Walter und Ise Gropiusʼ polnische Freunde
„in polnische wurst und marzipan gebettet“
1928 lernen sie sich kennen, auf dem ersten der Internationalen Kongresse Moderner Architektur (CIAM). Er – Begründer des Bauhaus, Professor, leidenschaftlicher Architekt – wird damals bereits langsam zur Legende. Sie – ein junges Ehepaar aus Warschau – wollen mit ihrer Architektur die Welt revolutionieren.
Ihre Korrespondenz dreht sich zunächst um die Organisation der Kongresse. Schnell kommen jedoch private Themen hinzu und es entwickelt sich eine enge und fruchtbare Freundschaft. In ihren Briefen spiegelt sich die komplexe Geschichte des 20. Jahrhunderts in kondensierter Form.
Er – das ist Walter Gropius; sie – das sind Helena und Szymon Syrkus. Ersteren muss man wohl niemandem vorstellen; letztere sind zwei junge, links und sozialistisch engagierte Warschauer Architekten am Anfang ihrer Laufbahn. 1926 gründen sie die Gruppe Preasens, deren Mitglieder – nicht nur Architekten, sondern auch Künstler – eine neue Qualität des Lebensraumes schaffen wollen: hell und funktional soll der Raum zum Leben sein. Helena und Szymon kommen aus assimilierten jüdischen Familien. Helenas Eltern gehören zur „gehobenen Mittelschicht“: Ihr Vater, Izaak Eliasberg, ist ein hoch angesehener Arzt, Mitarbeiter des bekannten Pädagogen Janusz Korczak; er hat eine weit verstreute Verwandtschaft auf der ganzen Welt. Szymon studiert Architektur an der Warschauer Technischen Universität; Helenas Werdegang ist ein wenig verschlungener. Ab 1918 studiert sie Architektur, unterbricht das Studium mehrere Male, verlässt schließlich ohne Abschluss die Hochschule. Stattdessen nimmt sie Zeichenunterricht beim polnischen Maler Roman Kramsztyk, beginnt ein Studium der Philologie, gibt auch dieses wieder auf und wird 1925 schließlich Sekretärin in Szymon Syrkusʼ Architekturbüro. Bald schon ist sie seine Assistentin, dann seine Ehefrau und „Architekturpartnerin“. Helena Syrkus spricht fließend vier Fremdsprachen: Französisch, Deutsch, Russisch und Englisch. Sie ist vielseitig begabt, sprüht vor Energie und Lebenslust.
1935 schreibt Szymon Syrkus an Walter Gropius. „Lieber Herr Professor“, so beginnt sein überaus beflissener und förmlicher Brief. Beim nächsten Mal übernimmt Helena das Ruder – und lässt einer kurzen, förmlichen Einleitung unverblümt ein paar tadelnde Worte folgen: „[es ist] gar nicht nett von Ihnen, Ihre Warschauer Freundin so ganz im Stiche gelassen zu haben.“ Ihr Brief ist in einem wenn auch freundschaftlichen, so doch sehr direkten Tonfall gehalten. Helena, die das Deutsche fast wie eine Muttersprachlerin beherrscht, stellt sich forsch und ohne Komplexe auf eine Stufe mit dem älteren Kollegen. Sie fühlt sich offensichtlich kein bisschen gehemmt gegenüber DEM großen Walter Gropius. Und er, der sich damals bereits im Londoner Exil befindet, schreibt ihr zwei Wochen später zerknirscht zurück: „Sie haben mich mit recht beschimpft, dass ich nicht längst auf ihre freundlichen Briefe geantwortet habe.“
