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Internationaler Tag des Waldes
Wie der Wald die deutsche Gesellschaft prägte

Nadelbaumwald aus der Vogelperspektive. Einzelne Bäume sehen krank und kaputt aus.
Foto © mauritius images / Stephan Schulz

Der Wald prägt Deutschland schon seit Jahrhunderten – von der Holzknappheit im Mittelalter über den Wald als Identitätstifter in der Romantik bis zum Waldsterben in den 80ern. Zum Internationalen Tag des Waldes blicken wir auf seine Geschichte.

Das große Angstthema der Deutschen im Wahlkampf 1983 war das Waldsterben. Die gesamte Parteienlandschaft schrieb es sich damals auf die Agenda und die Grünen zogen in dem Jahr erstmals in den Bundestag ein. Auch der frisch gewählte Bundeskanzler Helmut Kohl sprach in seiner Regierungserklärung von alarmierenden Waldschäden und wie bedeutend der Wald für Wasser, Gesundheit, Klima und die deutsche Kulturlandschaft sei.

Europaweit blieben die Deutschen mit ihrer Sorge um den Wald allerdings fast allein. Nur in Österreich und in der Schweiz schwappte die Angst über. In Frankreich beäugte man die deutschen Nachbarn hingegen eher mitleidig, wenn von saurem Regen und „Le Waldsterben“ die Rede war – obwohl eigentlich dort vergleichbare Befunde über sterbende Wälder existierten.

Dass das Thema genau in Deutschland so verfing, ist vielleicht auch der Historie des Landes zu verdanken.  Schließlich ist das Leben und die Kultur der Deutschen seit jeher eng mit dem Wald verknüpft.

Der Rohstoff und Energielieferant Holz prägt das Mittelalter

Im Mittelalter war der Wald als Rohstofflieferant für Holz ähnlich bedeutend wie heute Öl. Man brauchte Holz für den Häuser-, Brücken oder Schiffsbau, nutzte es zum Heizen und brauchte es für die Herstellung von Kutschen oder Fässern. Dazu kam, dass in Deutschland mehrere wichtige Bergbauregionen lagen. Auch dafür wurden große Mengen an Holz benötigt, zum Beispiel für die Stabilisierung von Schächten oder das Schmelzen von Eisen.

Den Menschen wurde durch die zunehmend lichteren Wälder klar, dass Holz nicht uneingeschränkt verfügbar und man von der Natur abhängig war. Besonders die weithin wachsenden Städte hatten einen großen Bedarf an Holz – für den Bau der Münchner Frauenkirche allein mussten zum Beispiel 20.000 Bäume gefällt werden. Um den Bedarf an Holz auch künftig stillen zu können, wurden daher erstmals Waldschutzmaßnahmen eingeführt. Tiere im Wald weiden zu lassen wurde verboten, Baumschänder wurden schwer bestraft.

Mischwälder, die Deutschland bis ins Mittelalter prägten, waren durch den enormen Holzbedarf stark zurückgegangen. Bewaldete Flächen bedeckten um das Jahr 1400 nur noch ein Viertel der Gesamtfläche Deutschlands. Im Vergleich: Heute ist immerhin ein Drittel Deutschlands mit Wald bedeckt.
Aquarellbild. In der Mitte ein Teich, links abgeholzte Bäume, rechts Nadelbäume.

Albrecht Dürer - Der Weiher im Walde, 1497 | Foto: picture alliance / akg-images | akg-images

Um dem Waldschwund entgegenzuwirken, musste aufgeforstet werden. Lange Zeit wusste man allerdings nicht, wie man das im großen Stil machen sollte. In dem Zusammenhang machte der Nürnberger Peter Stromer im 14. Jahrhundert eine wichtige Entdeckung. Er fand heraus, dass Tannenzapfen die Saat für neue Bäume enthalten. Diese Erkenntnis trug dazu bei, dass die ehemaligen Laubmischwälder durch schnell wachsende Nadelwälder mit Fichten und Kiefern ersetzt wurden.

Durch der knappen Ressource Holz dachte man in Deutschland auch erstmalig über den Begriff der Nachhaltigkeit nach: Da im Jahr 1713 das Gebiet rund um Freiberg in Sachsen aufgrund von Silbererzabbau fast komplett entwaldet wurde, forderte der Oberbergrat Hans Carl von Carlowitz die „kontinuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung von Wäldern.“ Dabei bezog er sich nicht nur auf die Umwelt, sondern hatte auch die ökonomischen und sozialen Aspekte bedacht. Er wollte sowohl die Armen als auch künftige Generationen schützen.

