Rosinenpicker | Literatur
Träumt KI von elektrischen Büchern?
Künstliche Intelligenz (KI) ist gekommen, um zu bleiben. Wir werden lernen müssen, mit der allgegenwärtigen Technologie umzugehen. Hannes Bajohr hat für die Erzählliteratur ein Experiment gewagt und einen Roman von einem KI-Sprachmodell schreiben lassen.
Von Hendrik Nolde
Künstliche Intelligenz – an diesem Thema kam im vergangenen Jahr niemand vorbei. Insbesondere die Veröffentlichung des frei zugänglichen Sprachmodells ChatGPT des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI im November 2022 sorgte für einen regelrechten globalen KI-Boom. Innerhalb weniger Monate versuchten sich hunderte Millionen von Nutzer*innen an der automatisierten Textgenerierung mithilfe des Chatbots. Dieser plötzliche und massenhafte Einzug von KI in den Alltag von IT-Laien befeuerte, wenig überraschend, auch den medialen Diskurs über die möglichen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Wie würden Lehrkräfte zukünftig mit der Möglichkeit KI-generierter Aufsätze umgehen? Welche Risiken birgt generative KI für die ohnehin schon vor Desinformation triefenden sozialen Medien? Und wird man bald überhaupt noch zwischen KI-generierten und menschlich verfassten Texten unterscheiden können?
Solchen Fragen kann sich die Literatur als Textmedium nicht entziehen. Der Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr beschäftigt sich bereits lange und intensiv mit dem Verhältnis von Literatur und digitaler Technologie. Nun hat er die graue Theorie hinter sich gelassen und die Probe aufs Exempel gewagt. Unter Zuhilfenahme mehrerer KI-Sprachmodelle schuf er den Roman (Berlin, Miami), um zu ergründen, ob KI in der Lage ist, Geschichten zu erzählen. Entstanden ist ein herausfordernder und sperriger Text, der auch als Experiment zur Reflektion des eigenen Leseerlebnisses dienen kann.
Zusammenbruch der Sprache als Konzept
Der Versuch, die Handlung von (Berlin, Miami) zusammenzufassen, ist zum Scheitern verurteilt. Kohärente Erzählstränge lassen sich nur schwer identifizieren. Stattdessen ist der Roman geprägt von assoziativen Verbindungen, Leerstellen sowie nahezu rhythmisch wiederkehrenden sprachlichen Versatzstücken und Wortneuschöpfungen. Die Erzählinstanz erscheint hochgradig unzuverlässig, widerspricht sich permanent und fällt sich mitunter sogar selbst ins Wort. Dialoge verlaufen im Sand oder werden nachgerade zum Selbstgespräch. Der Zusammenbruch der Sprache, den KI-Kritiker*innen bisweilen beschwören, wird somit selbstreferenziell gleichsam thematisch und stilistisch vorgeführt.Die Atmosphäre der erzählten Welt ist diffus futuristisch und latent dystopisch. Immer wieder ist von dubiosen Institutionen wie der Ãää-Partei und einer drohenden Auflösung der Welt die Rede, ohne dass die zugrundeliegenden Zusammenhänge der Erzählinstanz jemals einer Erklärung zu bedürfen scheinen. Technologie spielt eine zentrale Rolle; wiederholt wird die Entwicklung eines Computerprogramms namens DARIA beschrieben, was als Anspielung auf das 1966 von Joseph Weizenbaum entwickelte Sprachmodell ELIZA verstanden werden kann – es gilt als Urform der KI. In seinen stärksten Momenten führt der Roman vor, wie sich die erzählende KI mit existenziellen Fragen nach dem eigenen Dasein plagt: „Wie soll ein System, das sein eigenes System ist, seine eigene Entwicklung ständig verstehen, wo es seine eigene Entwicklung nicht sehen kann?“
Tod des Autors und Geburt des Lesers
Bajohrs KI-Roman pendelt zwischen Tiefgründigkeit und Unsinn. Auch damit erinnert er an frühere (menschliche) Literaturtraditionen, die den Zugang zum Erzählen über das experimentelle Spiel mit der Sprache gefunden haben, wie die Dadaisten des frühen 20. Jahrhunderts oder das Theater des Absurden. Samuel Beckett hätte wahrscheinlich seinen Spaß mit ChatGPT gehabt.Ob die Lektüre von (Berlin, Miami) zu einem Quell der Freude wird, ist äußerst subjektiv. Der Mangel an Kohärenz kann durchaus frustrieren, wenn man nicht in der Lage ist, sich von seinen Lesegewohnheiten und -erwartungen zu lösen. Lässt man sich jedoch darauf ein, dass die beim Lesen empfundenen Irritationen möglicherweise beabsichtigt sind, kann ein faszinierendes Literaturerlebnis entstehen. Sobald kein Anspruch mehr auf allumfängliches Verständnis des Erzählten besteht, kann man sich durchaus in der ungelenken, aber gerade dadurch faszinierenden, Sprache verlieren und tief eintauchen in eine undurchsichtige Welt, in der Begriffe wie Co-Yoga, Teichenkopf und Drei-U-Ten-Schäumeffekt völlig selbstverständlich vorkommen. Die Frage danach, ob eine KI erzählen kann, muss somit ebenfalls unbeantwortet bleiben oder wenigstens vertagt werden.
Berlin: Rohstoff, 2023. 273 S.
ISBN: 978-3-7518-7013-9