Helenas nächster Brief beginnt schon mit den Worten: „lieber gropius“, den offiziellen Ton lässt sie nun gänzlich fallen. Und sie redet Walter nicht nur wie einen alten Bekannten an, sondern verfasst ihre Briefe auch im „Bauhaus-Stil“, indem sie sämtliche Rechtschreibregeln des Deutschen außer Acht lässt und einfach alle Wörter klein schreibt. „wir wollten dir eine kleinigkeit senden, um dir freude zu machen und deiner frau. aber was? zigarren machen wir (das heisst polen) keine – wein auch nicht (ein tristes land). wir wollten euch unsere specialité du pays senden – d.h. pralinées, da sagte der katz, an einer richtigen polnischen wurst werdet ihr euch viel mehr freuen. also auf seine verantwortlichkeit – wenn es ein faux pas ist, sollst du ihn anschnauzen, und nicht mich, gell? die einzigen guten zigarren, die es hier zulande gibt, habe ich dir auch gekauft (…). und die kleinen würstchen frau gropius, ja? es sind noch im päckchen zwei süsse abbildungen unserer treuen herzen – das männliche gehört frau gropius, oder ihr könnt es brüderlich teilen.“ Und wie reagiert Walter auf das Päckchen? „(...) das füllhorn eurer freundschaft war eine schöne überraschung! ich bin ganz in polnische wurst und marzipan gebettet.“
Vielleicht hat die polnische Wurst das Eis endgültig gebrochen – jedenfalls nimmt die Korrespondenz zwischen Helena Syrkus und Walter Gropius ab diesem Moment einen ausgeprägt freundschaftlichen Charakter an. Mit der Zeit scheinen sogar die organisatorischen Dinge rund um die CIAM-Kongresse in den Hintergrund zu treten oder bieten den Aufhänger zu anderen Themen, die den Schreibenden wichtiger sind. In den weiteren Briefen redet Helena Walter und Ise Gropius dann sogar mit „lieber pius, liebe pia“ an, den Spitznamen, die ihnen die Bauhaus-Kollegen verliehen haben.
In ihren Briefen schildert Helena Walter die Kämpfe, die Szymon und sie in ihrem Alltag als praktizierende Architekten auszufechten haben, etwa, dass sie in Warschau nicht die erträumten, günstigen Arbeiterwohnungen bauen dürfen und mit welchen verschiedenartigen Problemen sie sich bei Aufträgen von der Mittelschicht konfrontiert sehen. Sie kritisiert die in Polen verbreitete Vorliebe für barocke Gebäudedekorationen und gesteht freimütig, dass es für sie und Szymon nicht die berufliche Erfüllung bedeutet, Luxusvillen zu entwerfen, sondern schlicht und einfach eine finanzielle Notwendigkeit. Auch von dem Buch über Wohnungsbau berichtet sie, das ihr Mann und sie gemeinsam verfassen, und beklagt sich, dass es keine Aussicht auf staatliche Unterstützung bei der Publikation gebe: „(…) doch bin ich ein maikind (14.V.1900), dazu noch unter dem zeichen vom stier geboren: I am as hard as nails und muss diese fixe idee von uns durchsetzen“, konstatiert sie in einem der Briefe.
Er schreibt ihr, bereits aus Massachusetts in den USA, wie Ise und er sich an dem neuen Ort einleben, wie sie sich einen neuen Ort zum Leben schaffen, und auch von seiner Arbeit als Architekt.
Walter Gropius und Ise Gropius
| Quelle: Bauhaus-Archiv Berlin
Auch wenn Walter privat nicht übermäßig gesprächig erscheint, hat Helena keine Hemmungen, ihm ihre Probleme in unverblümter Weise darzulegen: die finanziellen Schwierigkeiten, die Einführung des „Bänke-Ghettos“ – einer Form der Diskriminierung jüdischer Studierender, denen ein gesonderter Sitzbereich zugewiesen wird –, auf die hin Szymon seine Arbeit an der Technischen Universität verliert und Berufsverbot bekommt. Offen gesteht sie, dass beide ernsthaft darüber nachdenken, Polen zu verlassen und nach Amerika zu emigrieren – und bittet Walter sogar, ihnen zu helfen, dort eine Arbeit zu finden. Der tut, was in seiner Macht steht, und fragt unter seinen amerikanischen Bekannten und Kollegen herum, wie man Helena und Szymon Syrkus in die USA holen könne, spricht bei Hochschulen und Institutionen seine Empfehlung für das Warschauer Architektenpaar aus, spart nicht an Superlativen, wenn er ihre Errungenschaften, ihr Talent und ihre professionelle Arbeit lobt.
