, was Wikipedia fassen kann. Der Umgang der Plattform mit mündlich übermittelter Geschichte beispielsweise befindet sich noch im Entwicklungsstadium. Interessanter ist jedoch, dass wir heute in einer Ära leben, in der wir fiktive Belege für so gut wie jede Aussage generieren können. Wir werden mit Quellenangaben geradezu bombardiert. Ich glaube nicht, dass die Lösung dafür in technischen Werkzeugen zu finden ist. Selbst ein Wikipedia‑Artikel kann verdreht, fehlinterpretiert oder falsch zitiert werden. Die Lösung liegt darin, eine neue Generation zu inspirieren, die kritisch denken kann und in der Lage ist, diese Dynamiken zu verstehen. Die Antwort auf Fake News wird darin bestehen, Menschen auszubilden und auszustatten. Und das ist genau das, was WikiAfrica Education tut. Es unterstützt dabei, Fähigkeiten zu entwickeln und nicht nur technische Einzelheiten. Der einzige Weg, mit der Technologie Schritt halten zu können, ist, uns kontinuierlich weiterzuentwickeln und in uns selbst zu investieren.

Eines Ihrer Ziele ist es, afrikanische Perspektiven auf die Geschichte des Kontinents zu stärken und weiße oder westliche Perspektiven zu hinterfragen. Inwiefern ist der Blickwinkel in Onlinedatenbanken verwestlicht?

Als meistbenutzte Online‑Enzyklopädie der Welt ist Wikipedia oft ein nützlicher Platzhalter für das, was kollektiv über ein Thema bekannt ist. Allerdings gibt es auf Wikipedia mehr Inhalte über Frankreich als über alle afrikanischen Staaten zusammen. Wenn wir uns die Frage stellen, warum das so ist, sehen wir, dass es letztlich tatsächlich um zwei Schlüsselelemente geht: Wer erstellt diese Inhalte und in welchen Sprachen? Die fehlenden Sprachen und Stimmen aus Afrika gehen über den offensichtlichen Mangel an Onlinerepräsentation für die Menschen und Kulturen hinaus. Was Kreativität betrifft, ist das für die Welt auch eine verpasste Chance. So viele Sensibilitäten, neue Ideen und Inhalte bleiben im globalen Diskurs komplett unbeachtet – sie fehlen.

Auf der Website der Moleskine Foundation, die WikiAfrica Education gegründet hat und organisiert, heißt es, dass sie „Handlungsmacht stärken“ möchte. Inwiefern ermöglicht die Bearbeitung und Ergänzung von Informationen auf „Wikipedia“ oder anderen auf Wissensvermittlung konzentrierten Websites dies?

Das Schreiben eines Wikipedia-Artikels ist nicht nur eine Komponente davon, über etwas zu schreiben, das einem am Herzen liegt, oder eine Rechercheübung. Es ist viel mehr als das. Denn wenn du, deine Community und deine Sprache online unterrepräsentiert sind und du beschließt, einen Artikel zu schreiben, um dazu beizutragen, diese inhaltliche Lücke zu füllen, tust Du aktiv etwas, um einen Raum für dich zurückzufordern, Sichtbarkeit für deine Gruppe zu beanspruchen und die Welt an deiner Fülle von Wissen und Kreativität teilhaben zu lassen. Das ist für alle unsere Programme wesentlich: Unsere Arbeit beginnt immer und überall mit jungen Menschen, die beschlossen haben, mehr über sich zu lernen und diese Menschen bringen sowohl die Zeit als auch den Willen mit, die Instrumente zu entwickeln, um diesen Weg zu gehen. Durch deren Interesse an ihrer eigenen Gemeinschaft und damit letztlich an sich selbst beschließen sie, ihr Wissen und ihre Kreativität zu teilen und damit breiter auf ihre Gemeinschaft und die gesamte Welt einzuwirken. Mit WikiAfrica Education kann man genau das tun: Die Initiative schafft einen Raum, in dem man sich entscheiden kann, aktiv zu werden und zu denen zu gehören, die etwas verändern.

