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Österreichischer Buchpreis 2023
Tragischer Querkopf

In Clemens J. Setz' neuem Roman glaubt die Hauptfigur, die Menschen leben nicht auf, sondern in der Erde.

Von Holger Moos

Setz: Monde vor der Landung © Suhrkamp Vor 12 Jahren gewann Clemens J. Setz mit seinem Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes den Preis der Leipziger Buchmesse. In diesem Jahr wurde der der österreichische Autor mit seinem historischen Roman Monde vor der Landung erneut für die Shortlist nominiert: „Ein großer Wurf“, heißt es in der Jurybegründung.

Der Protagonist des Romans ist Peter Bender, ein ehemaliger Fliegerleutnant des Deutschen Heeres, der Anfang der 1920er- Jahre in Worms eine Art Sekte gründet. Er ist Anhänger der so genannten Hohlwelttheorie. Danach leben die Menschen nicht auf, sondern in einer Kugel. Als Leser*in befindet man sich häufig im Kopf dieses Außenseiters, der von einem befreundeten Soldaten als „Querkopf“ bezeichnet wird. Da liegt die Assoziation zu den heutigen Querdenkern nahe, die bekanntlich ebenfalls gerne „alternative“ Wahrheiten und Theorien propagieren.

Setz dringt tief in die verquere Gedanken- und Gefühlswelt seiner Hauptfigur ein, die über eine sehr eigenwillige Intelligenz verfügt. Es ist eine Geschichte, deren Tragik sich sowohl im Innenleben als auch im äußeren Geschehen entfaltet. Bender landet wegen seiner Weltsicht im Gefängnis und in der Psychiatrie. Die Herrschenden des NS-Regimes sorgen dafür, dass er, wie seine jüdische Frau, in einem Konzentrationslager endet.

Stark vom Krieg herkommend

Zunächst kehrt Bender schwer traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Er sah nicht nur verstümmelte Kameraden, sondern überlebte einen Flugzeugabsturz ganz knapp und erlitt eine schwere Kopfverletzung. Im Lazarett lernt er seine spätere Frau Charlotte kennen, die dort als Krankenschwester arbeitet. Sein Glaube an die Hohlwelttheorie ist durch nichts zu erschüttern, nicht einmal durch seine eigene Wahrnehmung. Obwohl er als Pilot die Krümmung der Erde gut erkennen konnte, tut er sie als optische Täuschung ab: „So nannten sie das. Und sie sah, das musste man zugeben, vollkommen überzeugend aus.“

Im bürgerlichen Leben ist Bender ein Versager in mehrfacher Hinsicht. Mit seinen Vorträgen und Schriften generiert er kaum ein Einkommen. Den Lebensunterhalt bestreitet Charlotte als private Sprachlehrerin. Um seine Affäre mit einer Anhängerin zu rechtfertigen, baut er in sein Weltbild die Idee der freien Liebe ein. Allzu frei ist er allerdings nicht: Auch wenn er behauptet, seine Frau Charlotte habe kein Problem mit dieser Affäre, wissen dürfe sie es doch nicht.

Benders Verhalten ist erratisch, mal ist er schweigsam, dann ergießt sich ein wahrer Redeschwall über seine Mitmenschen. Immer wieder hat er emotionale Ausbrüche und muss in unpassenden Situationen spontan lachen. Zudem leidet er unter epileptischen Anfällen. Seine sich gelegentlich manifestierenden Gewaltfantasien sind eventuell Folge seiner Kriegserlebnisse. Als er von einem Lesekreis, bestehend aus „stark vom Krieg herkommende[n] Männer[n]“, die – zur Verhütung künftiger Kriege – das „große Zeitalter der Mütter“ einleiten wollen, nach Hause kommt, äußert er sich widersprüchlich. Sehr gut gefallen habe ihm der Lesekreis, allerdings wolle er nicht mehr hingehen. Beim Anblick seiner Frau will er plötzlich „einen der Matridianer ohnmächtig schlagen … Brust auf, ausschaben, mit Nacktschnecken füllen, zunähen, fertig“.

Zwischen Größenwahn und Zusammenbruch

An Bender demonstriert Setz menschliche Obsessionen und Irrationalitäten, die gleichwohl rational verbrämt werden. Vom pathetischen Größenwahn zum psychischen Zusammenbruch – und umgekehrt – ist es im „Zeitalter der Extreme“ nur ein kleiner Schritt.

Monde vor der Landung bestätigt Setz' Ausnahmestellung in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Sprachlich brillant erzählt er Benders tragisch-groteskes Scheitern im und am Leben auf der Basis zahlreicher historischer Dokumente, die Setz fiktional ausschmückt und weiterspinnt. Letztendlich scheitert hier ein einzelner Verschwörungstheoretiker an einer ungleich größeren verschwörungstheoretischen Bewegung, dem Nationalsozialismus. Dessen Parteigängern glaubte der Großteil der Deutschen die Mär von der jüdischen Weltverschwörung nur allzu bereitwillig .

Beruhigend ist nichts an Setz' Roman. Denn selbst wenn man das Gedankenspiel anstellt, Benders Machtfantasien hätten sich verwirklicht und er wäre der Vorsitzende einer mächtigen Organisation geworden, ist kaum vorstellbar, dass der Ausgang für die Menschheit ein guter gewesen wäre. Zu ausgeliefert scheinen wir Menschen den Wahnbildern unserer mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Wirklichkeiten.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank Clemens J. Setz: Monde vor der Landung. Roman
Berlin: Suhrkamp, 2023. 528 S.
ISBN: 978-3-518-43109-2
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

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