Ein Residenzbericht
Der Wanderer
Von Sam Clague
2020. Mitten im betäubenden Tumult einer Welt, die würdelos zum Halten kam, wurde mir eine unglaublichen Chance durch das Goethe-Institut gewährt. Ich begann meine Reise im späten August, unterwegs nach Deutschland mit Zwischenstopp im fast komplett geleerten Changi Flughafen in Singapur. Die Reise war surreal, mit Kilometern von seltsam ruhigen Flughäfengängen, fast leeren Flugzeugen und 48 Stunden durchgängigem Tragen einer Gesichtsmaske - auch während des Schlafens.
Ohne Verspätung und ohne COVID kam ich am Frankfurter Flughafen an und nahm den ersten Zug nach Leipzig, wo das LIA Residenzprogramm stattfand. Ich hatte gelesen, dass es seinen Sitz in der größten Baumwollspinnerei des 19. Jahrhundert hat, aber ich hatte keine Vorstellung von der majestätischen, ex-industriellen, künstlerisch-utopischen Fantasie, in die ich mich begab. Früher war die Leipziger Baumwollspinnerei (kurz 'Spinnerei') eine Fabrik und Arbeiterunterkunft, die 10 Hektar von 22 großen gemauerten Hallen umfasst, und die heute über 100 Künstlerstudios, 14 Galerien und den größten Künstlerbedarfladen innehat, den ich jemals gesehen hab'.
Schnell gewöhnte ich mich an meine 80 Quadratmeter Studio/Wohnung (sehr viel größer als meine gesamtes Apartment in Wellington), wo ich die nächsten drei Monate leben und arbeiten würde, in der Nachbarschaft von anderen Residenzkünstler*innen aus Asien und Europa.
Einer unseren ersten Ausflüge haben wir in die kleine Universitätsstadt Freiburg gemacht, die normalerweise nicht auf Touristenrouten zu finden, aber ein wunderschönes Beispiel einer typischen Kleinstadt im Osten Deutschlands, ist. Freiburg ist Sitz eine der ältesten Universitäten, die Metallurgie als Studienfach anbieten. Ein Ingenieur für explosive Schockwellen begleitete uns Hunderte von Metern unter die Erdoberfläche einen Minenschacht entlang und zeigte uns die alte Mine, die nun sein Sprengstofflabor beherbergt. Es war absolut faszinierend und ein ziemlich unerwarteter Tagesausflug. In den Tiefen des Erzgebirges, wurde uns das Labor gezeigt, in dem kleine industrielle Präzisionsklingen gestärkt werden, in dem sie explosiven Schockwellen ausgesetzt werden. Außerdem gab es eine kleine Teeküche, einen experimentellen Minenbetrieb mit Bakterien und einen handversiegelten Raum, in dem teuere Whiskyfässer tief unter der Erdoberfläche reifen können.
Zwei andere Reisen sollten hier noch erwähnt werden - nach Dresden und Chemnitz. Obwohl größtenteils wieder neu aufgebaut, war die unglaubliche Schönheit und der historische Reichtum Dresdens immer spürbar und ich verließ die Stadt ganz schwindlich ob der atemberaubenden Baukunst und Sammlungen kollektiver Schätze und Kunstwerke in den Staatlichen Kunstsammlungen. Chemnitz war weniger majestätisch, offerierte dafür aber andere Einblicke in die Geschichte der Region, mit seinen Plattenbauten und der weltweit größten Büste von Karl Marx.
Wenn wir keine Exkursionen machten, gab das LIA Programm die Gelegenheit viele Studiobesuche mit Künstler*innen und Kolleg*innen aus der Kunstwelt zu machen. U.a. wurde auch die jährliche "Rundgang" Ausstellung organisiert, an die jede Galerie des Spinnerei Komplex teilnahm. Die Veranstaltung erreichte Tausende von Besucher*innen und über 400 Besucher*innen besichtigten unsere Ausstellung allein in den beiden Tagen, an denen sie geöffnet war.
Trotz der Pandemie gelang es mir, mit Unterstützung durch das Goethe-Institut und das tolle LIA Programm, eine immersive Zeit in Deutschland zu verbringen. Normalerweise hätte ich Deutschland und Europa noch weiter erkundet, nun bin ich aber sehr dankbar für die Gelegenheit, diesen kulturell dynamischen Teil Deutschlands kennengelernt und Zeit und Material gehabt zu haben, meine künstlerische Praxis weiterzuentwickeln und eine neue Reihe von Kunstwerken zu erstellen. Es war eine produktive und bereichernde Erfahrung und ich fuhr weg mit dem Gefühl den Kuchen nicht nur präsentiert zu sehen, sondern auch gekostet zu haben.
Nach meiner Rückkehr nach Neuseeland gelang es mir drei Ausstellungen mit den in Leipzig entstandenden Arbeiten zu sichern, eine in Auckland und zwei in Christchurch, die in den nächsten drei Monaten eröffnet werden. Es macht mich sehr stolz zu sehen, wie sich meine kreative Arbeitsweise in den drei Monaten der Residenz weiterentwickelt hat und ich möchte Künstler*innen aller Sparten ermutigen, sich zu bewerben, sobald sich die Erde wieder dreht.