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Rosinenpicker
Ehrung für ein dunkel leuchtendes Werk

Lutz Seiler bei der Verleihung des Berliner Literaturpreises der Stiftung Preußische Seehandlung (2023)
Lutz Seiler bei der Verleihung des Berliner Literaturpreises der Stiftung Preußische Seehandlung (2023) | © picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Lutz Seiler findet spät seinen Zugang zur Literatur. Er schreibt zunächst Gedichte, feiert seine größten Erfolge mit Romanen und erhält nun mit dem Georg-Büchner-Preis seinen literarischen Ritterschlag.

Von Holger Moos

Lutz Seilers Weg zum Dichter und Schriftsteller war alles andere als vorgezeichnet, stammt er doch aus keinem bildungsbürgerlichen Haushalt. Sein Vater war ursprünglich Weber und später Lehrer für Computersprachen, seine Mutter arbeitete auf dem Bauernhof ihrer Eltern. Zudem war der 1963 in Gera geborene Autor ein Spätzünder was das literarische Lesen und Schreiben angeht. In einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung im Jahr 2000 beschreibt er seinen Werdegang so: „Ich habe ja eine ganz andere Geschichte: Ich habe Maurer gelernt und mehrere Jahre als Zimmermann gearbeitet und auch nicht gelesen. Ich habe ein ganz unmusisches Elternhaus gehabt. Ich habe mit 23 oder 24 Jahren angefangen, Literatur zu lesen und wenig später auch angefangen zu schreiben; und seitdem hat es sich halt durchgesetzt.“

Seiler begann, Gedichte zu schreiben. Der erste Gedichtband berührt/geführt (1995) blieb von Kritik und Öffentlichkeit fast unbemerkt, doch mit seinem zweiten Lyrikband pech & blende (2000) wurde man auf ihn aufmerksam. Thema vieler früher Gedichte ist die Erinnerung an Kindheit und Jugend in den Urandörfern Thüringens. Die seinen Gedichten innewohnende Dialektik von Heimat und Fremde hängt bei Seiler weniger mit der Wendeerfahrung von 1989 zusammen als vielmehr mit der schon zu DDR-Zeiten verschwundenen Welt der Uranbergwerke. Wegen des nahegelegenen Uranbergbaus wurde sein Heimatdorf Culmitzsch im Jahr 1968 geschleift. „Abwesenheit, Müdigkeit und Schwere prägen diese Zeit“, schreibt Seiler 2001 in seinem Essay Heimaten.

Unverwechselbarer Ton

Weitere Gedichtbände, Essays und Erzählungen folgen. Für seine Werke erhält Seiler zahlreiche Preise, wie etwa den Kranichsteiner Literaturpreis (1999) oder den Ingeborg-Bachmann-Preis (2007).

Das Kritische Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur attestiert ihm, „von Beginn an über einen unverwechselbar eigenen Ton“ zu verfügen. Seilers Lyrik hebe sich von der kühlen Großstadtpoetik Durs Grünbeins ab, seine Gedichte zeichnen sich vielmehr „durch eine Verhaltenheit aus, die in ihrer Reflektiertheit immer wieder zu einfachen lyrischen Formen wie dem Kinderlied zurückfindet und den Leser stets aufs Neue verblüfft“.

Erfolgsromane über die Wendezeit

Mit seinen Romanen kommen für Seiler die ganz großen Erfolge. Sein Romandebüt Kruso wird 2014 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es, sein Buch überzeuge „durch seine vollkommen eigenständige poetische Sprache, seine sinnliche Intensität und Welthaltigkeit“. Auch das Feuilleton und die Literaturkritik feiern die von Juni bis November 1989 spielende Geschichte um eine Gruppe von Aussteigern, die eine Gaststätte auf der Ostseeinsel Hiddensee betreibt und ihr Heil nicht in der Flucht in den Westen sucht, sondern in der Flucht in die Innerlichkeit. Mit über 250.000 verkauften Exemplaren wird Kruso zu einem Bestseller und wurde mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt.

Auch Seilers zweiter Roman Stern 111, der inhaltlich an seinen Romanerstling anknüpft und erneut autobiografische Züge trägt, erhält viel Anerkennung und gewinnt 2020 den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. Die Geschichte um ein Ehepaar und seinen Sohn, deren Leben nach dem Fall der Mauer 1989 aus den Fugen gerät, wurde von der Jury als „literarische Geschichtsschreibung zwischen Traumwandeln und Hausbesetzen“ gewürdigt.

Melancholisch, dringlich, aufrichtig

Die Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 4. November 2023 im Staatstheater Darmstadt an Lutz Seiler kommt nun einem Ritterschlag gleich. Der Preis gilt als der renommierteste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum und ist mit 50.000 Euro eine der höchstdotiertesten Auszeichnungen. Die Jury ehrt damit einen Autor, der in all seinen Werken „ein so klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker“ bleibe. In der Jurybegründung heißt es: „Lutz Seiler hat als Romancier und als Dichter zu seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme gefunden, melancholisch, dringlich, aufrichtig, voll von wunderbaren Echos aus einer langen literarischen Tradition.“

Seiler lebt mit seiner Frau, einer schwedischen Germanistin und Übersetzerin, in Wilhelmshorst bei Berlin und in Stockholm. Seit 1997 leitet er das literarische Programm im Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst. Peter Huchel ist zugleich eines der wichtigsten literarischen Vorbilder des preisgekrönten Schriftstellers.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank In unserer Onleihe finden Sie folgende Werke von Lutz Seiler:

Die Zeitwaage. Erzählungen (2009)

in field latin (englische Übersetzung von: im felderlatein. Gedichte, 2010)

Kruso. Roman (2014), auch in litauischer Übersetzung

Stern 111. Roman (2020), auch in dänischer und niederländischer Übersetzung

Stern 111. Hörbuch (2020)

schrift für blinde riesen. Gedichte (2021)
 

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