Richard David Precht
Lieben – Hassen – Essen
Wie sollen wir mit Tieren umgehen? Wir lieben und wir hassen, wir verzärteln und wir essen sie. Doch ist unser Umgang mit Tieren richtig und moralisch vertretbar? Angesichts von Massentierhaltung, Tierversuchen und einem Artensterben unbekannten Ausmaßes stehen wir drängender denn je vor der Herausforderung, Tiere neu zu denken. Woher nehmen wir das Recht, Tiere zu benutzen und ihnen Leid zuzufügen? Und was können wir tun angesichts der hemmungslosen Ausbeutung von Tieren und Umwelt?
Es sind Fragen, die Richard David Precht u.a. in seinem Buch „Tiere denken. Vom Recht der Tiere und Grenzen des Menschen“ stellt und damit Leser*innen anregt, Tiere neu zu denken und ihr Verhalten zu ändern.
Dank freundlicher Unterstützung des Wilhelm Goldmann Verlags wird unten ein Ausschnitt aus diesem Buch abgedruckt. Das Buch kann in den Bibliotheken des Goethe-Instituts in Warschau und des Goethe-Instituts Krakau ausgeliehen werden. Weitere Bücher des Autors sind in der Bibliothek und in der Onleihe ausleihbar.
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Von Natur aus hingegen ist kein Tier funktional, geboren zum Schlachten, Verjagen, Verfolgen, Vergiften, Liebkosen, Dressieren, Gruseln oder Bestaunen. Doch all unsere Tierliebe gilt nicht all unseren Tieren, obwohl wir in Deutschland so stolz auf unsere Tierliebe sind. Wer gut zu Tieren ist, so hört man, sei auch gut zu Menschen. Wer Tiere hasst
oder sich vor Haustieren ekelt, beweist im Volksmund ein gestörtes Verhältnis zur Natur. Umweltstiftungen und Naturschutzverbände erfreuen sich großer Akzeptanz in der Bevölkerung. Treibnetze gehören ebenso verboten wie der Singvogelmord in Italien; Schildkrötensuppe ist eine Angelegenheit für Perverse. Katzen-, Hunde- und Pferdebücher sind ein sicheres Geschäft; Tierfilme im Fernsehen erreichen beachtliche Quoten; Zoos in deutschen Großstädten ziehen jedes Jahr mehr Besucher an als Konzerte, Theater, Volkshochschulkurse und Sportveranstaltungen zusammen. Doch was lieben wir eigentlich am Tier?
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Wer sich in Westeuropa oder den USA als Tierfreund fühlt, denkt in den seltensten Augenblicken an Käfer, Hyänen, Ratten oder Seeigel. In Deutschlands Wohnstuben tummeln sich über zwanzig Millionen Heimtiere, Kleintiere wie Zierfische nicht mitgerechnet. Aber der Deutsche schätzt weder Geier noch Silberfische, Kakerlaken oder Bandwürmer. »Tierliebe« ist ein begrenztes Gefühl, abgestimmt auf einen erlesenen Zirkel von Arten. Wo sich die Natur mit Formen zurückhält, da hilft der Mensch auch schon mal gerne nach: züchtet Schleierschwänze und Perserkatzen, verstümmelt Hundeschnauzen zu niedlicher Mopsgesichtigkeit und hext Tauben eine mondäne Federpracht an.
Nach Ansicht des Psychologen Jürgen Körner ist die Nähe zum Tier »gerade deswegen so reizvoll, weil wir zugleich eine Andersartigkeit und Fremdheit spüren, und weil wir ahnen können, dass wir hierin etwas von uns selbst wiedererkennen können«. [1] Für einen solchen Spiegel der eigenen Natur aber bedarf es geeigneter Projektionsflächen, die im Fall von Kakerlake, Mücke und Seeigel deutlich schlechter ausfallen als bei Hund oder Katze. Tierliebe, so Körner, erscheint als Sehnsucht nach dem gemeinsamen Ursprung von Mensch und Tier. Je stärker sich der Mensch von der eigenen animalischen Natur entfremdet, umso größer wird sein Verlangen, ihr im Tier wieder zu begegnen: »Das sind die beiden Pole: Im ganz fremden das Vertraute und im Vertrauten doch das fremdartige zu entdecken, das ist
ein Grundmotiv unserer Liebe zum Tiere. « [2]
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Tiere, die uns, anders als die unbeachtete Mehrheit der Arten, nicht völlig gleichgültig sind, werden als Bereicherung empfunden - oder als Bedrohung. Die menschliche Kultur ist angefüllt mit guten und bösen Tieren, mit Lassie, Snoopy, Struppi, Idefix und Werwölfen, Nessie, Fafnir und Godzilla, mit schwarzen Unglückskatzen, Garfield und Fritz the Cat, mit King Kong und Fips dem Affen, dem Vogel Rock und der Möwe Jonathan.