Die Syrkus’ sind nicht die einzigen, die Europa verlassen wollen. Alle Zeichen stehen auf Krieg, die Zahl der Emigranten steigt von Tag zu Tag, und die amerikanischen Universitäten sind nicht gerade erpicht darauf, unzählige Flüchtlinge anzustellen. Vielleicht hätte Gropius es aber sogar geschafft, seine beiden Freunde nach Amerika zu holen – doch es fehlt ihm die Zeit, denn im September 1939 reißt der Kontakt zwischen ihnen ab. Wegen ihrer jüdischen Abstammung ist Szymons und Helenas Schicksal im besetzten Polen äußerst ungewiss. Walter, der sich dessen bewusst ist, versucht gemeinsam mit anderen Architekten, die Ausreise des Warschauer Ehepaars über Italien nach Brasilien zu organisieren. Als die Lage sehr schlecht aussieht, telegrafiert Gropius sogar an den Papst höchstpersönlich (wie er nach Kriegsende in einem Brief an Helena erwähnt). Doch die beiden aus Polen herauszuholen, bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Szymon wird 1942 ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert; Helena gelingt es zunächst, in Warschau zu überleben und sogar im Verborgenen weiter ihrem Beruf nachzugehen. Bis 1944 bleibt Szymon in Auschwitz, gegen Kriegsende wird er nach Straßburg verlegt. Auch Helena wird noch deportiert, zuerst in das Lager Landau, dann nach Wrocław [Breslau], wo sie die Belagerung der Stadt miterlebt.
Am 6. Juni schickt sie eine Depesche an Gropius: „Viele herzliche Gedanken stop Warte noch auf Syrkus inhaftiert 1942 deportiert ins KZ Auschwitz stop Letzte Nachricht Dezember 1944 bei Weiterreise nach Straßburg stop Hat tätowierte Nummer 77165 auf dem Arm stop Bitte hilf ihn zu finden stop (…)“. Auf Helenas Bitte hilft Gropius ihr, in den Nachkriegswirren nach Szymon zu suchen – auf offiziellen und inoffiziellen Wegen. Und die Suche hat Erfolg, denn am 3. September schickt Helena wieder eine Depesche: „Syrkus wohlbehalten zurück (…)“.
Szymon ist bereits am 1. August 1945 zurück in Warschau. Sogleich beginnt er seine Mitarbeit beim Büro zum Wiederaufbau der Hauptstadt, wo auch Helena seit dem 7. Mai in der Propaganda-Abteilung tätig ist. Das Zusammentreffen zweier Umstände – des völlig verwüsteten Zustands der Stadt Warschau und der Einführung des neuen, sozialistischen Systems – erscheint vielen Architekten wie eine einzigartige Gelegenheit, ihre langgehegten Träume von einer durch und durch funktionalen und egalitären Stadt in die Tat umzusetzen. Auch Helena und Szymon stürzen sich in die Arbeit. Kurz zuvor hat Helena die Leitung der offiziellen Fotoausstellung „Warszawa oskarża“ – „Warschau klagt an“ – übernommen, die mit staatlichen Mitteln finanziert wird und das Ausmaß der Tragödie, die völlige Zerstörung der Hauptstadt, dokumentiert.
Mit einer Ausstellung „Warsaw lives again!“ gehen Szymon und Helena Syrkus auf Reisen: zuerst nach Großbritannien, dann in die USA, anschließend in weitere europäische Länder: die Niederlande, Frankreich und die Schweiz.
Nach all den Jahren also kommen die Syrkusʼ endlich nach Amerika, und – was noch wichtiger ist – endlich sehen sie Walter und Ise Gropius wieder. Auf einer ihrer vielen Stationen in amerikanischen Städten kommen sie im Haus der Gropiusʼ unter. Und noch vor der Reise in die Vereinigten Staaten bietet Walter Gropius ihnen seine Hilfe bei der Beantragung ihrer Visa an. Außerdem organisiert er einen Vortrag in Harvard, hilft ihnen bei den Recherchen und der Zusammenstellung von Materialien zum Thema moderner Städteplanung. Zu diesem Zweck macht er Helena und Szymon auch mit renommierten amerikanischen Fachleuten für diesen Bereich bekannt. Als die Ausstellung in Washington gezeigt wird, erklärt er sich sogar zu einem Vortrag über den Wiederaufbau Warschaus bereit – und das, obwohl er krank ist und zwei Nächte im Zug hinter sich hat.
