Learning Curve
Berlin
Bereits vier Wochen nach einem Intensivsprachkurs am Goethe-Institut Berlin wurde ich auf meine bisher härteste Lernprobe gestellt: Eine Chorprobe, die ausschließlich auf Deutsch abgehalten wurde. Das konnte nur eine Blamage werden, dachte ich. Irgendwer würde mich auf Deutsch ansprechen und ich würde etwas erwidern müssen. Mit Alltagsfloskeln war ich schon vertraut, aber wieviel würde ich überhaupt von dem Probenablauf in einer fremden Sprache verstehen?
Ich war also extrem aufgeregt, als ich bei der offenen Probe im Chor der Berliner Philharmonie ankam. Ich hatte schon oft auf Deutsch gesungen und dadurch in Sachen Verständnis und Aussprache einen enormen Vorteil. Aber sprechen? Gedanken, Fragen und Antworten formulieren und ausdrücken? Das war meine bislang härteste Herausforderung beim Sprachenlernen. Angesichts dieser bevorstehenden spontanen Gespräche war mir extrem unwohl zumute.
Ich murmelte mich erst mal durch die musikalische Rollenverteilung und praktizierte ein wenig Small Talk übers Wetter, bevor ich mich näher mit der Partitur beschäftigte. Natürlich hoffte ich die ganze Zeit, dass mich niemand ansprechen würde. Es ist ziemlich schwer, eine Koloratur vom Blatt zu singen. Ich wusste überhaupt nicht, was auf mich zukommen würde: Würde ich überhaupt verstehen, was der Dirigent von uns wollte?
Bach's Magnifikat
| © Imogen Thirlwall
Es war eine bewusste Entscheidung, mit einem deutschsprachigen Chor zu proben, frei nach dem alt bekannten Motto „Wer nicht ins Wasser geht, kann auch nicht schwimmen lernen.“ Ich wollte herausfinden, was ich noch nicht kann. Das gemeinsame Singen bietet allerdings auch eine gewisse Sicherheit: Man interpretiert die gemeinsame Körpersprache und kann auch ganz ohne Worte, sondern nur mit Mimik und Gestik zuhören und antworten.
Ich habe nicht jede Anweisung bzw. jeden Witz und jeden Ausdruck verstanden. Manchmal habe ich einfach lächelnd genickt.
Lernen vom Studio 21
| © Imogen Thirlwall
Ganz wichtig: Zahlen! Die Proben bestehen aus dem Verbessern von Fehlern und der Verständigung über die richtige Interpretation, darum werden in steter und in schneller Abfolge Takte ausgerufen: „Wir machen bei Takt 34 weiter!“ Meine wichtigsten Vokabeln waren dabei: „Noch mal“, „schneller“, „leichter“ und, auch sehr gut zu wissen „ohne Sopran“.
-Körpersprache, - Ton und -Gestik sind beim Sprachverständnis sehr hilfreich. In der Musik wird dies besonders deutlich. Wortreiche und in hohem Tempo geäußerte Erklärungen können einen regelrecht „erschlagen“. Dirigenten dagegen setzen gekonnt ihren Körper ein, um ihr Anliegen verständlich zu machen. Eine meiner Lieblingslehrmethoden ist die Demonstration. Ein Dirigent kann ein musikalisches Beispiel auf verschiedene Weise vormachen und dann mit Verneinungen wie „nicht“ oder „kein“ seine eigene Interpretation deutlich machen. So wird die musikalische Intention ohne viele Worte leicht verständlich.
Winterweihnachtsmärkte
| © Imogen Thirlwall
Die nächste Herausforderung: In einem Altersheim deutsche Weihnachtslieder singen. Ich nehme mir fest vor, spontane Gesprächssituationen zu suchen. Und nun ein Ständchen kurz vor meinem ersten Weihnachtsfest fern der Heimat im winterlichen Berlin!