Die Initiative WikiAfrica Education hat zum Ziel, in so vielen afrikanischen Sprachen wie möglich umfangreiche Informationen über den gesamten afrikanischen Kontinent zu liefern. Wie entscheiden Sie, auf welche Themen, geschichtlichen Abschnitte oder Länder Sie sich als Nächstes konzentrieren?

Angesichts der Sprach- und Inhaltslücke haben wir beschlossen, einen Beitrag zu einer riesigen Herausforderung zu leisten, die weit größer ist als wir. Es handelt sich um einen gigantischen Prozess und es gibt hier auch wirklich keinen Top‑down‑Projektmechanismus – wir arbeiten uns vor und experimentieren. Andererseits gibt es durchaus ein paar feste Konstanten. Zum Beispiel: Alles, was wir tun, erfolgt über Partnerschaften. Unser Hauptziel ist es also, die richtigen Partner aus Kultur- und Bildungsorganisationen zu finden. Als Moleskine Foundation haben wir ein weitläufiges Netzwerk aus kulturellen und kreativen Organisationen auf dem gesamten Kontinent und darüber hinaus aufgebaut. Das ist unsere erste Anlaufstelle. Wir versuchen zudem, Aufrufe zu starten und Möglichkeiten zu eröffnen, die zu neuen Kontakten führen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir nicht allein sind. Wir arbeiten Seite an Seite mit anderen, die ebenfalls Zeit, Energie und Ressourcen aufwenden, um Wissen in afrikanischen Sprachen zu schaffen, wie etwa Wikimedia South Africa, Wikimedia Dagbani, Wikimedia Yoruba, Wikimedia Tanzania und Ethale Publishing.

Dieses Jahr experimentieren wir erstmals mit einem übergreifenden Thema. Wir werden eine Serie von Onlineaktivitäten durchführen, um verschiedene Gemeinschaften auf dem Kontinent dazu anzuregen, Wissen, Kreativität und Aktivismus zu schaffen, indem sie zum Thema „Wer wir sind“ Inhalte produzieren. Damit generieren die teilnehmenden Gemeinschaften Inhalte, die nicht nur für sie selbst relevant sind, sondern auch auf die Onlinedarstellung ihrer Kulturen abzielen und so für eine vollumfassende Darstellung Raum lassen. Und das ist hoffentlich nur der Ausgangpunkt für ein größeres Projekt.

Viele der Autor*innen bei den Edit‑a‑thons‑Treffen, bei denen zahlreiche Freiwillige zusammenkommen und gemeinsam Inhalte veröffentlichen, sind Studierende und Schüler*innen, die von Fachleuten angeleitet werden. Ein Problem ist es, dass „Wikipedia“ für Informationen Quellenangaben verlangt, sonst werden sie möglicherweise als unzulässig gekennzeichnet. Wie gehen Sie damit um?

Wie bereits gesagt, basiert unser Ansatz auf Partnerschaften mit Kulturorganisationen, die Expert*innen auf ihrem jeweiligen Gebiet sind und eine kuratorische Perspektive einbringen. Durch diese Partnerschaften stellen wir sicher, dass die Studierenden inspirierende Führungskräfte und Fachleute aus dem jeweiligen Bereich um sich haben. Aber wir stellen auch sicher, dass die Organisationen entsprechende Quellenangaben vorbereiten. Das wahrscheinlich beste Beispiel dafür war unsere Zusammenarbeit mit Constitution Hill in Südafrika, der Heimat der südafrikanischen Verfassung und Bewahrerin ihres kulturellen Erbes. Im Zuge unseres Programms kuratierte Constitution Hill die Leitung der 120 zu erstellenden Artikel und sprach über das Thema „We the People“ mit Blick auf die Hauptfiguren im Kampf um Freiheit und Demokratie. Sie stellte zudem sicher, dass es für jeden Artikel jeweils zwei Quellenangaben gab, während die Teilnehmenden ermutigt wurden, selbst zusätzliche Quellen für die von ihnen produzierten Artikel zu finden. Dieser Ansatz war für uns besonders effektiv: Die Artikel erreichten in den ersten drei Monaten nach ihrer Erstellung beinahe 200.000 Aufrufe.


Das Interview wurde schriftlich geführt. Die Fragen stellte Juliane Glahn, Volontärin in der Onlineredaktion des Goethe‑Instituts in München.

 

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