Nach Helenas und Szymons Besuch beim Ehepaar Gropius und ihrer Rückkehr nach Polen nimmt der Briefwechsel einen noch persönlicheren Charakter an. Walter und Ise Gropius erzählen von ihrem Urlaub, von der Hochzeit ihrer Adoptivtochter Ati und von Ises Autounfall. Voller Überschwang wie stets schreibt Helena zurück, dass sie und Szymon sich am Wiederaufbau der Hauptstadt beteiligen. Auch herzliche Geburtstagswünsche an Ise und Walter vergisst sie nicht. „Der Zweck dieses Briefes ist das einfache menschliche Bedürfnis, unseren besten Freunden zu sagen, dass wir Euch trotz der zeitlichen und räumlichen Entfernung immer noch sehr lieben und oft an Euch denken, auch wenn man meinen könnte, wir hätten alles und jeden vergessen“, schreibt Helena im Februar 1948. „Meine Reise nach Deutschland und England letztes Jahr hat tiefe Eindrücke bei mir hinterlassen. Wenn man die Städte und die Menschen nicht mit eigenen Augen sieht, kann man sich – selbst unter Aufbietung all seiner Phantasie – nicht vorstellen, was Europa durchmachen musste“, antwortet der tief bewegte Gropius einige Monate später.
Im November 1950 jedoch schickt Helena dann einen sehr eigentümlichen Brief an Walter und Ise. Befremdlich ist die Propagandasprache, der „Neusprech“, dessen sie sich auf einmal bedient, sowie auch der überschwängliche Lobgesang auf das neue System und die brüderliche Zusammenarbeit nicht nur von Arbeiterklasse und Intellektuellen, sondern auch von den neu gegründeten sozialistischen Ländern. „Der gewaltige Fortschritt unseres Landes auf dem Weg zum Sozialismus ist ohne Zweifel atemberaubend, und Du, der geborene Pädagoge, weißt wohl aus Deiner eigenen Erfahrung am besten, dass die komplexe Zusammenarbeit mit unseren Schülern unserer eigenen Entwicklung am förderlichsten ist. Hier, in Polen, gibt es einen weiteren, noch stärkeren Anreiz für die Intellektuellen, sich weiterzuentwickeln, nämlich die Zusammenarbeit mit der gesamten Arbeiterklasse. Das sind nicht nur Lippenbekenntnisse, lieber Freund, sondern eine echte, tägliche, tiefgehende Zusammenarbeit“, schreibt Helena und fordert Walter zur Diskussion über die sozrealistische Architektur und den Formalismus auf. Auch möchte sie, dass er den Stockholmer Appell zum Verbot von Atomwaffen unterzeichnet. „Ihr und Eure Schüler müsst Euch dem großen gemeinsamen Lager der Friedensverteidiger anschließen (…)“, lautet ihre Argumentation. „Mit einem Freundesgruß an Euch beide, Eure Helena und Szymon“, endet sie ihren Brief in völlig anderer Manier als je zuvor.
„Liebe Helena”, schreibt ihr Ise zurück, „es ist sehr schwer, auf Deinen Brief zu antworten – obwohl das ja eigentlich gar kein Brief ist, nicht wahr? Wir kennen Dich so viele Jahre, waren Zeuge so vieler persönlicher und beruflicher Diskussionen zwischen Dir, Szymon und Walter, da wollen wir doch jetzt nicht durch Megaphone, in der Sprache politischer Traktate und Plattheiten miteinander reden“, erklärt Gropiusʼ Ehefrau entschieden.
Wie kam es zu diesem plötzlichen Wandel in Tonfall und Charakter von Helenas Briefen, die doch bis dahin so direkt, so warmherzig und wortgewandt geklungen hatten? Schwer zu sagen. Vielleicht war Helena wirklich begeistert von der neuen Ideologie – schließlich war sie vor dem Krieg eine engagierte Sozialistin gewesen. Oder war sie sich der allgegenwärtigen Zensur und Kontrolle bewusst, der besonders Briefe in das feindliche, kapitalistische Amerika unterzogen wurden? Wir werden wohl nie mehr erfahren, was der wahre Grund für ihren Tonartwechsel war. Fest steht, dass dieser Brief dem intensiven Austausch zwischen Walter und Ise Gropius und Helena und Szymon Syrkus ein abruptes Ende setzte.