Die Entstehung des Mythos „Deutscher Wald“ in der Romantik

Der große Bedarf an Holz in Deutschland brachte Waldschutzmaßnahmen, das Wissen über Methoden der Aufforstung und den Begriff der Nachhaltigkeit mit sich. Der Wald prägte die deutsche Gesellschaft und die deutsche Kultur allerdings noch in weiterer Hinsicht.

In der Romantik wurden die Wälder mythisch aufgeladen und als Symbol verklärt, das die Deutschen von anderen Nationen abgrenzen sollte. Dies ließ sich auf den längst verstorbenen Römer Tacitus und seine Geschichten über die Germanen zurückführen. Tacitus beschrieb, wie die Römer einst gegen die im Wald lebenden Germanen kämpften und wie abschreckend die waldbedeckte Region der Germanen war.

Obwohl man heute weiß, dass Tacitus selbst nie in Germanien gewesen ist und seine Berichte politisch aufgeladene Geschichten aus dem Römerreich waren, wurden sie Anfang des 19. Jahrhunderts als historische Quelle angesehen und bis in 20. Jahrhundert als Tatsachen vermittelt.

Durch die Erzählungen über die heroischen Germanen im Zusammenhang mit den Befreiungskriegen gegen Napoleon im 19. Jahrhundert wurde der Wald von Romantikern zu einem Symbol der Deutschen gemacht. Schriftsteller wie Heinrich Heine und Ludwig Tieck prägten den Begriff der „Waldeinsamkeit“, die Märchen von den Brüdern Grimm entstanden und Caspar David Friedrich malte den „Chasseur im Walde“, der einen französischen Soldaten in Mitte des bedrohlichen „deutschen Waldes“ zeigte. Der Mythos „Deutscher Wald“ war geboren.
Gemälde eines Soldaten in mitten von großen, bedrohlich wirkenden Nadelbäumen.

Ausschnitt des Gemäldes von Caspar David Friedrich - Chasseur im Walde, 1814 | Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images

Das „Waldvolk“ im Nationalsozialismus

Die Geschichten über die Germanen wurden von den Nazis aufgegriffen und der „deutsche Wald“ wurde politisch instrumentalisiert. NS-Publizisten bezeichneten die Deutschen als „Waldvolk“ und die Liebe zum Wald wurde als etwas rein Deutsches deklariert. Im Gegensatz dazu wurden die Juden als „Wüstenvolk“ bezeichnet, das waldschädlich sei.

Sogar der Ausbau der NS-Autobahn wurde mit dem „deutschen Wald“ verknüpft: Durch die Straßen und das sogenannte „Autowandern“ sollten die Deutschen einen effektiven Zugang zur Natur bekommen. Dass für den Bau der Autobahn unzählige Bäume vernichtet wurden, blieb bei der Erzählung außen vor.

Das Waldsterben in den 80ern und heute

Die politische Instrumentalisierung des Waldes wurde in der Nachkriegszeit geringer. Der Wald wurde vielmehr als Rückzugsgebiet auserkoren, der im Gegensatz zu den zerbombten Städten Erholung bieten konnte.

Aufgrund von ökologischen Gesichtspunkten wurde der Wald erst in den 80ern wieder Zentrum der politischen Debatte. „Der Wald stirbt“, titelte der Spiegel, saurer Regen und Abgase wurden als Verursacher des Waldsterbens ausfindig gemacht. Als politische Reaktion auf den Druck der Bevölkerung führte die Regierung Kohl Umweltstandards ein, die die Schadstoffbelastung drastisch verringerte. Das prophezeite Waldsterben trat nicht ein. Ob es ohne die Maßnahmen zum Waldsterben gekommen wäre, ist umstritten. Dennoch weiß man, dass die erlassenen Verordnungen die Luftqualität deutlich verbesserten.
Im Vordergrund sind Menschen, die demonstrieren. Einige halten Schilder hoch. Im Hintergrund sieht man vor einem dichten Nadelbaumwald eine Menschenkette, die mit Buchstaben den Satz formuliert: "Für den Wald, für das Leben"

Demonstration zum Thema Waldsterben im Hochschwarzwald. Aufnahme vom 18.10.1986 | Foto: picture-alliance / Friedemann Vetter | Friedemann Vetter

Heute ist der Wald in Deutschland erneut durch den Klimawandel und das damit verbundene Grassieren des Borkenkäfers gefährdet. Vor allem Fichten, die seit Peter Stromers Entdeckung im 14. Jahrhundert als Nutzbäume in Deutschland angepflanzt werden, leiden unter Hitze und Trockenheit und werden dadurch Opfer des Käfers. Laut der Waldzustandserhebung 2023 sind von den verbreitetsten Baumarten (Fichte, Kiefer, Eiche, Buche) vier von fünf Bäumen krank.

Die Debatte um das Waldsterben bleibt allerdings aus. Und das, obwohl es dem Wald heute schlechter geht als in den 80ern.

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