„Denk ich an Deutschland in der Nacht“ erzählt die Geschichte der elektronischen Musik in Deutschland, allen voran die ihrer Protagonisten, den DJs. Einige kommen in der Dokumentation zu Wort – und zeichnen ein vielfältiges Bild einer Szene, die zu einem wichtigen Teil unserer Gesellschaft geworden ist.
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
So lauten die ersten Zeilen der Nachtgedanken, eines der berühmtesten Gedichte Heinrich Heines. Der Regisseur Romuald Karmakar stellt sie an den Anfang seines Dokumentarfilms Denk ich an Deutschland in der Nacht, der die elektronische Musik aus Deutschland porträtiert – und vor allem ihre Protagonisten, die DJs.
„Hier gibt es momentan die weltweit besten DJs. Die Techno-Welt hat Deutschland viel zu verdanken“, erklärt der DJ und Club-Betreiber Ata, der in der Dokumentation zu Wort kommt. Die Lust am Experimentieren, die viele DJs seit den Fünfzigerjahren dazu gebracht habe, „einen weltweit einzigartigen Sound zu entwickeln, war zusammen mit der deutschen Technik einer der Funken, der auch in den Vereinigten Staaten, vor allem in der afroamerikanischen Gemeinschaft, das Interesse an elektronischer Musik geweckt hat“.
Vielfältiges Puzzle an Zeitzeugnissen
Neben Ata begegnen einem im Laufe der Dokumentation weitere berühmte Protagonisten der DJ-Szene – darunter der Deutsch-Chilene Ricardo Villalobos, die Schweizerin Sonja Moonear und die Deutschen Roman Flügel und David Moufang, bekannt auch als Move D. Wir sehen sie bei der Arbeit in Clubs, wie sie nachts das Publikum zum Tanzen bringen, aber auch tagsüber, bei Sonnenlicht, in ihren Alltagsklamotten, wie sie ihre Ansichten zur elektronischen Musik darlegen. Was dabei herauskommt, ist ein vielfältiges Puzzle an Zeitzeugnissen, die einen fundamentalen Aspekt unserer Gesellschaft beschreiben.
„Die jüngste Generation ist daran gewöhnt worden, dass das höchste Gut, das man im Leben erlangen kann, Unabhängigkeit ist. Nicht nur ökonomisch, sondern auch emotional. Vor allem anderen kommt es darauf an, sich mit sich selbst wohlzufühlen“, meint etwa Ricardo Villalobos in seinem Studio. „Doch diese Unabhängigkeit bringt auch eine Menge Einsamkeit mit sich. Die Leute, die in einen Club gehen, wollen sich als Teil von etwas fühlen. Und dafür brauchen sie Musik in ihrer ursprünglichsten Form, solide Rhythmen, in denen sich alle wiederfinden können, ohne alles andere in Zweifel zu ziehen, also ihr Leben außerhalb des Lokals, ihre eigene Persönlichkeit. Das tut die elektronische Musik. Oder jedenfalls versucht sie es.“
Das wiederum gilt für Deutschland ebenso wie für jede andere westliche Gesellschaft, nachts wie am Tage. Und anders als bei Heine, lädt der Film zum Reflektieren ein, ohne je den Tränen nahe zu sein.