100 Jahre Loriot
Früher war mehr Lametta
Über Jahrzehnte hinweg brachte Vicco von Bülow alias Loriot die Menschen in Deutschland zum Lachen, viele Sätze aus seinen Sketchen sind zum geflügelten Wort geworden. Dieses Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden.
Von Moritz Post
„Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein.“ – Wieso dieser Satz Ende der 1980er-Jahre zum geflügelten Wort wurde, lässt sich über drei Dekaden später nur noch mühsam rekonstruieren. Fest steht, dass er für unzählige Menschen in der Bundesrepublik gleichermaßen Witz als auch Erkennungszeichen einer humoristischen Mitwisserschaft war und bis heute ist. Der Satz stammt von Vicco von Bülow, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Loriot: dem Mann, der seine Mitmenschen immer wieder zu einem unergründlichen Lachen bewegen konnte.
„Ach was!“
Unergründlich ist indes sein Erfolg zu keinem Zeitpunkt gewesen. Loriot benötigte nicht immer den vollständig ausgeprägten oder gar verschachtelten Satz, um sein Publikum zum Lachen zu bringen. Es genügte ein im richtigen Moment platziertes „Ach!“ oder auch „Ach?“, um der unschuldigsten Alltagssituation die Blöße der Absurdität zu geben. „Ach was!“ Na gut, vielleicht waren die dargestellten Momente nicht immer ganz alltäglich. „Aha!“
Die Alltäglichkeit schimmerte jedoch in jedem von Loriots Sketchen hervor und ermöglichte es einem breiten Publikum, an seiner Komik teilzuhaben. „Nein, nein!“ Oh doch! Selbst wenn zwei Herren in einer Badewanne sitzen und sich darüber streiten, ob das Bade-Entchen nun hineingelassen wird oder nicht, findet sich darin noch immer ein gewisser Alltag, der die Absurdität der Situation bricht und scheinbar Normalität herstellt. „Jaja …“
„Ich heiße Lohse, ich kaufe hier ein.“ – vor allem von allem zu viel. Die Zitate aus „Pappa ante Portas“ über Einkaufsdirektor Heinrich Lohse, der sich mit seinem Ruhestand nur schwer abfinden kann, bringen die Menschen heute noch zum Lachen.
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„Früher war mehr Lametta“
Hätte ihn der Tod im Jahre 2011 nicht ereilt, würde Vicco von Bülow vermutlich noch heute im Jahr seines 100. Geburtstages gegen die Langeweile des Alltags anzeichnen und die komischen Brüche der bürgerlichen Welt aufschreiben. Denn der Kinoleinwand und dem Fernsehen hatte der Humorist bereits im Jahr 2006 den Rücken gekehrt und seinerzeit im Wochenmagazin Der Spiegel bemängelt, dass man wegen der modernen Schnelllebigkeit des Formats „einfach keine komische Qualität“ mehr erreichen könne.
Dabei ist das Werk von Loriot bemerkenswert subversiver als die Œuvres seiner humoristischen Zeitgenossen. Während die Bevölkerung in Nachkriegsdeutschland sich des beginnenden Wirtschaftswunders erfreute, lachte die Bundesrepublik lieber über heiter-fröhliche Witze. Bloß nicht die Errungenschaften der ersten Jahre nach dem Krieg in Frage stellen, lautete die Devise. Und mit der komischen Heiterkeit von Protagonisten wie Heinz Erhardt ließ sich auch der doch so notwendige Blick auf die Geschichte gut vermeiden.
Neben seinen Sketchen und Filmen sind auch seine Figuren unvergessen. Legendär: Der Cartoon-Sketch „Herren im Bad“ mit den Knollennasen-Männern Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner.
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„Die Welt geht unter, aber wir haben Senf, Wurzelbürsten und Badezusatz“
Wäre da nicht Loriot gewesen, dessen erste Cartoon-Reihe Auf den Hund gekommen (1953) im Wochenmagazin Stern die Selbstironie und -reflexion der Leserschaft herausforderte und damit sogar den damaligen Chefredakteur Henri Nannen gegen sich aufbrachte. Mit dem Ausspruch „Ich will den Kerl nie wieder im Stern sehen!“ soll Nannen dem jungen Zeichner gekündigt haben. Die Hundegeschichten sollten in den folgenden Jahren dennoch mehrere Auflagen erfahren und in drei Fremdsprachen übersetzt werden.
Zum Stern kehrte Vicco von Bülow, der nach dem Krieg Malerei und Grafik studiert hatte, nie zurück. Sein gezeichnetes Markenzeichen, das Männchen mit der Knollennase, der gestreiften Hose und der Melone auf dem Kopf, ist seit dieser Zeit jedoch sein steter Begleiter. Und alle wollten das Männchen sehen: Unter anderem durch Auftritte in Werbespots erlangten die beworbenen Marken, das Knollennasen-Männchen aber auch Loriot selbst große Bekanntheit.
So legendär, dass die umstrittene Badeente der beiden Herren in unterschiedlichsten Ausprägungen ihren Weg auf Loriots Grabstätte findet.
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„Die Ente bleibt draußen!“
Wo die charakteristische Figur zu sehen war, konnte sich das Publikum darauf verlassen, dass auch Komik der Güteklasse „Loriot“ enthalten war. Und so hat Loriot vermutlich nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung der bundesdeutschen Zeitschriften- und Magazin-Branche genommen – und vielleicht sogar die 1968er-Bewegung mitgeprägt?
Fest steht in jedem Fall: Im Jahr 1962 zierte den Titel der ersten Ausgabe des Satire-Magazins Pardon das Loriot-Männchen mit der Knollennase, das dem Publikum einen Blumenstrauß mit einer Bombe entgegenstreckte, deren Lunte schon brennt. Ein Titel, der so daher kam wie Loriots gesamte Komik: Sprachlich elegant gebunden wie die Blumen im Bouquet. Und voller explosiver Pointen – wenn nötig mit der Schlagkraft einer Bombe. Der Zeichner sollte zwar keine weiteren Pardon-Titel gestalten. Dennoch entwickelte sich das Blatt in der Folge zu einem Ort der Selbstvergewisserung und des Selbstverständnisses für die 1968er-Bewegung, das zur Hochzeit der Proteste im Jahr 1968 hundertausendfach gelesen wurde.
Der bürgerliche Vicco von Bülow als prägende Figur der 1968er? Wahrscheinlich ist das tatsächlich etwas zu weit hergeholt. Dennoch steht er für eine Komik-Tradition in Deutschland, die sich auch auf das Terrain des unergründlichen Lachens und der unerklärbaren Absurditäten wagte. Zunächst im Pardon-Magazin. Danach im bis heute bestehenden Titanic-Magazin. Loriot und das Männchen mit der Knollennase standen für diese Komik und dieses Lachen in jedem Fall prominent Pate.
Der Art Directors Club Deutschland, in dem Loriot Ehrenmitglied war, widmete ihm ein ganzseitige Traueranzeige: „Lieber Gott, viel Spaß!“
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