Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste
Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten
Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste unterstützt dabei, die Herkunft und den Verbleib von unrechtmäßig entwendeten Kunstwerken zu ermitteln. Im Mittelpunkt stehen im Nationalsozialismus geraubte Objekte aus jüdischem Besitz, aber zunehmend auch Sammlungsbestände aus der Kolonialzeit, erläutert die Leiterin des neuen Fachbereichs Dr. Larissa Förster.
Von Larissa Förster
Der Fachbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste nahm im Januar 2019 seine Arbeit auf. Damals war er bundesweit die erste „Neugründung“ beziehungsweise dauerhafte Institutionserweiterung im Feld der Aufarbeitung des kolonialen Erbes in deutschen Museen und Sammlungen. Mit der Gründung des Fachbereichs reagierten das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg und sein Stiftungsrat auf die über viele Jahre geführte Debatte zu kolonialzeitlichen Sammlungen, die 2017 ihren ersten Höhepunkt und damit auch eine breitere Öffentlichkeit erreichte - mit dem Austritt der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus dem Internationalen Beirat des Humboldt Forums. Hervorgegangen war das Zentrum 2015 aus einer Zusammenlegung von Vorgängerinstitutionen im Feld der NS‑Provenienzforschung; es befasst sich darüber hinaus mit Entzugskontexten in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR sowie mit kriegsbedingt verlagertem Kulturgut.
Der neue Fachbereich hat einen klaren inhaltlichen Auftrag: die Provenienzforschung in Bezug auf Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zu fördern, zu stärken und auszuweiten. Dies geschieht einerseits durch finanzielle Zuwendungen an sammlungsbewahrende Institutionen wie Museen und Universitäten, andererseits durch die Beratung und Vernetzung von Akteur*innen in dem Themenbereich und durch die Vermittlung der Ziele von Provenienzforschung an Politik und Öffentlichkeit sowie an Studierende und sich Weiterbildende.
Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Aufbau transnationaler Kooperationen – insbesondere innerhalb der geförderten Projekte. Sie sind angehalten, möglichst von Beginn an eng mit Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen, Vertreter*innen von Kulturinstitutionen genauso wie mit vormaligen Eigentümer*innen oder – im Falle menschlicher Überreste – mit den Nachfahr*innen Verstorbener aus den Ländern zusammenzuarbeiten, aus denen die Objekte und menschlichen Überreste stammen.
Transparenz und Grundlagen für Restitution schaffen
Schließlich dokumentiert das Zentrum die Ergebnisse der von ihm geförderten und perspektivisch auch anderer Projekte in seiner Forschungsdatenbank Proveana. Die Datenbank, die für Provenienzforschung zu NS‑verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut entwickelt wurde, wird damit auch zu einem zentralen Arbeitsinstrument für die postkoloniale Provenienzforschung.Neben dem Herstellen von Transparenz hat systematische Provenienzforschung das Ziel, zu eruieren, welche Objekte gewaltsam von europäischen Akteur*innen angeeignet wurden, um damit die Grundlagen für Rückgabeangebote und Rückgabeverhandlungen zu schaffen. Gleichzeitig beleuchtet Provenienzforschung die vielen uneindeutigen Transaktionskontexte, denen zwar Machtasymmetrien zugrunde lagen – in denen lokale Akteur*innen aber dennoch eigene Handlungsspielräume erkämpften oder Widerstand leisteten. Jenseits der Biografie einzelner Objekte und Sammlungskonvolute beleuchtet Provenienzforschung aber auch die Verstrickung deutscher Institutionen und deutscher Akteur*innen in das koloniale Projekt und macht den Einfluss kolonialer Wissensordnungen auf unsere heutige Wissens- und Institutionslandschaft deutlich. Damit schlägt sie auch eine Brücke zur Debatte um rassistische Strukturen und Sichtweisen.
Die Definition von „kolonialen Kontexten“
Es gibt zahlreiche Objekte, deren Herkunft aus einem Unrechtskontext und oder aus einer spezifischen Community oder Familie auch ohne vertiefte Provenienzforschung feststellbar ist – und die folglich unmittelbar Gegenstand von Rückgabeverhandlungen werden könnten. Bei anderen Objekten sind die oft verschlungenen Wege ins Museum erst zu erforschen und auch die genaue Herkunft oder die Vorbesitzer*innen und die Form der Aneignung. Denn wenn man die sogenannten „kolonialen Kontexte“ bereits mit dem 15. Jahrhundert – also mit der Erkundung und Erschließung überseeischer Regionen durch europäische Akteure und nicht erst mit ihrer militärischen Eroberung in den darauf folgenden Jahrhunderten – beginnen lässt, dann stellen sich die Aneignungskontexte höchst vielschichtig dar. Im 15. Jahrhundert waren Europäer (noch) nicht allmächtige Kolonisatoren, sondern trafen auf souveräne Handels-, manchmal auch Bündnispartner, die erst später der technologischen Ausstattung und militärischen Gewalt der Europäer unterlegen waren. Es hängt also stark von der Definition der „kolonialen Kontexte“ ab, wie viel Souveränität, Selbstbehauptung und Widerstand von lokalen Akteur*innen sichtbar und beschreibbar beziehungsweise dokumentiert werden kann und muss. Das Zentrum folgt der oben genannten, weit gefassten Definition von „kolonialen Kontexten“ ab dem 15. Jahrhundert, die auch der Deutsche Museumsbund in seinem Leitfaden Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten diesbezüglich formuliert hat.„Jenseits der Biografie einzelner Objekte und Sammlungskonvolute beleuchtet Provenienzforschung aber auch die Verstrickung deutscher Institutionen und deutscher Akteur*innen in das koloniale Projekt und macht den Einfluss kolonialer Wissensordnungen auf unsere heutige Wissens- und Institutionslandschaft deutlich. Damit schlägt sie auch eine Brücke zur Debatte um rassistische Strukturen und Sichtweisen.“
Die Herbstkonferenz 2021, die das Zentrum zusammen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Research Centre for Material Culture des National Museum of World Cultures in Leiden ausrichtet, widmet sich unter dem Titel „The Long History of Claims for the Return of Cultural Heritage from Colonial Contexts“ der langen Geschichte von erfolgreichen wie erfolglosen Rückgabeforderungen. Zwar erreichte die Restitutionsdebatte erst in den 1970er‑Jahren die Ebene der internationalen Staatengemeinschaft – insbesondere durch Mobutu Sese Sekos Plädoyer vor der UNO‑Generalversammlung, doch hatten zuvor mehrfach bilaterale Verhandlungen zwischen ehemaligen Kolonialmächten und unabhängig gewordenen Nationalstaaten stattgefunden. Zum Teil waren Rückgabeforderungen schon unmittelbar nach kolonialen Plünderungen und Enteignungen artikuliert worden, und hatten in einigen wenigen Fällen sogar zeitnah zu Restitutionen geführt, so etwa nach der Plünderung der äthiopischen Festung Magdala im Jahr 1868. Einen höchst instruktiven Überblick über Rückgabeforderungen und Rückgaben, die vor 1970 erfolgten, erstellte im Zuge der Konferenzvorbereitungen der Historiker Lars Müller in Form eines Working Papers. Aktivitäten wie diese sprechen nicht nur die scientific community an, sondern auch eine breitere interessierte Öffentlichkeit, die sich mit der Geschichte des deutschen und europäischen Kolonialismus auseinandersetzen möchte.