Am meisten bevorzugt werden sogenannte Heimtiere. (…) Als »Begleiter« und »Freund« des Menschen erfüllen Heimtiere mancherlei Funktion; als Erzieher oder Therapeuten »lehren« sie Kinder, Verantwortung zu tragen, regelmäßig Futter zu besorgen und Käfig oder Kiste zu reinigen. Besonders beliebt macht sich das Heimtier, namentlich der Hund, auch als Sportkamerad beim Hunderennen oder auf der Pirsch. Und als nimmermüder Gefährte erfreut er sich großer Anerkennung bei Inszenierungen des gesellschaftlich gewollten Tiertodes durch eine kulturtraditionelle Vereinigung in Lodenrock und Gamsbarthut.
Bei alledem bleiben Tiere geradezu ideale Projektionsflächen für Fantasien jeder Art. Vermenschlichung ist die verbreitetste und gängigste Form der Rede über das Tier - ob bei der Schilderung persönlicher Erlebnisse und »Liebesbeziehungen« oder der Tierberichterstattung in den Medien. Bevorzugt werden Rührgeschichten und Gags, wie etwa die humoristische Präsentation einer ach so lustigen Natur. Tierfilme, die sich durchaus nicht entblöden, krabbelnde Käfer mit Motorgeräuschen zu unterlegen, gibt es noch immer. Und auch die stets beliebten anthropomorphen Verniedlichungen, die das Genre seit Walt Disneys Die Wüste lebt von Anfang an begleitet haben, finden sich nahezu täglich im Fernsehen.
Was sich in den Liebeskosmos unseres Herzens nicht einfügen lässt, taugt mitunter als Monster. Woche für Woche terrorisieren Haie, Killerameisen, Kraken und Krokodile im Einklang mit Russen, Chinesen, Nazis, Klingonen und anderen Schreckensgestalten deutsche Wohn- und Kinderzimmer. Obgleich reale Bedrohungen in unseren Breiten allenfalls durch dämonische Kleinlebewesen wie Zecken oder Fuchsbandwürmer bestehen, ekelt sich der aufgeklärte Europäer zusätzlich auch vor Schlangen, Spinnen, Ratten, Mäusen und Tauben und bangt furchtsam mit dem Dompteur, der ein Dutzend denaturierte Großkatzen zu widernatürlichen Mätzchen antreibt.
Mehr als alles andere befriedigt der Dokumentarfilm Sehnsüchte nach exotischen Tieren und unberührter Wildnis. Das Wechselverhältnis zwischen der steigenden Anzahl von Tierfilmen und der abnehmenden Zahl existierender Regenwälder, Feuchtsavannen und Meeresbiotope ist kein Zufall. Je weniger intakte Natur auf dem Planeten verbleibt, umso stärker wird das Bedürfnis, tropische Wälder und lichtdurchflutete Ozeane zu sehen, dicht gefüllt mit einer faszinierenden Tierwelt. Und so strahlen Bilder von überall aus der Welt in größter Buntheit und Vielfalt in deutsche Wohnstuben, fantastisch fotografiert in einer beeindruckenden technischen Brillanz. Noch nie waren die letzten Refugien wild lebender Tiere so sehr bedroht wie in unserer Zeit - und noch nie waren ihre letzten verbliebenen Bewohner so nah und deutlich zu sehen. Aufgebuddelte Erdhöhlen, Mikrokameras in Nistkästen, Riesenteleobjektive und Computeranimationen entlocken der verborgensten Natur ihre letzten Geheimnisse.
