Vom Bauhaus zum Spielhaus

Vom Bauhaus zum Spielhaus Foto: Chris Hubner

Die Performance des Berliner Hip-Hop-Künstlers STORM mit der Moskauer Tanzkompagnie „Russian FarFor_YO“/Banzay

„Vom Bauhaus zum Spielhaus“ unter diesem Motto entwickeln der bekannte deutsche Hip-Hop-Künstler Storm und die Moskauer Tanzkompagnie „Russian FarFor_YO“ mit Banzay in einem gemeinsamen Workshop eine neue Choreografie, die Ideen der Avantgarde-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts in Bewegungsabläufe und Tanz-Moves transformiert. Die Ergebnisse des vom Goethe-Institut initiierten Workshops werden am 9. März in einer öffentlichen Präsentation im Moskauer Kulturzentrum ZIL vorgestellt, einem nach konstruktivistischen Prinzipien in den 1930er-Jahren errichteten Gebäude.
 

Spielhaus

Vor einiger Zeit erhielt ich eine Nachricht von Banzay. Darin erzählte er von seinem Besuch im Bauhausarchiv in Berlin (direkt in meiner Nachbarschaft), und wie sehr ihn dies inspiriert hatte. Das hat einiges bei mir ausgelöst. Wenn ich an Gropius und das Bauhaus denke, daran, wie diese Leute den Unterschied zwischen bildender und angewandter Kunst überwinden wollten, so sehe ich eindeutige Parallelen zu unserer heutigen Zeit, dem „Computerzeitalter“.

Heute löst sich der Tanz mehr und mehr aus seinen sozialen Formen. In dieser Hinsicht denke ich kommunistisch: Ich denke, ich würde gern Tanzformen entwickeln, die jeden ansprechen und nur Sinn ergeben, wenn sie gemeinsam getanzt werden. Dies ermöglicht es uns, den Schwerpunkt auf praktische Fertigkeiten zu legen, auf handwerkliches Können sowie den spielerischen Einsatz von Rhythmus und aufeinander abgestimmten Bewegungen.

Der Spielmodus hält die Spannung aufrecht. Der Tanz wird zum Brettspiel mit bestimmten Regeln, die den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen die (Schau-)Spieler ihre Performance frei entwickeln. Das Ziel besteht jedoch nicht darin zu gewinnen. Stattdessen sollte jeder Spieler von sich aus danach streben, sich innerhalb der Spielgemeinschaft wohlzufühlen (mit anderen Worten: sich sozial zu verhalten).

Wenn dieses Spiel für die Gesellschaft als Ganzes geeignet sein soll, müssen auch die Moves den Regeln des Bauhauses folgen:

Sie müssen funktional, innovativ und schön sein.

Sie müssen einfach und effektiv sein und sich leicht kopieren lassen. (Prinzip der serienmäßigen Herstellung.)

Aus diesem Grund müssen sie – der Ästhetik von Walter Gropius folgend – viele gerade Linien und 90-Grad-Winkel enthalten.

In der Folge würde ich diesem Spiel einen experimentellen Aspekt hinzufügen, der über die Moderne des Bauhauses und die automatischen Fertigungsstraßen Maschinenzeitalters hinausgeht. In der heutigen Welt werden Produkte ja immer seltener von Menschen, sondern von Robotern und computergesteuerten Anlagen hergestellt.

Die entscheidende Aufgabe für uns besteht darin, Dance-Moves auf die wichtigsten Grundelemente zu reduzieren, damit sie jeder leicht übernehmen kann. Diese Einzelteile lassen sich dann zu choreographischen Reihen zusammenfügen, in denen sich ihre ganze Funktion und ästhetische Schönheit entfaltet. Dies wiederum kann nur erreicht werden, wenn man den Schwerpunkt auf praktische Fertigkeiten, handwerkliches Können und Beherrschung der Technik legt. Ein Lösungsansatz für die Probleme einer modernen spielerischen Industriegesellschaft – vom Bauhaus zum Spielhaus!

Projektpartner: Kulturzentrum ZIL

 
Storm | Kurzbiografie

Niels Robitzky alias Storm zählt zu den Pionieren der Hip-Hop-Kultur in Europa. 1983, im Alter von 14 Jahren, begann er, zu tanzen. Bereits ein Jahr später wurde Storm von der Zeitschrift Bravo für eine Tour durch Norddeutschland engagiert. Kurze Zeit später flaute das Interesse für den sogenannten „Breakdance“, wie das „B-Boying“ von den Medien genannt wurde, ab – aber Storm lebte seine Kultur weiter, reiste um die Welt, um Gleichgesinnte zu treffen und ist heute einer der Tänzer, die weltweit für die kontinuierliche Weiterentwicklung des „B-Boying“ stehen.

