Juliet Carpenter
Goethe-Institut Neuseeland und Contemporary HUM präsentieren eine Artikelserie über neuseeländische Künstler*innen, die in Deutschland physisch und künstlerisch ein neues Zuhause gefunden haben. Kurator*in Cameron Ah Loo-Matamua sprach mit der in Frankfurt lebenden Filmemacherin Juliet Carpenter.
Von Cameron Ah Loo-Matamua
Julia und ich sprechen im blauen Licht unserer Bildschirme – sie von Frankfurt am Main aus, ich in Tāmaki Makaurau. Seit vier Jahren sprechen wir so miteinander, über verschiedene Zeitzonen, Orte und Gemütslagen hinweg. Heute hat sie es sich mit einer Tasse Tee in ihrem Schlafzimmer gemütlich gemacht, den Fuß über einen Stuhl gelegt. Bei mir ist es schon Abend, das Morgenlicht in Julias Schlafzimmer ist grell. „Im Großen und Ganzen geht es um die Frage, wie man einen Spielfilm dreht in, oder während, einer Zeit, in der viele Narrative dekonstruiert werden,“ erklärt sie. Wir sprechen über die Produktion ihres neuesten Films EGOLANE und versuchen gleichzeitig zusammenfassend auf die von der Corona-Pandemie geprägten letzten Jahre zurückzublicken.
Juliet ist Ende 2018 nach Deutschland gezogen, um an einem Filmkurs der Künstlerprofessoren Douglas Gordon, Wu Tsang und Gerard Byrne an der Frankfurter Academy of Fine Arts (besser bekannt als Städelschule) teilzunehmen. Die eher untypische, aber mittlerweile für viele Studierende weltweit zum Alltag gewordene Campus-Erfahrung, geprägt von temporären Schließungen und virtuellem Lernen, schien sich auf ihr Schaffen eher positiv ausgewirkt zu haben. Wie auch bei vielen anderen Künstler*innen, hat sich auch bei ihr die Anbindung an Studio und Schnittraum in diesem Kontext verstärkt, ebenso wie die Gefühle der Langeweile und Isolation.
Wir reden oft über diesen Dualzustand von Produktivität und Energielosigkeit, und versuchen so ihm einen Sinn zu geben. Juliet bezieht sich dabei auf die Überlegungen der Musikerin Terre Thaemlitz, auch bekannt als DJ Sprinkles. Thaemlitz betrachtet Langeweile als notwendigen Bestandteil von Hörerfahrungen, da sie Raum für Momente wahrer Euphorie schafft. Julia ergänzt dies, indem sie sagt, dass „...Musik in der Lage ist, eine nichtlineare emotionale Erfahrung zu bieten, die fesselt“ – vielleicht auf eine Art und Weise, die für die Traditionen der Literatur oder des Kinos nur schwer zu erreichen ist. Für mich klingen ihre Einschätzungen der letzten zwei Jahre fast schon optimistisch, und es erinnert mich an etwas, das mir ein Freund kürzlich gesagt hatte: ‚...es gibt keine Freude ohne Kontext.'“
Juliets Bemerkungen zielen auf ihre Herangehensweise an EGOLANE, der von der Berliner Galerie Salon Stuttgart in Auftrag gegeben wurde, und den sie im Rahmen der jährlichen Student*innenausstellung „Rundgang“ an der Städelschule präsentieren wird. Grob skizziert schildert der Film die Geschichte einer unbekannten Frau, die allein in einem selbstfahrenden Auto unterwegs ist und nach einer Verletzung in dem fahrenden, aber fahrerlosen Fahrzeug stirbt. Die erste Einstellung im Film ist ihr lebloser Körper, der sich, umgeben von Blut, sanft im Rhythmus des Autos mit wiegt. Es ist eine groteske erste Begegnung, unterlegt von kurzen, aufblitzenden Szenen der noch lebenden Frau, die sich zuvor im Auto quält.
Das Kino beruht auf seiner Fähigkeit, die Realität „einzufangen“ und sie als einzigartige materielle Erfahrung wiederzugeben. Die Art, wie Filme die Welt widerspiegeln, kann manchmal einen unheimlichen Effekt hervorrufen. Während einer anderen unserer Unterhaltungen schlug Juliet mir vor The Slow Cancellation of the Future zu lesen, ein Aufsatz des britischen Schriftstellers und Kulturwissenschaftlers Mark Fisher. Seiner Argumentation zufolge sind wir durch den Aufstieg neoliberaler sozialer Strukturen in einen Moment der „formalen Nostalgie“ eingetreten, gekennzeichnet und dominiert von einer Art der kulturellen Produktion, die „an den Techniken und Formeln der Vergangenheit hängt“. Unsere Wahrnehmung der kulturellen Zeit, so Fisher, bricht in diesem Moment zusammen, und zwar soweit, dass sich die Zeit selbst anfühlen kann, als sei sie stehen geblieben. In EGOLANE wird dieser Moment zu einer künstlerischen Strategie, die am deutlichsten in der Figur des selbstfahrenden Fahrzeugs zum Ausdruck kommt. Die tatsächliche Automarke ist ein Mitsubishi 1999 Galant Kombi, und wie Juliet mir erklärte, ist diese Konzipierung gleichzeitig als Pastiche und als „Geist der Zukunft“ gedacht. Das Fahrzeug steht für eine profane Angst, die sich physisch in der anachronistischen Vermischung von mechanischen Elementen aus der Vergangenheit und der Zukunft, und emotional durch die kaleidoskopische Reise durch die Gefühlswelt der Protagonistin äußert. Das Ergebnis ist ein Film, der die unsicheren und bedenklichen Umstände problematisiert unter denen wir leben, und die durch die dramatischen Umwälzungen der letzten Jahre noch mehr in den Vordergrund gerückt sind.
Während ihrer Zeit in Deutschland hat Juliet ihre eigene Filmsprache weiterentwickelt. Sie ist sich den Produktionsmechanismen und der Zusammenhänge, in denen ihre Werke entstehen, bewusst. In EGOLANE greift sie die Kunst der Charakterstudie wieder auf und erreicht ein Werk von erschütternder allegorischer Tragweite.