„Meine lieben Ise und Walter, es sind rund 19 Jahre vergangen, dass wir uns nicht gesehen haben und wenn ich nicht irre, etwa 15, dass ich von Euch nicht mehr direkt etwas höre“, schreibt Helena dann im Jahr 1965. Anlass dieses Briefes ist der Tod von Corbu – Le Corbusier. Bei der Gelegenheit erfahren wir auch von Szymons Tod, der 1964 nach langer und schwerer Krankheit verstorben ist. Helena lehrt inzwischen Architektur an der Warschauer Technischen Universität, wohnt mit ihrer Schwester zusammen und hält noch Kontakt zu den früheren Kolleginnen und Kollegen von den CIAM-Kongressen. Der Brief strahlt wieder, wie früher, Helenas Wärme und unerschöpfliche Energie aus. „Wir hören auch gerne gute Musik. Und mit der Arbeit auf der Fakultät kann ich mich nicht langweilen und liebe noch immer das Leben“, schreibt sie. Ebenfalls erhalten geblieben ist ihr der Humor, heißt es doch am Ende: „Ich bin schlank geworden wie ein junges Mädchen – mit meinen immer noch 165 cm wiege ich seit Jahren 50 kg – hinten Lyzeum, vorne Museum!!!“
Ise nimmt den Staffelstab entgegen und schreibt Helena zurück, berichtet von den architektonischen Projekten des sehr beschäftigten Walters, der damals bereits die Achtzig überschritten hat. Gerade arbeitet er an einer Wohnsiedlung, die in West-Berlin entstehen soll – der Gropiusstadt. „Die Ironie der Weltentwicklung, die es heute leichter macht auf den Mond zu gelangen als von Westen nach Osten, hat uns bisher an einem Wiedersehen gehindert. Aber vielleicht nicht für immer“, stellt Ise am Schluss ihres Briefes fest.
Damit bekommt die Korrespondenz – nun zwischen der verwitweten Helena und Walter und Isa – ihre alte Intensität und Vertrautheit zurück. Nur die Themen haben sich geändert: Es geht nicht mehr um verrückte Urlaubsreisen, sondern um Krankenhausaufenthalte, Herzbeschwerden oder Walter Gropiusʼ Wirbelsäulenprobleme. Das Wissen um das unausweichlich fortschreitende Altern ist zwar stets präsent, dennoch ist es nach wie vor die Architektur, die das Leben der Schreibenden erfüllt. Helena verwaltet Szymons Nachlass und arbeitet an der Universität; Walter realisiert immer neue Projekte und Aufträge.
Walter Gropius stirbt ganz unerwartet am 5. Juli 1969: „Er ist nicht als alternder, müder Mann von uns gegangen, sondern wurde durch eine Drüseninfektion in Verbindung mit einer Infektion durch Staphylokokken, die eine seiner Herzklappen angriff, mitten aus einem aktiven, geschäftigen Leben gerissen“, schreibt Ise ganz offen an Helena.
Auch wenn Walter nicht mehr ist, bleiben Ise und Helena doch weiter in Kontakt. Sie betreiben einen intensiven Briefwechsel, der sich um gemeinsame Erinnerungen, Begebenheiten aus dem täglichen Leben, aber auch um architektonische Themen und die Verwaltung von Walter Gropiusʼ Nachlass durch Ise Gropius dreht.
Helena stirbt 1982; bis zu ihrem Lebensende arbeitet sie als Architektin. 1972 gelingt es ihr bei einem zweiten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, Ise noch einmal wiederzutreffen. Ise stirbt ein Jahr nach Helenas Tod.
Die Auszüge aus den Briefen und die biographischen Informationen über ihre Verfasser stammen aus dem Buch Archipelag CIAM. Listy Heleny Syrkus [Archipel CIAM. Die Briefe der Helena Syrkus], hrsg. von Aleksandra Kędziorek, Katarzyna Uchowicz, Maja Wirkus; Nationales Institut für Architektur und Urbanistik, Warschau 2019.
Mein herzlicher Dank gilt Maja Wirkus, die sich zu einem Treffen bereiterklärte und mir wertvolle Anregungen für diesen Text lieferte.