Zeitbewusste Dokumentationen balancieren zwischen Zeigefingermoral und Unterhaltungsbedürfnis. Auch der moralingesäuerte Naturfilm dient der Entspannung des Fernsehzuschauers. Und der Publikumserfolg eines exotischen Tierberichts hängt davon ab, ob es gelingt, uns abtauchen zu lassen in ein fernes Reich, weit ab von den Problemwelten des Alltags. So folgen wir den Pinguinen auf ihrer Reise durch die Antarktis oder fliegen mit den Vögeln um die Welt. Der Tierfilm im Fernsehen ist Hort des GutenSchönen Wahren, einer verlorenen Authentizität. Wirklicher als jede Nachrichtensendung vermitteln die Bilder der Natur die Impression eines unmittelbaren, unverstellten Lebens.
Der Genuss funktioniert trotz oder gerade wegen einer doppelten Grausamkeit: das Jagen, Töten und Sterben unter den Tieren sowie jenes zwischen Tier und Mensch. Jagdszenen am Kilimandscharo, beliebtes Motiv aller Tierfilme, sind allenthalben interessanter als ein Lehrfilm und stechen einen jeden Beitrag über das Liebesleben der Ringelnatter locker aus. Und über allem Grauen schwebt unberührt die totale Harmonie. Pelikane und Krokodile venrocknen kläglich in ausgedörrten Schlammtümpeln, Büffelmütter blöken nach ihren frisch gemordeten Kälbchen, der alte Elefant verdurstet in der Dornensavanne: Die Gräuel eines Tierfilms lassen sich moralisch einwandfrei genießen. Tja, so ist sie halt, die Natur. Der Kommentar erstirbt, die Musik setzt ein, seelenvoll wimmert die Panflöte: Schwenk in die Totale - Abenddämmerung über dem Okawango-Delta. Bilder aus Utopia.
Auch die zweite Grausamkeit, die Zerstörung der Naturbiotope und Ausrottung der Arten durch den Menschen, wird nicht verschwiegen. Im Gegenteil, die Schimpfe an die Menschheit ist obligatorisch, ja geradezu der ungeschriebene Verfassungsauftrag eines jeden seriösen Naturfilms. Natürlich will der Zuschauer nicht sehen, wie ein jahrhundertealter Urwaldbaum, von einer Motorsäge gequält, der Kamera entgegenschlägt. Doch darauf ist Verlass: Unmittelbar danach taucht man wieder in die heile Welt ab, dem Zeigefingerteil folgt das Paradies, die letzte unberührte Natur. Das Wechselbad der Gefühle verschafft dem Naturgenuss seine besondere Faszination. Denn erst durch das Wissen um ihre Bedrohung erhalten die letzten Paradiese ihren speziellen Reiz. Was in Masse vorhanden ist, hat die Menschen nie interessiert.
Kein Naturfilm hat bisher verhindert, dass wir Tiere gleichwohl weiterhin in Klischees denken. Seit langer Zeit überliefert, regieren ungezählte schräge Bilder die menschliche Rede vom Tier. Noch immer glauben wir an den »Löwenmut«, obwohl die afrikanische Großkatze, vor allem die männlichen Tiere, sich gegenüber anderen Katzen gewiss nicht durch Mut auszeichnet. Krokodile gelten als »gefräßig«, was sie faktisch beim besten Willen nicht sind; wir glauben, der Strauß stecke bei Gefahr den Kopf in den Sand, was ebensolcher Unfug ist. Dass Luchse für den Menschen gefährlich sind, Adler und Bartgeier (»Lämmergeier«) Schafherden erheblichen Schaden zufügen und sogar Kleinkinder in die Luft tragen könnten, führte alle drei in Mitteleuropa an den Rand der totalen Ausrottung. (…)
Menschliche Gefühle und Klischees wurden Tieren seit jeher gefährlich. Wer nach Lustgefühlen entscheidet, wird keinen Grund dafür sehen, ein Tier, das sein Lebtag zu nichts Ersichtlichem taugt (und wenn es tot ist, nicht mal schmeckt), ein Existenzrecht zuzugestehen. (…)
Jede Rede über Tiere ist abhängig vom Zusammenhang, in dem sie getätigt wird. In philosophischen Disputen interessieren »Vernunft«, »Leidens- und Glücksfähigkeit«, »Bewusstsein« und »Präferenz-Autonomie«. In Hochglanzgazetten und Unterhaltungsfilmen erscheinen Tiere als »Lustmolche «, »Räuber«, »Unschuldslämmer«, »Diebe«, »Plappermäuler « und ähnliche Kuriositäten. Ihr Daseinsgrund scheint darin zu bestehen, den Menschen zu belustigen oder zu schrecken. In der Poesie zeigt sich das Tier in seiner ganzen Schönheit und Dämonie, in Tischgesprächen interessiert sein Geschmack und die Frage nach dem dazu passenden Wein. In Liebesbezeugungen heißt es »Mode«, »Hasso« oder »Hasi«. In Parlamentsdebatten wird es je nach Redner zum »Prüfstein der Menschlichkeit« zum »Produktionsmittel« oder zur »Ware«, und in Predigten ist es »Bruder Tier«. Dasselbe gilt auch für moralische Handlungen wie das Töten v.on Tieren; sie treten auf als »Eigentumsdelikt«, »barbarische Handlung«, »Jagdbeute«, vermeintlicher »Mord« oder »Massenmord«, als »Zweckhandlung zur Nahrungsmittelerzeugung « oder als »Gnadentod« für gestrauchelte Pferde und kränkelnde Heimtiere.