Tanz war für Storms Generation weit mehr als nur Teil der Hip-Hop-Kultur, die mit künstlerischen Ausdrucksformen wie dem „MCing“ (Rap), „DJing“ und der „Spray Can Art“ (Graffiti) die zeitgenössische Ästhetik und Rezeption prägte.

Storm zeichnet sich dabei durch eine große Bandbreite von Tanzstilen aus, die er brillant beherrscht: „B-Boying“, „Popping“, „Locking“, „Boogaloo“... Seit den 1990er-Jahren arbeitet er auch choreografisch und dramaturgisch mit diesen Techniken. So gründet Storm 1991 die internationale Formation „Battle Squad“, die bis heute besteht. Nach seiner Zusammenarbeit mit dem New Yorker „Ghettoriginal“ ruft er 1996 in Berlin mit Jazzy Lee „The Storm & Jazzy Project“ ins Leben – eine der ersten europäischen Kompanien, die auf Theater- und Tanzbühnen weltweit präsentiert werden. Im gleichen Jahr begann die Zusammenarbeit mit dem freien Produzenten Dirk Korell (MOOV'N AKTION, heute „camin aktion“ in Montpellier).

In Deutschland brauchte die künstlerische Anerkennung dieser Tanztheaterarbeit mehr Zeit, jedoch zählten Bühnen wie das Tanztheater Wuppertal, Hebbel Theater Berlin, Tanzhaus NRW Düsseldorf, Kampnagel Hamburg, Kuratoren in Gießen und in Erfurt und sogar die Semperoper Dresden zu den Orten, die früh den künstlerischen Wert der Hip-Hop-Tanzformen erkannten. Auch das Goethe-Institut zeichnet sich hier aus; es trug bereits seit den 1990er-Jahren durch Vernetzung, Tourneen und Förderung von internationalen Kooperationsprojekten zur weltweiten Sichtbarkeit von Hip-Hop-Tanzkompanien und Storms Arbeit bei.

Im Jahr 2000 folgte ein neuer Schritt im künstlerischen Alleingang: Storms „Solo for Two“ wurde mehr als 200 Mal auf allen Kontinenten vorgestellt. Weitere wichtige Soloproduktionen folgten sowie Choreografien, die mit Tänzerinnen und Tänzern aus verschiedensten Ländern entwickelt wurden: Frankreich, Deutschland, Brasilien, Kuba, Vietnam, Singapur.
 
Tänzer, Choreograf, Autor von zwei Publikationen, Schauspieler, Berater von Tanzbattle-Jurys, lebendes Gedächtnis des Hip-Hop – Storm zählt zu den wichtigen Namen dieser Kultur und des zeitgenössischen Tanzes im Allgemeinen.
 

Russian FarFor_YO | Tanzkompanie Moskau

„Russian FarFor_YO“ ist ein Tanzprojekt, das 2011 durch Olga Mefodjewa und Andrey Kowalenko (Banzay BNZ) gegründet wurde. Heute vereint „Russian FarFor“ erfolgreiche Tänzer der Richtungen street und contemporary dance.
 
„FarFor“ möchte durch Tanz neue Wege zu finden, wie Menschen sich mit ihrer Umgebung auseinandersetzen können – ein immer neuer Dialog. Deswegen liegt Improvisation den Performances der Kompanie zugrunde. Mit großer Ernsthaftigkeit tauchen die Tänzer von „FarFor“ in das Thema der Choreografie ein und finden individuelle Rollen, die ebenso harmonisch wie emotional mit denen der anderen verbunden sind.
 
„FarFor“ nutzt Kontaktimprovisation, Street und Contemporary Dance und vereint die „Straßenästhetik“ mit etwas Neuem, sodass eine einzigartige Bewegungssprache entsteht, die der Kunst näher ist als einer bestimmten Tanzrichtung. Bei „FarFor“ bekommt Tanz eine neue Form.

Zu den wichtigsten künstlerischen Projekten von „FarFor“ zählen „Free Art / Freies Schaffen“, „Was guckst du?“ (Choreografie von Manuel Ronda, Belgien), „Mayak“ (nach dem Gedicht Wolke in Hosen von Wladimir Majakowski). Kommerzielle Projekte hat „FarFor“ für Marken wie „Hennessy“, „Hermès, Adidas“, „BMW“, „Vertu“, „Reebok“, „LEE“ und „AXE“ realisiert.