Fußball und Musik
Fußball ist unser Leben
Im Fußball ist Musik drin: Anlässlich der Europameisterschaft der Männer 2024 in Deutschland blicken wir auf skurrile und gelungene Fußballsongs sowie auf die Geschichten, die dahinterstecken.
Von Hendrik Nolde
Die hitzig geführte Debatte um Major Tom als mögliche Torhymne der deutschen Nationalmannschaft hat kürzlich einmal mehr verdeutlicht: Fußball und Musik können nicht „völlig losgelöst“ voneinander betrachtet werden, sondern sind eng miteinander verbunden. Auf den Rängen großer Stadien weltweit stimmen wöchentlich zehntausende Zuschauer*innen gemeinsam Gesänge an und nur selten trauen sich Fußballprofis heutzutage ohne musikalische Begleitung in Form großer Kopfhörer in die Öffentlichkeit. Auch die Musikgeschichte kennt eine Vielzahl von Liedern, die sich dem Fußball in all seinen Facetten widmen und nicht selten zu großen Turnieren wie der Europameisterschaft erscheinen. Musik kann als Liebeserklärung an den Volkssport Fußball auftreten oder aber dazu dienen, Missstände wie Homophobie im Fußballgeschäft anzuprangern. Im besten Fall gelingt es Fußballsongs, die Emotionen des Spiels zu transportieren – im schlimmsten Fall entstehen belanglose Pseudohymnen, die im Rahmen der Berichterstattung totgedudelt werden.
Wenn Fußballprofis zum Mikrofon greifen, ist Skepsis verständlich und angebracht. Schließlich ist nicht jeder Libero auch ein begnadeter Tenor. Die deutsche Nationalmannschaft der Männer hat sich davon jedoch in der Vergangenheit nicht abschrecken lassen und jahrzehntelang zu großen Turnieren die Begleitsongs einfach selbst eingesungen. Den Auftakt machte die Mannschaft um Franz Beckenbauer und Gerd Müller zur WM 1974. Fußball ist unser Leben „singen“ die späteren Weltmeister – natürlich im Trikot – zu Schlagerklängen unbeholfen von ihren Zetteln ab. Mit ebenjenem Erfolgsrezept eroberte man vier Jahre später gemeinsam mit Udo Jürgens sogar die Spitze der deutschen Charts. Der 1986er-Song Mexico Mi Amor konnte diesen Erfolg leider nicht wiederholen – dabei hatte man Lothar Matthäus und Pierre Littbarski eigens mit Sombreros ausgestattet, um lateinamerikanische Lebensfreude auszustrahlen. Den Höhepunkt der Absurdität bildeten jedoch wenig überraschend die 1990er-Jahre. Zur WM in den USA schmetterten Jürgen Klinsmann und Co. inbrünstig Far Away in America in die Kameras, und zwar mit niemand Geringerem als der für ihre ausgefallenen Kostüme bekannten Disco-Band Village People. Offenbar waren die DFB-Verantwortlichen der Meinung, dass dieses Pop-Kleinod nicht mehr übertroffen werden könnte – seither hat die deutsche Nationalmannschaft jedenfalls keinen Song mehr veröffentlicht. Öfter als selbst die Stimmbänder zu strapazieren, werden Fußballspieler*innen natürlich besungen. Meist beschränken sich derartige musikalische Hommagen auf die Gesänge stimmgewaltiger Fans im Stadion. Anders erging es jedoch Karl-Heinz Rummenigge. Der Europameister von 1980 und spätere Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München erfuhr eine ungewöhnliche Huldigung. Das britische Ehepaar Alan & Denise landete 1983 mit seiner Hymne an die „sexy Knie“ des deutschen Mittelstürmers einen Charterfolg. Inspiriert war der Song – neben den kurzen Shorts des Besungenen – vom Ausruf eines englischen Kommentators, der nach einem Tor des Deutschen begeistert ausrief: „Rummenigge, what a man!“ Der für englische Ohren merkwürdig klingende deutsche Nachname dürfte wohl auch eine Rolle gespielt haben, wie das Popduo im Interview mit 11Freunde später zugab. Rummenigge selbst soll zunächst skeptisch gewesen sein, habe aber seine Meinung über das Lied geändert, da es seiner Frau gefiel. Alan & Denise konnten an ihr One-Hit-Wonder jedoch nie wieder anknüpfen: die Folgesingle Beckenbauer, Beckenbauer wurde zum Ladenhüter. Als der englische Fußballverband die Comedians Frank Skinner und David Baddiel darum bat, gemeinsam mit der Rockband The Lightning Seeds ein Lied für die Europameisterschaft 1996 im eigenen Land zu produzieren, dürfte den Funktionären wohl kaum bewusst gewesen sein, dass sie gerade den vielleicht besten Fußballsong aller Zeiten in Auftrag gegeben hatten. Three Lions griff den Sound des Britpop auf, der gerade am Höhepunkt seiner Popularität war - (What's the Story) Morning Glory? von Oasis wurde im gleichen Jahr zu einem der meistverkauften Alben in der Geschichte Großbritanniens. Der Text spielt mit den Gefühlen, die der internationale Fußball evoziert. Er verweist mit der eingängigen Textzeile „it’s coming home“ auf den Ursprung des modernen Spiels in England und zitiert glorreiche Momente der englischen Fußballgeschichte. Gleichzeitig wird – dem britischen Humor entsprechend – selbstironisch auf die Erfolglosigkeit Englands eingegangen: „thirty years of hurt“ nimmt Bezug auf die Durststrecke der Nationalmannschaft seit dem WM-Titel 1966, auch damals bei einem Heimturnier.Mit dieser Mischung wurde das Lied nicht nur zu einem absoluten Megahit, sondern zur inoffiziellen Hymne des englischen Fußballs. Jürgen Klinsmann gab später zu, dass der Song vor den EM-Spielen auch in der deutschen Kabine lief. Logisch – einen eigenen Song hatte die Mannschaft ja nicht aufgenommen! Ob Klinsmann und Co. auch vor dem Halbfinale „football’s coming home“ anstimmten, in dem Englands Traum vom Titel im eigenen Land im Elfmeterschießen gegen Deutschland platzte? Der nachhaltigen Popularität des Liedes tat diese sportliche Tragödie jedenfalls keinen Abbruch. Dem Scheitern war schließlich musikalisch vorgebeugt worden und die zentrale Botschaft des ungebrochenen Glaubens an die Rückkehr des Erfolgs ließ sich problemlos um ein paar weitere Jahre verschieben. Eine Neuauflage zur Weltmeisterschaft 1998, die das Ausscheiden gegen Deutschland zwei Jahre zuvor verarbeitet, stürmte erneut an die Spitze der Charts und auf den Rängen englischer Stadien ist der Refrain bis heute noch regelmäßig zu vernehmen. Eine späte Revanche erfolgte schließlich im Sommer 2022, nach nunmehr fast 50 Jahren des Schmerzes. Nach dem Erfolg der englischen Nationalmannschaft der Frauen im EM-Finale – natürlich gegen Deutschland – spielten die Lightning Seeds bei einem Auftritt gemeinsam mit einer Reihe ehemaliger Nationalspielerinnen eine Version des Songs, die diesen Erfolg würdigt. Die Sangesleistung der englischen Fußballerinnen stand dem deutschen Knabenchor der 1970er-Jahre dabei in nichts nach.