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Alle diese Verdinglichungen, Verniedlichungen, Vermenschlichungen, Verteufelungen und Reduktionen auf das Exotische oder Monströse entsprechen keiner Ordnung und keinem moralischen System. Nicht einmal eine »lokale Vernunft « ordnet die Teilbereiche des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Tier, vielmehr eine ästhetische Moral, die auf Gefühlen basiert und auf ein Gefühl der Lust oder Unlust bezogen ist. Ob Osterlamm oder Kuscheltier - ein schmaler Grat bestimmt, was beim Anblick eines Tieres obsiegt: die Niedlichkeit des Objekts oder der Hunger. Statt moralischer Bestimmungen herrschen ästhetische Kriterien. Eine unschuldig weiße Ratte erfreut durchaus als Haustier; ihre graue Schwester in der Kanalisation hingegen ist unwertes Tierleben, geschaffen, um vergiftet zu werden.
Aus soziologischer Sicht verwundert es wenig, dass in einer zu immer geringerem Teil agrarisch strukturierten Gesellschaft vor allem jüngere Generationen sich von der ökonomischen Verwertung von Tieren distanzieren. Die Selbstverständlichkeit, Tiere zu schlachten, verliert ihre Verständlichkeit. Auch macht das Ernährungsangebot auf dem heutigen Markt es leichter als je zuvor, auf Fleisch zu verzichten. Schweinepest, Salmonellen und »Rinderwahnsinn« tun ihr Übriges. Der durchschnittliche Konsum von Rind- und Schweinefleisch ist schon seit dreißig Jahren sanft rückläufig. Die Zahl der Metzgerlehrlinge und Fleischfachverkäufer sinkt stetig. Tierische Kost, das alte Symbol völkischen und persönlichen Wohlstands, erscheint zunehmend bedenklich: gesundheitlich wie moralisch.
Immerhin: Noch stellen Fleischesser in der Bundesrepublik wie in allen anderen westlichen Ländern die große Mehrheit. Wenn wir ohne Skrupel die Vorteile von Massentierhaltung und Tierversuchen genießen, so also vor allem deshalb, weil wir das Leiden selten sehen und daher gut verdrängen können. Bereits seit langer Zeit schonen wir, wie der Philosoph Jean-Claude Wolf es formuliert, unsere Empfindlichkeit: » ... in Bezug auf den Anblick und das Erleben von Leiden und Sterben und auf den Trend zur Ausgrenzung von Tod und Leiden in geschlossene Außenräume: Das Anstößige wird exterritorialisiert. Wir leben in einer bemerkenswerten Zerrissenheit, die sich in vielen Bereichen abzeichnet: Verabscheute Dinge und Handlungen werden dem Blick der Öffentlichkeit entzogen und im Verborgenen verwaltet. In der Psychiatrie, im Strafvollzug und in der Massentierhaltung findet eine Exilierung und administrative Bürokratisierung von Vorgängen statt, deren Anblick wir nicht ertragen, obwohl wir auf ihre Vorteile nicht verzichten wollen. Damit werden nicht die Exilierten - das heißt zum Beispiel die in den Versuchslaboren und Tierfabriken vegetierenden und in Schlachthäusern getöteten Tiere - geschont, sondern die zarten Gefühle der Normalverbraucher. Unter solchen Bedingungen ist der bloße Appell an Gefühle wirkungslos!« [3] Wer dem Blick in die Orte der Quälerei und des Leidens ausweichen kann, kommt leicht daran vorbei, sich Gedanken über die Gefühle jener Tiere machen zu müssen, die ihm als formverpacktes Schnitzel, Brathähnchen oder glänzender Pelzmantel als Reste gelebten Lebens entgegentreten. Im Kotelett auf dem .Teller bleibt wenig erhalten vom sensorischen und kognitiven Apparat eines Lebewesens, das jenem des geliebten Terriers oder der Perserkatze in Nichts nachsteht.
