#GenussKultur
Der Rückzug des Hopfens
In Polen hat es nie an Bierliebhabern gefehlt, obwohl der Brauereimarkt sie nicht gerade mit einer Vielfalt von Geschmacksrichtungen verwöhnt hat. Reisen in die westlichen Länder auf der Suche nach interessanten Geschmacksnoten inspirierten die Hobbybrauer, ihre Leidenschaften zu entwickeln. Craftbiere werden heute, auch dank deutschen Brauereien, immer beliebter.
Von Kuba Janicki
Im Leben einer jeden Generation gibt es Momente, die sie instinktiv als revolutionär empfindet – Ereignisse, die die Weichen der Geschichte umstellen, Perspektiven ändern, nach denen nichts mehr so ist wie zuvor. In der Generation meiner Eltern war das zum Beispiel die Mondlandung. Fast jeder kann sich an diesen Tag erinnern. Die heutigen Vierzigjährigen – darunter auch mich – dagegen kann man jederzeit danach fragen, unter welchen Umständen wir von dem Angriff auf das World Trade Center erfahren haben…
Manchmal ist jedoch auch so, dass sich das Bewusstsein für die historische Bedeutung des Augenblicks erst später einstellt – zum Beispiel dann, wenn wir uns langsam dem Ziel oder der Erfüllung eines Vorhabens nähern und beginnen, uns an dessen Anfänge zu erinnern. In diesem Zusammenhang meine ich, dass eigentlich jede Erzählung über die polnische Craft-Beer-Bewegung mit der Erinnerung an ein ganz bestimmtes Datum beginnen sollte: den 7. Juni 2011, als beim Breslauer Festival des Guten Bieres ein heute schon legendäres Bier der von Ziemowit Fałat und Grzegorz Zwierzyna gegründeten Kleinbrauerei PINTA sein Debüt erlebte – das berühmte Atak Chmielu („Hopfen-Attacke“).
Ich weiß nicht mehr, wann ich es zum ersten Mal probiert habe. Sicherlich war das schon recht bald nach der Premiere, aber ich kann mich bestens erinnern, was für ein betörendes Erlebnis das war. Und wie treffend der Name dieses Trunks die Geschmacksempfindungen bei seiner Verkostung wiedergab. In einer Welt, die von den schwachbrüstigen, ausdruckslosen Eurolagerbieren der Großbrauereien dominiert war, bekamen wir plötzlich ein bombastisches obergäriges Bier, gehopft bis zum Gehtnichtmehr und unglaublich herb – anspruchsvoll sogar für den von ihm vertretenen Stil American India Pale Ale. Sein Name kommt daher, dass einem klassischen britischen Pale Ale mehr Hopfen zugesetzt wurde, damit es in besserer Verfassung den langen Seeweg nach Indien übersteht.
Es geht darum, dass – bis auf einige wenige Kenner – wir, die einfachen Liebhaber des Gerstensafts, damals noch kaum eine Ahnung von der Komplexität der Konfigurationen der Bierstile hatten. Wir übernahmen also diese Revolution vorbehaltlos. Es schmeckt bitter? Also muss das wohl so sein. So viel Hopfen, dass man nach dem dritten Glas einschläft wie nach einer zwölfstündigen Schicht? Niemand behauptete ja, dass eine Revolution leicht und vergnüglich sein muss. Mehr noch – schon bald darauf (im Jahr 2012) kam ein weiteres Craft Beer auf den Markt – AleBrowar mit seinem IPA mit dem klangvollen Namen Rowing Jack, das gewissermaßen den noch inofiziellen, aber doch auch schon irgendwie eingebürgerten Stil der Bierrevolte besiegelte.
Das dürfte kein Zufall sein. Die Craft-Beer-Bewegung begann in den Achtzigerjahren in den Vereinigten Staaten. Also suchte man vor allem dort nach Inspirationen und Rohstoffen. Und es gibt kaum einen amerikanischeren Stil als Ale in seinen verschiedenen Varianten. Aber eines muss man auch unseren polnischen Gründervätern lassen: Unter den ersten kommerziellen Sorten gab es durchaus auch Biere im heimischen Stil – Grodzisker Dunkelbier und Baltic Porter etwa. Ihre Zeit war jedoch noch nicht reif. Alle lechzten nach dem amerikanischen Geschmack.
Bekanntlich aber frisst die Revolution ihre eigenen Kinder: Die Orientierung an der Faustregel „stärker gehopft – besseres Bier“ konnte nicht länger andauern als ein paar Jahre – das war einfach eine zu intensive Erfahrung, umso mehr als wir uns bei einem gemütlichen Beieinander gern auch mehr als nur ein Bier schmecken lassen. Die Brauer begannen also nach anderen Inspirationsquellen zu suchen, um die Fans weiterhin mit Neuem überraschen zu können, nun aber mit einem leichteren Repertoire. Damals wandten viele Kleinbrauereien den Blick nach Deutschland.
Warum hatte das ein Weilchen gedauert? Dazu habe ich eine eigene Theorie. Ich denke, dass wir uns auch in wirtschaftlicher Hinsicht – es ist schließlich ein ganzes Stück teurer – erst an Craft Beer gewöhnen mussten. Das deutsche Brauwesen und die deutsche Weise des Biergenusses beruht genau darauf: auf Tradition. In Deutschland würden wir vergeblich nach dem Glamour und Hipstertum von Brooklyn oder belgischer Affektiertheit suchen. Der Reiz der deutschen Bierschule besteht in etwas anderem: in der Präzision des Stils, dem Streben nach Vollkommenheit und gleichbleibender Qualität, in der erfrischenden Süffigkeit des deutschen Biers. Hier sucht man nicht nach Extremen, sondern nach der Goldenen Mitte, und mir scheint, dass die zu einem höheren Qualitätsbewusstsein bekehrten polnischen Biertrinker sich diese Einstellung erst allmählich aneignen mussten.
Wenn man aber erst einmal den Bier-Äquator an der Oder überschritten hat, will man nicht mehr zurück. In Zusammenhang mit der Popularität von Bieren, die eher auf einer leichten Säure beruhen als auf einem bitteren Ton, verzeichnen wir seit ein paar Jahren einen wahren Boom an Bieren im Stil einer Berliner Weißen, wie sie Brauereien wie Funky Fluid, Browar Stu Mostów, Browar Trzech Kumpli oder Pilsweizer anbieten, während der leicht salzige Stil der Gose Einzug in Brauhäuser wie Nepomucen, Hajer und Deer Bear gefunden hat. Auch das klassische bayerische Hefeweizen, an das uns die Biermultis gewöhnt haben, hat seine Craft-Interpretationen (Browar Stu Mostów, PINTA, Widawa).
Bei dieser Hinwendung der polnischen Kleinbrauereien zu deutschen Bierstilen lassen sich auch allgemeinere Trends bemerken. In den letzten Jahren sind Starkbiere sehr populär geworden, weshalb immer wieder auch Bockbiere (auf Polnisch: Koźlak) Premiere haben. Liebhaber dieser kräftigeren Sorten können zu den Produkten von Brauereien wie Amber oder Kormoran greifen, die auf dem polnischen Markt einen festen Platz gefunden haben.
Was die Zukunft anbelangt, so hoffe ich als Liebhaber der „edlen Einfalt“ des guten Lagerbiers auf meine Lieblingsstile Hell und Dortmunder. Die Hopfenrevolutionäre mögen diese Bierwende argwöhnisch beäugen, aber mein innerer Spießer kann es kaum erwarten.