Das Leiden perfekt auszugrenzen und zu verbergen scheint gegenwärtig die letzte Möglichkeit zu sein, das Chaos im Umgang mit Tieren weiter aufrechtzuerhalten. Denn nie in der Geschichte der Menschheit dürfte es so groß gewesen sein wie heute: Man verdinglicht das Tier zum reinen Produktionsmittel, züchtet Überlebensmaschinen und Fleischlieferanten und schreibt ins Bürgerliche Gesetzbuch der Bundesrepublik, Tiere nicht als »Sachen« zu werten. Man verzärtelt das eigene Kaninchen und verspeist genüsslich das Kaninchen aus der Metzgerei. Man subventioniert die barbarische Tötungsmaschinerie, die Millionen Schweine, Millionen Mastgeflügel und Millionen Rinder in Stehsärge und Batterien zwängt; gleichzeitig appellieren deutsche Landwirtschaftsminister und Bauernpräsidenten an die Vernunft des Verbrauchers, ausschließlich Qualitätsprodukte aus gesunder Landwirtschaft zu kaufen. Man erforscht mit Liebe und Mühe die Intelligenz von Affen und erkennt, wie verblüffend ähnlich sie uns sind; gleichzeitig meißelt man ihnen die Schädel auf, verstümmelt ihre Körper, vergiftet Seele und Leib und quält sie mit Elektroschocks im Dienst der medizinischen Forschung. Man definiert das Tier im Tierschutzgesetz als »Mitgeschöpf« und erlaubt jedermann, ihm aus »vernünftigen Gründen« Schaden zuzufügen. Man züchtet aus Tierliebe Wellensittich und Kanarienvogel und streut aus Ekel Taubengift. Man schließt sich als Vogelfreund Jägerappellen an, um Elster, Eichelhäher, Krähe und ähnliches »Raubzeug« abknallen zu lassen. Man verurteilt im Einklang aller gutwilligen Artenschützer die Ausrottung der gefleckten Großkatzen und steigt stattdessen auf Kaninchen, Chinchilla und Nerz um. Man rottet alle potenziell gefährlichen Tiere in nächster Umgebung aus und erfreut sich an Riesenhaien und Killerkrokodilen im Horrorfilm. Man findet Hamster schrecklich niedlich und zwängt sie zum Lohn lebenslang in enge Drahtkäfige. Man verkauft abgeschlachtete Schweine und illustriert sie mit lustigen kleinen Ferkeln, die zynisch Hand in Hand zum Metzger spazieren.
Das Merkwürdigste an alldem ist, dass jeder der genannten Widersprüche vom Gesetzgeber in Deutschland akzeptiert und juristisch abgesichert ist. (…)
S. 313-324 gekürzt aus:
Richard David Precht "Tiere denken" © 2016 Wilhelm Goldmann Verlag, München
Richard David Precht - geboren 1964, ist Philosoph, Publizist, Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seine Bücher wie „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?", „Liebe. Ein unordentliches Gefühl" und „Die Kunst, kein Egoist zu sein" sind internationale Bestseller und wurden in insgesamt mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF, für die er 2013 mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Besondere Leistung" ausgezeichnet wurde.
[2] Ebd., S. 117
[3] Wolf, Jean-Claude: Verhütung oder Vergewaltigung? Einführung in ethische Straftheorien, Freiburg i.Br. 1992, S. 21